Ius Publicum Europaeum. Robert Thomas
hat.
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Historisch finden sich bereits weit vor der Gründung des belgischen Staates Beispiele für Urkunden, die auf dem Gebiet des heutigen Belgiens den jeweiligen Fürsten dazu verpflichteten, das Eigentum und die Rechte seiner Untertanen zu achten. Ferner wurden Räte an den Höfen der Fürsten gebildet, welche den nicht minder wichtigen Zweck verfolgten, die Fürsten bei der Gesetzgebung zu unterstützen.
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So hatte bereits im Jahr 1312 der durch die Charta von Kortenberg eingerichtete Rat von Brabant unter bestimmten Voraussetzungen die Aufgabe, die Handlungen des Herrschers zu kontrollieren.[9] In der Grafschaft Flandern wurde mit dem Ziel, eine ordentliche Verwaltung aufzubauen, von Philipp II. dem Kühnen am 15. Februar 1386 die Ratskammer in Lille geschaffen, ein Gericht, welches die Handlungen des Herzogs und der Beamten sowie die öffentlichen Ausgaben überprüfen sollte. Dadurch, dass die Mitglieder des Gerichts mit Gewährleistungen ausgestattet wurden, entstand der Eindruck, diese Einrichtung sei ins Leben gerufen worden, um ein Gemeininteresse zu schützen.[10]
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Im Fürstbistum Lüttich[11] entstand mit dem Rat der XXII eine der für die damalige Zeit bemerkenswertesten Verwaltungsgerichtsbarkeiten.[12] Im Kern ging es dabei um die Ahndung der Gewalttätigkeiten der weltlichen Beamten des Fürsten im Rahmen der Verwaltung des Fürstbistums. Nach mehreren vorangegangenen Versuchen führten verschiedene Umstände (unter anderem der Machtanspruch des Fürstbischofs Adolf von der Mark)[13] nach dem Frieden von Fexhe von 1316[14] (bis zum Ende des Ancien Régime die Grundlage der Verfassung Lüttichs)[15] zunächst zum Brief der XX und im Jahre 1343 schließlich zum Rat der XXII.[16]
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Bereits im Frieden von Fexhe wurde der Bischof verpflichtet, seine Beamten schwören zu lassen, die Gesetze, Freiheiten und Bräuche zu achten. Verletzten die Beamten diesen Eid, konnte der Fürst dafür verantwortlich gemacht werden. Dies ging so weit, dass das Domkapitel das Gerichtswesen aussetzen konnte oder sogar zum Aufstand gegen den Fürsten berechtigt war.[17] In der Praxis erwies sich diese Sanktionierung jedoch als undurchführbar und impraktikabel.[18] In der Folge ermöglichte die Existenz des Rats der XXII im Wesentlichen, Beamte für von ihnen begangene Schädigungen persönlich zur Verantwortung zu ziehen und „von allen Malefikanten, Richtern oder Beamten die in Ausübung ihres Amtes begangenen Übergriffe und gefällten falschen Urteile zu ahnden“[19].
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Der Rat der XXII trat in der Lütticher Lambertus-Kathedrale zusammen und besaß die Zuständigkeit, in bestimmten Fällen,[20] in denen Beamte ihr Amt missbraucht hatten, Recht zu sprechen. Er wurde am 25. Februar 1344 aufgelöst, jedoch bereits 1373 unter Johann von Arkel im Zuge des Friedens der XXII in derjenigen Form, die er auch in Zukunft beibehalten sollte, wiedereingesetzt. Von Johann von Bayern im Jahr 1408 erneut aufgelöst und später von Johann von Heinsberg wiedereingesetzt, fristete der Rat Jahrhunderte lang ein bescheidenes Dasein. Später konnte er sich vollständig bewähren, insbesondere während der Jahre nach der schweren Niederlage Lüttichs gegen das Heer Karls des Kühnen. Vier weitere Frieden der XXII bestimmten im späteren Verlauf die Zuständigkeiten des Gerichts näher. So war es auch zuständig für die Überwachung der Einhaltung der Friedensabkommen zwischen den Fürstbischöfen und deren Untertanen.[21]
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Der Rat der XXII von 1373 bestand aus 22 Richtern, die jährlich von den drei Landständen (Domkapitel,[22] Adelige [Bannerherren und Ritter] sowie freie Städte [Lüttich, Huy, Dinant, Sint-Truiden, Tongern, Fosses und Beulen]) gewählt wurden. Somit waren die Richter keine Vertreter des Fürstbischofs. Der Rat trat mindestens einmal im Monat zusammen und wurde bei seiner Tätigkeit von einem Gerichtskanzler, einem Gerichtsschreiber, mehreren Wachmännern, Übersetzern sowie einem Prokuristen für Steuerangelegenheiten unterstützt. Ab 1376[23] unterstand der Fürstbischof selbst nicht mehr der Jurisdiktion des Rats. Dieser hatte vielmehr die Aufgabe über Amtsmissbräuche, Eingriffe in das Eigentumsrecht und die persönliche Freiheit oder Rechtsverweigerungen zu entscheiden. Nach dem dritten Frieden der XXII sowie dem Frieden von Saint-Jacques von 1487 durfte der Fürstbischof „die Handlungen seiner Beamten nicht [mehr] in seine Verantwortung ziehen“, da er der Gerichtsbarkeit des Rats der XXII nicht unterworfen war. Wie Eugène Polain feststellte, „kannte das Lütticher Land [alles in allem] bereits ab dem 14. Jahrhundert den heute in Art. 88 der belgischen Verfassung verankerten Grundsatz: Die Person des Königs ist unverletzlich, seine Minister [hingegen] sind verantwortlich.