Staatsrecht III. Hans-Georg Dederer

Staatsrecht III - Hans-Georg Dederer


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der unbegrenzte Ankauf von Staatsanleihen finanziell notleidender Staaten der Eurozone auf dem Sekundärmarkt angekündigt (OMT-Programm). Dazu führte das BVerfG Folgendes aus (BVerfGE 134, S. 366 ff, Rz 36 ff):

      „Verstieße der OMT-Beschluss gegen das geld- und währungspolitische Mandat der Europäischen Zentralbank oder gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung, läge darin ein Ultra-vires-Akt im Sinne der … Honeywell-Entscheidung.

      a) Ein hinreichend qualifizierter Verstoß setzt voraus, dass das kompetenzwidrige Handeln der Unionsgewalt offensichtlich ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung zulasten der Mitgliedstaaten führt (vgl BVerfGE 126, 286 [304 f] m.w.N.). Strukturell bedeutsam sind Kompetenzüberschreitungen insbesondere dann, aber nicht nur, wenn sie sich auf Sachbereiche erstrecken, die zur durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland rechnen oder besonders vom demokratisch diskursiven Prozess in den Mitgliedstaaten abhängen (siehe BVerfGE 126, 286 [307]).

      b) Ein Handeln der Europäischen Zentralbank außerhalb ihres geld- und währungspolitischen Mandats … oder ein Verstoß gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung durch das OMT-Programm … würde eine offensichtliche und strukturell bedeutsame Kompetenzüberschreitung bedeuten.“

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      Der OMT-Beschluss wurde vielfach kritisiert. So wurde darauf hingewiesen, dass das BVerfG eine unionsrechtskonforme Interpretation aufgezeigt habe, was bei einer angenommenen „offensichtlichen“ Kompetenzüberschreitung schwer möglich sei. Auch das Vorliegen von Sondervoten einzelner Richter spricht dagegen. Ferner wurde gefragt, ob selbst bei der Annahme eines Ultra-vires-Akts überhaupt eine Entscheidungserheblichkeit iSv Art. 267 AEUV (s. Rn 988) gegeben sei, was bei einer Verneinung zur Unzulässigkeit der Vorlage führen würde.

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      In seinem Urteil vom 16. Juni 2015 hat der EuGH jedenfalls die Zulässigkeit bejaht und keinen Kompetenzverstoß durch den Rat der Europäischen Zentralbank gesehen (EuGH, Rs. C-62/14, Gauweiler/Deutscher Bundestag, ECLI:EU:C:2015:400). Hingegen ist er auf die Frage, ob die Ultra-vires-Rechtsprechung des BVerfG mit dem Unionsrecht vereinbar sei, nicht näher eingegangen. Vielmehr hat er nur auf seine Rechtsprechung zur Bindungswirkung von Vorabentscheidungen hingewiesen. Damit aber hat er wohl eine Zurückweisung der Rechtsprechung des BVerfG zum Ausdruck gebracht, denn diese, sollte sie jemals zur Anwendung kommen, verneint ja eben diese Bindungswirkung.

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      Das BVerfG hat dem Urteil des EuGH entsprochen, in seinem Urteil vom 21. Juni 2016 aber genaue Kriterien für eine Beteiligung der Bundesrepublik an der Durchführung des OMT-Programms aufgestellt (BVerfGE 142, S. 123 ff, Tenor):

      „4. Die Deutsche Bundesbank darf sich an einer künftigen Durchführung des OMT-Programms nur beteiligen, wenn und soweit die vom Gerichtshof der Europäischen Union aufgestellten Maßgaben erfüllt sind, das heißt wenn

das Volumen der Ankäufe im Voraus begrenzt ist,
zwischen der Emission eines Schuldtitels und seinem Ankauf durch das ESZB eine im Voraus festgelegte Mindestfrist liegt, die verhindert, dass die Emissionsbedingungen verfälscht werden,
nur Schuldtitel von Mitgliedstaaten erworben werden, die einen ihre Finanzierung ermöglichenden Zugang zum Anleihemarkt haben,
die erworbenen Schuldtitel nur ausnahmsweise bis zur Endfälligkeit gehalten werden und
die Ankäufe begrenzt oder eingestellt werden und erworbene Schuldtitel wieder dem Markt zugeführt werden, wenn eine Fortsetzung der Intervention nicht erforderlich ist.“

