Der geschäftliche Betrieb als "Dritter" im Sinne des § 299 StGB. Maximilian Menn
betreffen meist sämtliche der oben angesprochenen Wettbewerbsfunktionen.[39] So bestimmt sich die Entscheidung über den Bezug eines Produkts im oben geschilderten Fall einer Bestechungszahlung nicht mehr nach den Regeln des Wettbewerbs und einem funktionsfähigen Preismechanismus, sondern primär nach eigennützigen Motiven, die mit dem Erhalt des Vorteils verbunden sind.[40] Die Regeln des Wettbewerbs werden damit in seiner Gesamtheit unterlaufen. Der Markt ist nicht mehr transparent, aus ökonomischer Sicht werden Produktion und Vertrieb nicht mehr an die Knappheit der Güter angepasst und so wird die Anpassungsfunktion des Wettbewerbs beeinflusst. Da der Gewinn nicht mehr an die Fähigkeit zur Erstellung des besten Angebots geknüpft ist, technische Neuerungen und Verbesserungen vom Markt nicht mehr honoriert werden und sich schließlich auch unproduktive Unternehmen am Markt behaupten können, sind ferner Verteilungs-, Fortschritts- sowie Auslesefunktion des wirtschaftlichen Wettbewerbs beeinträchtigt. Die Auswirkungen auf den Wettbewerbsprozess und dessen Funktionen stellen sich hier als logische Konsequenz der Zahlung von Bestechungsgeldern dar. Eines empirischen Beleges bedarf es hierzu nicht.
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Auch die strafrechtliche Fachliteratur erkennt – in Übereinstimmung mit der ökonomischen Betrachtungsweise – die oben festgestellten Beeinträchtigungen der Wettbewerbsfunktionen an. So wird als Folge der Wirtschaftskorruption vor allem das Entstehen von Wettbewerbsverzerrungen genannt.[41] An die Stelle des Leistungskriteriums bei der Wahl eines Produkts oder einer Dienstleistung trete eine finanzielle oder andersartige ungerechtfertigte Leistung.[42] Zudem entfalle der Anreiz seitens der Hersteller zur Verbesserung der Ware, da nicht mehr die Produktparameter, sondern die Summe des gezahlten Schmiergelds über den Absatzerfolg entscheiden würde.[43] Schließlich führe die Notwendigkeit der Finanzierung von Bestechungszahlungen auch zu Preiserhöhungen sowie Qualitätseinbußen der Ware.[44] Zusammenfassend stellt etwa Pfefferle fest, dass im Ergebnis ein schlechteres Produkt zu einem höheren Preis in den Wirtschaftskreislauf gerate, was wiederum zu einer Schadensverlagerung auf den Endkunden führe und so das gesamtwirtschaftliche System des fairen Wettbewerbs beschädige und zugleich das „bessere“ Unternehmen benachteilige.[45]
Meist wird von Seiten der Literatur pauschal auf eine Wettbewerbsbeeinträchtigung hingewiesen, ohne einen Bezug zu den einzelnen Wettbewerbsfunktionen herzustellen.[46] In der Sache ist damit jedoch nichts anderes gemeint als die oben dargestellten unterschiedlichen Auswirkungen auf den Wettbewerbsprozess und seine Funktionen.
2. Auswirkungen auf die Interessen der Marktteilnehmer
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Neben den Auswirkungen auf den Wettbewerbsprozess als solchen sind die individuellen Auswirkungen von Bestechungszahlungen auf die beteiligten Marktteilnehmer in den Blick zu nehmen. Auch diese können vielfältiger Natur sein. So werden potentielle Mitbewerber in ihrem wirtschaftlichen Erfolg beeinträchtigt und in manchen Fällen vom Markt verdrängt. Denn die Zahlung von Bestechungsgeldern führt in der Regel dazu, dass nicht mehr das beste Angebot, sondern die Zahlung des Schmiergeldes über die Auftragsvergabe entscheidet. Dies ist jedoch nicht zwingend der Fall. So kann es möglich sein, dass trotz Zahlung von Bestechungsgeldern dennoch das beste Angebot den Zuschlag erhält. Ein eindeutiger Beleg, der die negativen Auswirkungen für Mitbewerber als zwingende Folge von Bestechungszahlungen stützen würde, fehlt damit.
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Gleiches gilt im Ergebnis für die etwaigen erhöhten Kosten bei den beteiligten Marktteilnehmern. In der Regel ist eine Kostenerhöhung die Folge von Korruption, führt man sich einmal vor Augen, dass die zum Teil beträchtlichen Summen auch aus irgendeiner Tasche bezahlt werden müssen. In den meisten Fällen werden die Summen durch das bestechende Unternehmen zunächst auf den Händlerpreis und von diesem wiederum auf seinen Endkundenpreis aufgeschlagen. Eine Verteuerung der Ware beim Verbraucher ist dann letzten Endes die Folge.[47] Eine konkrete Bezifferung der Schäden bei den Beteiligten wie auch die konkrete Benennung des letztlich Geschädigten sind aber zumeist kaum zu leisten.
