Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Stefan Storr

Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht - Stefan Storr


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Stimmen in Judikatur und Schrifttum[35] wäre es vertretbar, die Erlaubnispflicht nach § 34a Abs. 1 GewO mangels Bewachungstätigkeit abzulehnen. In diesem Fall würde sich die Frage der Vereinbarkeit der Genehmigungspflicht mit dem unionalen Primärrecht nicht mehr stellen. Da die Bearbeiter/innen aber zu einer erschöpfenden Diskussion der aufgeworfenen Rechtsfragen angehalten sind, sind auch in diesem Fall Ausführungen zur Vereinbarkeit mit Europarecht zu erwarten.

      b) Erlaubnisfreiheit wegen Niederlassungsfreiheit?

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      Möglicherweise verstößt aber die Erlaubnispflicht nach § 34a Abs. 1 GewO gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV und muss wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts zurücktreten (s.a. Fall 3).

      Hinweis:

      Weil mit der Genehmigungspflicht die tatbestandsmäßige Voraussetzung einer Untersagung in Frage steht, empfiehlt sich die Diskussion auch an dieser Stelle und nicht erst im Rahmen der Ermessensausübung.

      aa) Unmittelbare Anwendung

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      Die Grundsätze der Unionstreue und der einheitlichen Wirksamkeit des Unionsrechts (Art. 4 Abs. 3 EUV) gebieten seinen Anwendungsvorrang vor kollidierendem nationalen Recht[36]. Die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV ist eine unmittelbar anwendbare Norm, die von allen mitgliedstaatlichen Instanzen zu beachten ist. Indes scheidet ein unmittelbarer Durchgriff auf die Grundfreiheiten regelmäßig aus, wenn der Sachverhalt abschließend durch das unionale Sekundärrecht geregelt wird[37]. Die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit des Bewachungsgewerbes wird aber von der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen nicht abschließend geregelt, weshalb sie laut Bearbeitungshinweis auch nicht zu prüfen ist. Die Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG nimmt in Art. 2 Abs. 2 lit. k das Bewachungsgewerbe von vornherein aus ihrem Anwendungsbereich aus.

      Die Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit setzt einen grenzüberschreitenden Bezug voraus. Dieser liegt vor, wenn ein Selbstständiger aus einem anderen Mitgliedstaat in Deutschland eine (Zweig-)Niederlassung begründet oder begründen will. Auch diese Voraussetzung ist hier gegeben.

      Exkurs:

      Die Richtlinie 2005/36/EG bewirkt gerade keine Vollharmonisierung für den Zugang zu reglementierten Berufen, sondern stellt allein Anforderungen an die wechselseitige Anerkennung von im Herkunftsstaat erworbenen Befähigungsnachweisen[38]. Sollte der Richtlinie hingegen eine abschließende Regelung über die Zulässigkeit eines Genehmigungserfordernisses entnommen werden, so würde dies erst bei der Frage der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit zum Tragen kommen. Die sog. Sperrwirkung des Sekundärrechts ist im Übrigen nicht nur begrenzt durch den konkreten Regelungsinhalt der Richtlinie, sondern kann den Rechtsanwender auch nicht davon entbinden, die Sekundärrechtsnormen im Lichte des Primärrechts auszulegen[39].

      bb) Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit

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      Die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV schützt natürliche und juristische Personen. Nach Art. 54 Abs. 1 AEUV bemisst sich die Anerkennung juristischer Personen nach dem mitgliedstaatlichen Recht. Sie müssen, um Träger der Niederlassungsfreiheit zu sein, ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben. Dies trifft auf die MS Ltd. zu, die sowohl ihren satzungsmäßigen Sitz als auch ihre Hauptverwaltung in Irland hat. Als Erwerbszwecke verfolgendes Unternehmen iSv Art. 54 Abs. 2 AEUV ist für die MS Ltd. der persönliche Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet.

      In sachlicher Hinsicht schützt die Niederlassungsfreiheit die Niederlassung einer natürlichen oder juristischen Person zum Zwecke der Aufnahme und Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit und die Gründung und Leitung von Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat. Die selbstständige Erwerbstätigkeit ist jede entgeltliche Tätigkeit, die in eigener Verantwortung und weisungsfrei erfolgt. Derartige Tätigkeiten werden von der MS Ltd. erbracht. In Abgrenzung von der Dienstleistungsfreiheit müssen diese Tätigkeiten mittels einer Niederlassung erfolgen. Der primären Niederlassung als dem Wechsel der Ansässigkeit stellt Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften gleich (sog. sekundäre Niederlassung). Ihre rechtsförmliche Verselbstständigung ist nicht geboten[40]. Allerdings muss es sich um eine feste Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit handeln[41]. Die feste Einrichtung besteht hier in den angemieteten Geschäftsräumen, und nach einer wertenden Gesamtbetrachtung[42] ist davon auszugehen, dass die gewerbliche Tätigkeit mittels der Niederlassung dauerhaft ausgeübt wird.

