Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Stefan Storr

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Ebene; „besser“ auf Unionsebene

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      Mit dem Lissabon-Vertrag wurden die verfahrensrechtlichen Vorgaben erheblich erweitert: Die Kommission muss zunächst umfangreiche Anhörungen durchführen (Art. 2 Subsidiaritätsprotokoll) und ihre Gesetzesentwürfe dem Unionsgesetzgeber und den nationalen Parlamenten gleichzeitig zuleiten (Art. 4 Abs. 1 Subsidiaritätsprotokoll). Diese Entwürfe sind zu begründen (Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll). Den mitgliedstaatlichen Parlamenten kommt die Befugnis zu, binnen acht Wochen eine begründete Stellungnahme abzugeben (Art. 6 Subsidiaritätsprotokoll). Daran schließt sich ein „Verhinderungsverfahren“ an (Art. 7 Subsidiaritätsprotokoll). Hier hat die Kommission ihren Vorschlag für eine Süßigkeitenwerbeverbotsverordnung weder dem öffentlichen Anhörungsverfahren unterzogen, noch diesen den nationalen Parlamenten vorher mitgeteilt. Die Verordnung ist deshalb rechtswidrig zustande gekommen.

      B. Verstoß gegen die Grundrechte

      I. Rechtsgrundlage der europäischen Grundrechte

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      Nach Art. 6 Abs. 1 EUV erkennt die Union die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der GRC niedergelegt sind.

      Die GRC gilt für die Organe und Einrichtungen der Union unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union (Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC). Die Süßigkeitenwerbeverbotsverordnung ist eine Maßnahme der Union und deshalb an den europäischen Grundrechten zu messen. Auch soweit die Mitgliedstaaten im Vollzugswege die Süßigkeitenwerbeverbotsverordnung durchzuführen haben, sind sie an die europäischen Grundrechte gebunden.

      II. Meinungsfreiheit

      1. Schutzbereich

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      Art. 11 GRC bestimmt, dass jede Person das Recht auf freie Meinungsäußerung hat. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.

      Nach Art. 6 Abs. 3 EUV sind die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts. Deshalb hat die EMRK bei der Bestimmung der Rechte, die das Unionsrecht schützt, und des Umfanges des gewährten Schutzes besondere Bedeutung als Inspirationsquelle (vgl. a. Art. 52 Abs. 3 GRC).

      2. Eingriff

      Durch die Süßigkeitswerbeverbotsverordnung ist Werbung verboten und damit in die Meinungsfreiheit eingegriffen.

      3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs

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      Der Gesundheitsschutz ist einer der Gründe, den Art. 10 Abs. 2 EMRK als Beschränkung der Meinungsfreiheit zulässt. Ferner kommt dem Gesundheitsschutz in Art. 36 AEUV sowie in den eigenen Politiken der Union nach Art. 6 S. 2 lit. a AEUV, Art. 9 AEUV, Art. 114 Abs. 3 AEUV und Art. 168 AEUV eine herausragende Bedeutung zu. Angesichts der erheblichen Rolle des Süßigkeitenkonsums als Erkrankungsfaktor und als Ursache vielfältiger Gesundheitsprobleme in der Union wäre ein möglicher Rückgang des Süßigkeitenkonsums ein großer Gewinn für die allgemeine Gesundheit.

      Die Beschränkung der Meinungsfreiheit beruht aber auf einer Verordnung die – wie ausgeführt – nicht den Binnenmarktzielen entspricht.

      4. Ergebnis

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      Ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit liegt somit vor.

      III. Unternehmerische Freiheit

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