Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Stefan Storr
Reisegewerbekartenfreiheit der Tätigkeit
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Allerdings könnte eine Besonderheit des Falles darin liegen, dass überhaupt keine Genehmigung erforderlich war. Es könnte sich um einen „rollenden Laden“ gehandelt haben, der gem. § 55a Abs. 1 Nr. 9 GewO keiner Reisegewerbekarte bedarf[11]: Inhaltlich erstreckt sich die Privilegierung nur auf den Vertrieb von Lebensmitteln und anderen Waren des täglichen Bedarfs. Der Vertrieb umfasst nach der Legaldefinition in § 55 Abs. 1 Nr. 1 GewO sowohl das Feilbieten von Waren als auch das Aufsuchen von Bestellungen von Waren. Lebensmittel sind insbes Produkte des Obst- und Gemüseanbaus, der Land- und Forstwirtschaft und der Fischerei sowie rohe Naturerzeugnisse[12]. Weil das Verbot des § 56 Abs. 1 Nr. 3b GewO nach Nr. 9 letzter Hs. keine Anwendung findet, dürfen auch Alkoholika jeglicher Art feilgeboten werden[13]. Hinzu kommen Waren des täglichen Bedarfs, die man typischerweise in einem Supermarkt finden würde. Dies können etwa Kurzwaren, Reinigungs- und Putzmittel, Kleintextilien und kleinere Gartengeräte sein[14]. Zur Definition der Waren des täglichen Bedarfs verweist die Gesetzesbegründung auf die Wochenmarktartikel nach § 67 Abs. 2 GewO. Nach § 67 Abs. 2 GewO können die Landesregierungen zur Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung und die örtlichen Bedürfnisse der Verbraucher durch Rechtsverordnung den Kreis der Waren des täglichen Bedarfs bestimmen[15]. Die Artikel der Marktordnung der Stadt K decken sich hier mit dem Angebot der S. Aufgrund dieser gesetzlich angeordneten Systematik genießt die S hier die Privilegierung des § 55a Abs. 1 Nr. 9 GewO. Sie bedurfte daher keiner Genehmigung.
d) Zwischenergebnis
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Für das Ergebnis wurde dieser Fehler aber gerade nicht relevant. Vielmehr hat die Behörde sich ja gerade auf die Vorschrift gestützt, die anzuwenden gewesen wäre, wenn es nicht zu der (fingierten) Genehmigung gekommen wäre. Das Einschreiten hätte also tatsächlich wie geschehen nach § 59 iVm § 57 GewO erfolgen müssen. Es wurde lediglich die entgegenstehende Genehmigung nicht aufgehoben, die nach § 6a GewO fingiert wurde, aber ihrerseits rechtswidrig war, weil es sich um eine reisegewerbekartenfreie Tätigkeit gehandelt hat.
2. Unzuverlässigkeit
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Zu prüfen ist daher, inwieweit S unzuverlässig im Sinne von § 57 GewO gewesen ist. Die Unzuverlässigkeit des A ist infolge des Verkaufs verbotener Produkte zu bejahen. Es erscheint jedoch problematisch, ob dieses Verhalten der S zugerechnet werden kann. In jedem Fall zurechenbar ist das Verhalten von Vertretungsberechtigten bzw Betriebsleitern. Gegen diese kann nach § 59 iVm § 35 Abs. 7a GewO[16] ein eigenes Untersagungsverfahren durchgeführt werden, das allerdings akzessorisch zum Hauptverfahren ist und somit eine Untersagung gegen den Gewerbetreibenden voraussetzt. Bei sonstigen Dritten erfolgt keine unmittelbare Zurechnung deren Verhaltens; es kann sich jedoch die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden selbst daraus ergeben, dass er einem unzuverlässigen Dritten maßgeblichen Einfluss einräumt und nicht willens oder in der Lage ist, diesen Einfluss auszuschalten. Dies wird man hier in Person des A bejahen können. Die Entlassung des A könnte zwar aufgrund des Charakters der Untersagung aufgrund von Unzuverlässigkeit als Prognoseentscheidung begünstigend für die S berücksichtigt werden. Da es sich bei der Gewerbeuntersagung um einen Dauerverwaltungsakt handelt, wäre diese begünstigende Tatsache auch relevant. Allerdings verweist § 59 GewO auf § 35 Abs. 6 GewO, der ein Gestattungsverfahren vorsieht. Maßgeblicher Zeitpunkt der Beurteilung der Unzuverlässigkeit ist daher die letzte Behördenentscheidung (hier der Erlass der Untersagungsverfügung), nicht die letzte mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht. Die Entlassung des A ist bei Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Untersagung somit nicht mehr zu berücksichtigen[17].
