Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Stefan Storr
Klagebefugnis
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In entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO ist die Klage nur zulässig, wenn und soweit sich der Kläger auf eine Rechtsposition berufen kann, die ihm als Organ oder Organteil eingeräumt ist[79]. L macht einen Anspruch auf Akteneinsicht geltend. Unmittelbar ergibt sich ein solcher aus dem IHKG nicht. § 4 IHKG regelt die rechtliche Bedeutung der Vollversammlung und bestimmt die ihr vorbehaltenen Zuständigkeiten, trifft aber zu möglichen Akteneinsichts- und Informationsrechten genauso wenig eine Regelung wie (nach den Sachverhaltsangaben) die Kammersatzung. Ob sich in Entsprechung zum Kommunalrecht ein solcher Anspruch aus der Stellung der Vollversammlung als demokratisch legitimiertem Hauptorgan und ihren gesetzlichen Kontrollbefugnissen (vgl § 4 S. 2 Nr. 5 IHKG) oder gar dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG ableiten lässt[80], bedarf im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung keiner abschließenden Entscheidung. Es reicht aus, wenn die Möglichkeit der behaupteten Rechtsverletzung besteht. Ein berechtigtes Interesse fehlt nur dann, wenn der geltend gemachte Anspruch aus dem Mitgliedschaftsrecht dem Kläger offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise zustehen kann[81].
4. Klagegegner, Beteiligten- und Prozessfähigkeit
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Die Beteiligtenfähigkeit des Kl. ergibt sich aus § 61 Nr. 2 VwGO, da er ihm als Vollversammlungsmitglied zugewiesene Mitgliedschaftsrechte verfolgt[82]. Die Klage ist im Organstreitverfahren gegen das zuständige Organ zu richten, dem die behauptete Verletzung des Mitgliedschaftsrechts anzulasten ist, hier also den Präsidenten[83].
II. Die Begründetheit der Klage
Die Klage der L ist begründet, wenn ihr das begehrte Auskunfts- bzw Akteneinsichtsrecht zusteht.
1. Keine ausdrückliche Regelung
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Eine ausdrückliche Rechtsgrundlage im IHKG findet sich nicht (s. schon iRd Klagebefugnis). In Rheinland-Pfalz wird – anders als zB in NRW[84] – auch die Anwendbarkeit des LIFG auf Kammern in § 2 Abs. 5 LIFG ausdrücklich ausgeschlossen, so dass allenfalls ein ungeschriebenes Akteneinsichtsrecht in Betracht kommt.
2. Ableitung aus der Organstellung
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L ist gewähltes Mitglied der Vollversammlung, so dass sich der Anspruch möglicherweise aus dieser Stellung als Mitglied der Vollversammlung ableiten lässt[85]. Die Vollversammlung ist das demokratisch legitimierte Hauptorgan der Kammer, der die wesentlichen Entscheidungen über die Arbeit der Kammer vorbehalten sind, wie sich aus § 4 IHKG ergibt[86]. Dem einzelnen Mandatsträger erwachsen aus der Mitgliedschaft alle Rechte, auf deren Wahrnehmung er zur angemessenen Erfüllung seiner Funktion angewiesen ist. Die Mitglieder der Vollversammlung einer Industrie- und Handelskammer haben umfassende Mitwirkungsrechte bei der Beratung und der Entscheidung in allen in der Zuständigkeit der Vollversammlung liegenden Kammerangelegenheiten. Außerdem wählen sie die Leitungsorgane, die nach allgemeinen Grundsätzen gegenüber dem sie wählenden Organ rechenschaftspflichtig sind, so dass sich daraus ein Kontrollrecht der Vollversammlung ergibt[87]. Die Kontrolle des Präsidiums kann nur durch umfassende Informations- und Akteneinsichtsrechte gewährleistet werden. Insoweit ergeben sich Parallelen zur Rechtsstellung eines parlamentarischen Abgeordneten[88].