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      Eine zweite, wieder das Handeln der EZB betreffende Vorlage beschloss das BVerfG am 18. Juli 2017 (BVerfGE 146, S. 216 ff). Der umfangreiche Fragenkatalog zu einer möglichen Mandatsüberschreitung der EZB betraf den seit Januar 2015 unter der Bezeichnung „Public Sector Purchase Programme“ (PSPP) laufenden Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB. Den Erlass einer ua auf Untersagung von Anleihekäufen durch die Bundesbank im Rahmen des PSPP gerichteten einstweiligen Anordnung lehnte das BVerfG wegen unzulässiger Vorwegnahme der Hauptsache ab. Dabei hielt das BVerfG (durchaus im Geiste der Europarechtsfreundlichkeit) fest, dass der Grundsatz der Organtreue die Bundesregierung nicht verpflichte, sich die „Zweifel“ des Gerichts an der „Vertragskonformität einer Maßnahme von … Stellen der EU vor Abschluss des Verfahrens zu eigen zu machen“ (BVerfGE 147, S. 39 ff, 49). Der EuGH hat zwischenzeitlich ein Ultra-vires-Handeln der EZB verneint (EuGH, Rs. C-493/17, Weiss ua, ECLI:EU:C:2018:1000).

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      Mit der Ultra-vires-Kontrolle überprüft das BVerfG ferner die Beachtung der Integrationsverantwortung insbesondere von Bundestag und Bundesregierung. Jene müssen danach „über die Einhaltung des Integrationsprogramms wachen“, dürfen „am Zustandekommen und an der Umsetzung von Maßnahmen, die die Grenzen des Integrationsprogramms überschreiten, nicht mitwirken“ und müssen „bei offensichtlichen und strukturell bedeutsamen Kompetenzüberschreitungen … von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union ohne ihre Mitwirkung aktiv auf seine Befolgung und die Beachtung seiner Grenzen hinwirken“ (BVerfG, NJW 2019, S. 3204 ff, 3209).

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      Die Ultra-vires-Kontrolle des BVerfG kann dabei vom Einzelnen im Wege der Verfassungsbeschwerde aktiviert werden. Hierzu kann er sich entweder auf Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG stützen mit der Behauptung, sein Anspruch auf demokratische Selbstbestimmung werde durch Nicht- oder unzureichende Wahrnehmung der Integrationsverantwortung seitens der deutschen Verfassungsorgane verletzt, oder auf das jeweils betroffene Grundrecht mit der Behauptung, es werde durch Ultra-vires-Handeln der EU betroffen (s. BVerfG, NJW 2019, S. 3204 ff, 3209, 3211).

      212

      Das BVerfG hat im Lissabon-Urteil eine weitere Kontrollmöglichkeit, die Identitätskontrolle, eingeführt, die gleichfalls dazu führen kann, dass eine Handlung der EU für unanwendbar erklärt wird. Das BVerfG hat dazu Folgendes ausgeführt (BVerfGE 123, S. 267 ff, 353 f):

      „Innerhalb der deutschen Jurisdiktion muss es zudem möglich sein, die Integrationsverantwortung … zur Wahrung des unantastbaren Kerngehalts der Verfassungsidentität des Grundgesetzes im Rahmen einer Identitätskontrolle einfordern zu können … Das Bundesverfassungsgericht hat hierfür bereits den Weg der Ultra-vires-Kontrolle eröffnet, die im Fall von Grenzdurchbrechungen bei der Inanspruchnahme von Zuständigkeiten durch Gemeinschafts- und Unionsorgane greift … Darüber hinaus prüft das Bundesverfassungsgericht, ob der unantastbare Kerngehalt der Verfassungsidentität des Grundgesetzes nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG gewahrt ist (vgl BVerfGE 113, 273 [296]) … Die Identitätskontrolle ermöglicht die Prüfung, ob infolge des Handelns europäischer Organe die in Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsätze der Art. 1 und Art. 20 GG verletzt werden. Damit wird sichergestellt, dass der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nur kraft und im Rahmen der fortbestehenden verfassungsrechtlichen Ermächtigung gilt.

      Sowohl


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