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Schließlich sind die Interessen des Geschäftsherrn bei der Annahme von Bestechungsgeldern durch seine Angestellten oftmals beeinträchtigt. So vertritt der Angestellte in erster Linie nicht mehr die Interessen des Unternehmens, sondern ist vielmehr an dem Erhalt persönlicher Vorteile interessiert. Dies kann dazu führen, dass das eigene Unternehmen Waren von minderwertiger Qualität bzw. zu überhöhten Preisen erhält oder aber auch Waren, für die überhaupt kein Bedarf besteht, einkauft. Auch kann durch die Aufdeckung von Korruption der Ruf des Unternehmens beschädigt werden oder bei mangelnder Aufsicht auch Unternehmensgeldbußen und Geldbußen gegen Führungskräfte nach §§ 130, 30 OWiG verhängt werden. Die Mitarbeiter selbst können durch wirtschaftliche Schäden der beteiligten Unternehmen von Kurzarbeit oder auch betriebsbedingten Kündigungen bedroht sein. Dennoch sind auch diese Auswirkungen im Einzelfall keinesfalls zwingend.
3. Auswirkungen auf die Wirtschaftsmoral
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Des Weiteren wird von Seiten der strafrechtlichen Literatur vereinzelt vorgetragen, dass Bestechungszahlungen sich auf die Wirtschaftsmoral dergestalt auswirken, dass sie zu einer Art Nachahmungseffekt und damit zu einer zunehmenden Verbreitung von Korruption im Geschäftsverkehr führen.[48] Durch die Sogwirkung der Bestechung werde eine Art Kettenreaktion ausgelöst, indem andere Marktteilnehmer versuchen würden, mit ähnlichen Mitteln konkurrenzfähig zu bleiben.[49]
Zwar scheint eine gewisse negative Auswirkung auf die Wirtschaftsmoral und der damit verbundene Werteverfall im Einzelfall durchaus nachvollziehbar, doch ergibt sich auch dies nicht als zwingende Folge von Bestechungszahlungen. So ist es zunächst auch denkbar, dass erst ein möglicher Wertewandel in der Gesellschaft zu einer Zunahme von Korruption geführt hat und nicht umgekehrt.[50] Auch würde der Gebrauch des Wortes „Werteverfall“ in dem Kontext entweder voraussetzen, dass die Wertevorstellungen früherer Zeiten höher gewesen sind als die heutigen oder aber, dass ein Anstieg der Bestechungen in der Privatwirtschaft in den letzten Jahren zu verzeichnen ist.[51] Dies erscheint vor dem Hintergrund der bereits seit der Jahrhundertwende um 1900 einsetzenden Bekämpfung des sog. Schmiergeldunwesens[52] sowie der in den letzten Jahren nur leicht ansteigenden Anzahl der Straftaten nach § 299 StGB äußerst fragwürdig. Schließlich ist die Beantwortung einer solchen Frage eher eine soziologische als eine ökonomische.[53] Von einem flächendeckenden und belegbaren Verfall der Wirtschaftsmoral durch Bestechungszahlungen kann jedenfalls nicht die Rede sein.
4. Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland
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Auch negative Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland durch Bestechungszahlungen werden zum Teil als Folge von Korruption gesehen. Die Frankfurter Halbmonatsschrift „Das freie Wort“ wies bereits am 5.11.1901 in einem Artikel mit dem Titel „Innere Ursachen für den Niedergang der Industrie in Deutschland“ auf mögliche Schäden der deutschen Exportwirtschaft hin.[54] Ähnliche Auswirkungen sind auch in der heutigen Zeit denkbar. So wird ausgeführt, dass in einem internationalen Wirtschaftswettbewerb Bestechung dazu führen könne, dass ausländische Investitionen in Folge der Verweigerung des Zugangs zu einem korrupten und abgeschotteten Auftragsmarkt zurückgehen oder gar ausbleiben würden.[55] Eine solche Befürchtung hat Steinrücken graphisch verdeutlicht und daraus abgeleitet, dass zwischen dem inländischen Korruptionsniveau und den jährlichen ausländischen Direktinvestitionen ein Zusammenhang besteht.[56]
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Ob dieses Ergebnis zutreffend ist, mag dahingestellt bleiben. Dagegen könnte jedenfalls eingewendet werden, dass negative Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland nur dort denkbar sind, wo durch Bestechungszahlungen in direkter Weise ausländische Investitionen verhindert werden. Korrupte Handlungen sind aber auch durch ausländische Investoren selbst denkbar und könnten dann zu einer Verdrängung inländischer Mitbewerber führen. Außerdem scheint eine nennenswerte Schädigung der Gesamtwirtschaft nur bei einer hohen Verbreitung von Korruption vorstellbar. Diesbezüglich