Da das IHKG keine Instrumente zur Ausübung dieses Kontrollrechts vorsieht, sind diese autonom von der Kammer zu regeln[89]. Die Satzung sieht ein solches Akteneinsichts- bzw Informationsrecht allerdings nicht vor. Darin könnte ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG liegen. Industrie- und Handelskammern gehören zum Bereich der funktionalen Selbstverwaltung. Das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG erlaubt es, durch Gesetz für abgegrenzte Bereiche der Erledigung öffentlicher Aufgaben besondere Organisationsformen der Selbstverwaltung zu schaffen. Nicht nur die Auswahl der auf Organisationseinheiten der funktionalen Selbstverwaltung zu übertragenden Aufgaben, sondern auch die Regelung der Strukturen und Entscheidungsprozesse, in denen diese bewältigt werden, stehen weitgehend im Ermessen des Gesetzgebers[90]. Der Gesetzgeber konnte daher das Kontrollorgan der IHK, die Vollversammlung, trotz des insoweit irreführenden Namens, als Repräsentativorgan ausgestalten[91] und diesem auch die Kontrolle des Präsidiums übertragen. Grundsätzlich stehen daher auch die für die Kontrolle unerlässlichen Informationsrechte zunächst einmal der Vollversammlung als Gesamtorgan zu[92]. Nach allgemeinen Grundsätzen kann daher ein einzelnes Mitglied nicht im Wege der Prozessstandschaft die Rechte des Gesamtorgans geltend machen[93].
Andererseits ist zu beachten, dass sich die Rechtsstellung eines Mitglieds der Vollversammlung keineswegs ausschließlich aus derjenigen des Gesamtorgans ableitet. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich um ein pluralistisch besetztes Repräsentativorgan handelt, vgl § 5 Abs. 3 S. 2 IHKG. Diese pluralistische Gestaltung einer IHK ist auch verfassungsrechtlich gefordert (s. oben Rn 70). Gerade deswegen sind „Minderheitsrechte“ von besonderer Bedeutung. Nachdem das Kammerrecht anders als das Parlamentsrecht keine Fraktionen kennt, die Minderheitsrechte gemeinsam geltend machen können, besteht für diese Kontrollbefugnisse ein besonderes Bedürfnis[94].
Damit steht dem L aufgrund seiner Stellung als Mitglied der Vollversammlung ein Akteneinsichtsrecht zu[95].
Hinweis:
Aufgrund des eindeutig angelegten Sachverhalts war vorliegend einzig nach einem aus der Zugehörigkeit zu der Organschaft Vollversammlung abzuleitenden Akteneinsichtsrecht gefragt. Insbesondere da dieser Anspruch zu bejahen ist, bedarf es im Rahmen des zu erstellenden Gutachtens keiner Erwägungen zur Herleitung eines solchen Anspruchs aus weiteren Gesichtspunkten. Denkbar – und bei entsprechender Formulierung der Fallfrage gutachterlich zu erörtern – wäre allerdings auch, dass sich das Akteneinsichtsrecht bereits aus der bloßen Mitgliedschaftsstellung herleiten lässt. Eine solche Anknüpfung muss wohl deshalb grundsätzlich möglich sein, da die Kammerzugehörigkeit nicht auf einem freien Willensentschluss der Mitglieder beruht, sondern zwangsweise begründet wurde, was sich verfassungsrechtlich nur dann legitimieren lässt, wenn den Mitgliedern ein Anspruch gegen die Körperschaft auf Unterlassung jeglicher kompetenzüberschreitender Maßnahmen eingeräumt wird (s.o.). Dieser vermag die Zwangsmitgliedschaft jedoch nur dann zu legitimieren, wenn er hinreichend effektiv ist, was insbesondere die Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände voraussetzt.
Die Problematik wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass selbst gänzlich außenstehenden Gewerbetreibenden in Situationen, in denen diesen ein – freilich eine Rechtsverletzung voraussetzender – Unterlassungsanspruch gegen die Kammer zusteht, ein entsprechendes Akteneinsichtsrecht bereits nach allgemeinen öffentlich-rechtlichen Grundsätzen zur Anspruchsverwirklichung eingeräumt wird[96].
Zu beachten ist schließlich, dass sich ein solcher Auskunftsanspruch aus dem jeweiligen LIFG ergeben kann, das jedenfalls nicht vom IHKG verdrängt wird[97]. Das IFG RP war vorliegend allerdings nach dem Bearbeitervermerk nicht zu prüfen. Es ist nach § 2 Abs. 5 auf Kammern allerdings auch nicht anwendbar.
Anmerkungen
Zum Verhältnis zum Gewerbesteuerrecht BVerwG, NVwZ 2011, 1390.
Vgl § 13d HGB; die Eintragung als solche basiert auf EU-Richtlinien, so dass nur Folgefragen an den Grundfreiheiten geprüft werden. S. etwa EuGH, NJW 2006, 3195 zur Unionsrechtskonformität des Kostenvorschusses für die Handelsregistereintragung.
Dazu schon BVerwG, NJW 1978, 904: die Pflichtmitgliedschaft finde ihren verlässlichen Anknüpfungspunkt allein