“[24] Darüber hinaus konnte der Rat auf Antrag Stellungnahmen abgeben und Rechtsauslegungen vornehmen.[25]
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Allerdings war der Rat schnell mit einer großen Anzahl rechtsmissbräuchlicher Klagen konfrontiert.[26] Als Reaktion hierauf wurde durch den Frieden von Saint-Jacques von 1487 ein Berufungsverfahren vor einem Spruchkörper der Landstände geschaffen: die Revisionsstände der XXII. Dieses Gericht bestand aus 14 „Vertretern der Revisionsstände“, die von den verschiedenen politischen Körperschaften des Fürstbistums ernannt wurden.[27] Gegen das Urteil der Revisoren stand kein Rechtsmittel mehr offen.[28]
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Zu Beginn des 17. Jahrhunderts[29] – „auf dem Höhepunkt seiner Macht“[30] – verlor der Rat der XXII zugunsten des Fürsten nach und nach an Glanz und Unabhängigkeit. In der Endphase des Ancien Régime gelang es dem Gericht trotz ernsthafter Versuche nicht mehr, seine Daseinsberechtigung unter Beweis zu stellen. Im Juli 1794 wurde es schließlich aufgelöst.[31] Mirabeau soll dennoch bei einem Aufenthalt in Lüttich Folgendes geäußert haben: „Meine Herren Lütticher, was können Sie denn sonst noch begehren? Wir in Frankreich könnten uns glücklich schätzen, erhielten wir nur einen Teil des Freiheitsschutzes, über den Sie bereits seit Jahrhunderten verfügen.“[32]
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Neben diesen historischen Ereignissen prägten den belgischen Staatsrat in seiner heutigen Form vor allem auch die Institutionen Frankreichs unter Napoleon.[33] Belgien und das Lütticher Land wurden durch das Dekret vom 9. Vendémiaire des Jahres IV (1. Oktober 1795) Teil Frankreichs. In der Folge unterstanden sie, ebenso wie das übrige Gebiet Frankreichs, dem von Art. 52 der Verfassung vom 22. Frimaire des Jahres VIII (13. Dezember 1799) vorgesehenen und vom Erlass vom 4. Nivôse des Jahres VIII (25. Dezember 1799) eingesetzten kaiserlichen Staatsrat.[34] Damit folgte Napoleon einer alten Rechtstradition, wonach Rechtsstreitigkeiten, die die Verwaltung betreffen, den ordentlichen Gerichten entzogen sind und die Verwaltung damit, anders als der einzelne Bürger, nicht der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterliegt.[35]
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In diesem Staatsrat waren alle den Kaiser und dessen Politik unterstützenden politischen Strömungen vertreten. Er hatte vor allen Dingen die Aufgabe, die Gesetze[36] und Rechtsverordnungen der öffentlichen Verwaltung zu verfassen und war daher aktiv an der Ausarbeitung großer Gesetzbücher (Code civil und Code pénal) sowie der grundlegenden Gesetze dieser Zeit beteiligt.
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Durch Art. 11 des Erlasses vom 5. Nivôse des Jahres VIII (26. Dezember 1799)[37] wurde dem Staatsrat zusätzlich die Zuständigkeit für Entscheidungen über „Streitigkeiten zwischen der Verwaltung und den Gerichten […], über die bislang die Minister zu befinden hatten“, übertragen. Ursprünglich wurden Verwaltungsstreitigkeiten zunächst von einer Abteilung des Staatsrates geprüft und anschließend dem Plenum vorgelegt. Durch Dekret vom 11. Juni 1806[38] wurde dieses Verfahren geändert und ein Ausschuss für Verwaltungsstreitigkeiten mit der Vorprüfung betraut. Vorsitzender dieses Ausschusses war der Justizminister als Großrichter, ihm zur Seite standen sechs Entscheidungsvorbereitungsräte (maîtres des requêtes) und sechs Beisitzer (auditeurs). Zu den letztgenannten zählten vier Belgier: Charles Philippe Alexandre d’Arberg, Goswin de Stassart, Antoine Vischer de Celles und Dieudonné Duval de Beaulieu. Am Ende des Verfahrens musste jedoch nach wie vor der Kaiser die Vollstreckbarkeit der vom Staatsrat getroffenen Entscheidung