      Die Eröffnung des Schutzbereichs könnte nur noch dann versperrt sein, wenn die Bereichsausnahme nach Art. 51 AEUV greift. Auf selbstständige Tätigkeiten, die dauerhaft oder teilweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, finden Art. 49 ff AEUV keine Anwendung. Tätigkeiten Privater sind nur dann mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden, wenn sie die Möglichkeit verschaffen, gegenüber dem Bürger von Sonderrechten und Zwangsbefugnissen Gebrauch zu machen[43]. Diese Option besitzt das private Sicherheitsgewerbe gerade nicht, wenn nicht ausnahmsweise eine Beleihung vorliegt, wie § 34a Abs. 5 GewO – deklaratorisch – zum Ausdruck bringt[44]. Deshalb greift Art. 51 AEUV nicht.

      cc) Eingriff in die Niederlassungsfreiheit

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      Art. 49 Abs. 1 AEUV verbietet Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch die Mitgliedstaaten[45]. Verboten sind demgemäß nicht nur unmittelbar und mittelbar diskriminierende Regelungen, die an die Herkunft des Unternehmens anknüpfen[46]. Nach der sog. Dassonville-Formel ist Eingriff jede staatliche Maßnahme, die unmittelbar oder mittelbar, mit tatsächlicher oder potentieller Wirkung den Gebrauch der Grundfreiheiten beeinträchtigt[47]. Das Beschränkungsverbot fordert, dass sich auch mitgliedstaatliche Maßnahmen, die sich unterschiedslos gegen Inländer und Ausländer richten, als Eingriff in die Grundfreiheiten rechtfertigen müssen. Dies sind Maßnahmen, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit behindern oder weniger attraktiv machen[48]. Hierzu gehören vornehmlich Regelungen, welche die Freiheit der Standortwahl – also den ungehinderten Zuzug oder Wegzug – beeinträchtigen. Eine Norm wie § 34a GewO, welche die Niederlassung eines Gewerbetreibenden aus einem anderen Mitgliedstaat von der vorherigen Erteilung einer Erlaubnis abhängig macht, ist eine Beschränkung iSd Art. 49 AEUV[49].

      Exkurs:

      Der EuGH hat durch die sog. Keck-Formel den Eingriffstatbestand für die Warenverkehrsfreiheit reduziert. Danach fallen mitgliedstaatliche Regelungen über bestimmte Verkaufsmodalitäten, sofern sie alle Wirtschaftsteilnehmer gleichermaßen treffen und den Absatz der inländischen und ausländischen Erzeugnisse rechtlich wie tatsächlich in gleicher Weise berühren, nicht unter das Verbot des Art. 34 AEUV[50] (Fall 2). Nicht vollends geklärt ist, ob und inwieweit sich diese Rechtsprechung auf die anderen Grundfreiheiten übertragen lässt. Für eine Übertragung der Keck-Formel spricht, dass sich in der Rechtsprechung des EuGH mittlerweile eine Konvergenz zu einer gemeinsamen Dogmatik der Grundfreiheiten feststellen lässt[51]. Ihr Zweck besteht darin, den überaus weiten Anwendungsbereich einzugrenzen, wenn nicht der Marktzugang, sondern nur Modalitäten im Markt betroffen sind[52], was wie bei der Warenverkehrsfreiheit ebenso bei den anderen Grundfreiheiten möglich erscheint[53]. Die neueste Rechtsprechung des EuGH enthält allerdings kaum noch Hinweise auf die Keck-Formel, was darauf zurückzuführen ist, dass sie sich selbst im Bereich der Warenverkehrsfreiheit als wenig praktikabel erwiesen hat. Zur Beschränkung der Weite der Dassonville-Formel wird sie zunehmend von dem Kriterium des Markzugangs und der Relevanzregel abgelöst[54]. Jedenfalls stellt ein Genehmigungserfordernis als konstitutives Hindernis für die Aufnahme einer Tätigkeit aber keine bloße


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