3. Ergebnis
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Da für Ermessensfehler keine Anzeichen vorliegen, konnte die Behörde grundsätzlich aufgrund von § 59 iVm § 57 GewO die Untersagung verfügen. Im Ergebnis war die Maßnahme daher rechtmäßig.
Aufgabe 3: Ausschluss von der Teilnahme am Wochenmarkt
1. Rechtmäßigkeit des Ausschlusses von der Teilnahme am Markt (§ 70a GewO)
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S wurde wegen fehlender Reisegewerbekarte und des Anbietens alkoholischer Getränke von der Teilnahme am Wochenmarkt ausgeschlossen. Die Rechtsgrundlage für einen solchen Ausschluss ist § 70a GewO oder die entsprechende landesrechtliche Bestimmung[18].
a) Keine Reisegewerbekartenpflicht für die Teilnahme am Wochenmarkt
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Wer eine erforderliche (gewerbebezogene) Erlaubnis nicht einholt, ist grundsätzlich unzuverlässig. Allerdings stellt sich die Frage, ob hier eine solche Erlaubnis überhaupt erforderlich ist. Schon aufgrund der Systematik der GewO hat die Festsetzung einer Veranstaltung ua zur Folge, dass die Vorschriften des Titels III keine Anwendung finden. Danach entfällt bei einer Teilnahme an einem nach Titel IV festgesetzten Markt die Reisegewerbekartenpflicht[19].
Hinweis:
Sofern das Marktrecht des Titel IV wie in Rheinland-Pfalz durch ein Landesmarktgesetz ersetzt wird, stellt sich außerdem die Frage, welche Konsequenzen das auf das Verhältnis von Markt- und Reisegewerbe hat. Ginge man davon aus, dass ein Landesmarktgesetz die Anwendbarkeit des Titels III der GewO nicht sperren kann, läge ein Fall des Reisegewerbes vor. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der Föderalismusreform das bisher „einfachgesetzliche Trennungsprinzip“ der GewO „Verfassungsrang“ erhielt. Indem es nunmehr über die Gesetzgebungskompetenz entscheidet, sollte es damit sicherlich nicht seiner praktischen Bedeutung beraubt werden. Für diese Auffassung sprechen aber vor allem systematische Gründe. Das Marktrecht ist gerade keine Spezialform des Reisegewerbes, sondern eine eigenständige Form der Gewerbeausübung. Auch die Schutzbedürfnisse unterscheiden sich. Wer den Markt gezielt aufsucht, rechnet mit der Kontaktaufnahme durch die Gewerbetreibenden. Daher bedarf im Ergebnis auch die Teilnahme an landesrechtlich festgesetzten Märkten keiner Reisegewerbekarte[20].
b) Besonderheiten bei Alkoholausschank
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Die Reisegewerbefreiheit gilt allerdings für gaststättenspezifische Leistungen nur eingeschränkt. Speisen und alkoholfreie Getränke können zum Verzehr an Ort und Stelle auf festgesetzten Märkten nach § 18 Abs. 1 S. 1 LMAMG (§ 68a GewO) ohne Reisegewerbekarte angeboten werden; in den anderen Fällen, also vor allem für den Alkoholausschank, gelten nach Satz 2 die allgemeinen (gaststättenrechtlichen) Vorschriften[21]. Allerdings erscheint es unverhältnismäßig wegen des Alkoholausschanks die Teilnahme am Markt zu untersagen; es würde genügen auf das Erfordernis einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis oder einer Gestattung (§ 12 GastG) hinzuweisen und allenfalls (vorübergehend) das Sortiment entsprechend zu begrenzen.
2. Ergebnis
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Im Ergebnis war der Ausschluss vom Wochenmarkt daher rechtswidrig.
Anmerkungen
Zu den hier nicht relevanten prozessualen Fragen Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 276 f.
So oder ähnlich die allgemeine Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, vgl BVerwG, NJW 1977, 772; Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 214 ff jeweils mwN. S. zu Personengesellschaften als Gewerbetreibende Ruthig, in: Ruthig/Storr, 4. Aufl 2015, Rn 265 ff.