Gegenwindschiff. Jaan Kross

Gegenwindschiff - Jaan Kross


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sich bislang unbekannte Berechnungs- und Schleifmethoden angeeignet haben sollen. Also, Herr Schmidt, wollen Sie mir nicht verraten, worin Ihr Geheimnis besteht?!‹

      Schmidts Mund wurde von den Fingern, die die Zigarre hielten, verdeckt, weswegen ich beim besten Willen nicht ausmachen konnte, ob unter seinem Schnauzer ein Schmunzeln aufblitzte oder nicht. Er überlegte einen Augenblick:

      ›Was für ein Geheimnis soll das sein? Die Werkzeuge sind alt. Aber die Methode natürlich neu.‹

      ›Ja?!‹, rief Vater aufrichtig begeistert, ›das klingt ja äußerst geheimnisvoll. Erklären Sie doch, was das heißt! Was für eine neue Methode ist das?‹

      Wie gesagt, wir hatten gehört, dass Schmidt angeblich so gut wie niemanden in seine Werkstatt ließ. Fremde schon gar nicht. Aber der Name von Professor Kelter war ihm natürlich nicht fremd. Und Vaters Interesse für seine Methode erschien Schmidt verdammt echt – und das war Herrgottnochmal auch der Grund, weshalb Schmidt auftaute. Nun, das kam nicht ganz unerwartet. Man kann es sich vorstellen: Das aufrichtige Interesse eines namhaften Experten und der geheim gehaltene Sachverstand eines Eremiten treffen bei einem Glas Schnaps aufeinander. Schmidt winkte Frau Bretschneider herbei:

      ›Schreiben Sie drei Korn auf meine Rechnung.‹

      ›Aber Herr Schmidt, ich habe Ihnen doch nur einen gebracht‹, korrigierte ihn die Wirtin.

      ›Zwei habe ich aus der Flasche von Professor Kelter genommen. Streichen Sie die zwei von seiner Rechnung.‹

      Vater versuchte zu protestieren, aber Schmidt war bereits aufgestanden: ›Kommen Sie und schauen Sie es sich an.‹

      Schmidt ging voran. Vater beglich eilig die Rechnung und schnappte sich die Flasche Korn vom Tresen, als er an der Wirtin vorbeiging, und steckte sie ein. Schmidts Keller lag gleich nebenan. Eine Minute später schloss er in unserer Anwesenheit die Tür des einstigen Kegelkellers auf und machte das Licht an.

      Ein langer flacher Raum. Wie zu erwarten war. Die Kegelbahn, gut eineinhalb Meter breit und ein Dutzend Meter lang, wie das so ist, nahm den Großteil des Raums ein. An den schmutzigen Putzwänden hingen Sternenkarten, Drahtrollen, Chronometer, obskure Instrumente, diverse Skizzen von Linsen, Spiegeln und Reflektoren, manche eher schief und schematisch, einige Holz- und Blechpropeller verschiedenster Größe, teils von Booten, teils von Windmaschinen, sowie zwei alte Strohhüte. Die Kegelbahn selbst war in der Mitte durchgesägt worden. Ein Stück von einem Meter Breite war entfernt worden, sodass eine Art Durchgang entstanden war. Das dem Eingang zugewandte Ende der Kegelbahn, Sie verstehen, war mit kleinen Beinen behelfsmäßig um vierzig Zentimeter erhöht worden. Daraus war ein langgezogener Arbeitstisch entstanden, übersät mit Apparaten, Büchern und Zeichnungen. Auf der tieferliegenden Seite der Kegelbahn standen offenbar selbstgebaute Geräte ohne eindeutige Funktion, jedenfalls keine Schleifgeräte, das war klar.

      Vater fragte, aus welchen Gründen sich Schmidt für so einen ungewöhnlichen Raum als Werkstatt entschieden hatte. Schmidt erklärte, dass er viele Vorteile bot: eine günstige Miete, reichlich Quadratmeter, eine mehr oder weniger horizontale Fläche, dort wo die Kegelbahn verlief.

      Vater sagte: ›Aber es ist unsagbar kalt.‹

      ›Aber konstant kalt. Wenn man die Heizkörper ausgestellt lässt. Das ist die wichtigste Voraussetzung für präzises Schleifen‹, sagte Schmidt.

      Er marschierte vorneweg ins Innere des Raums und deutete auf das große Wandregal. Darauf lagen in Reihen, allerdings nicht besonders ordentlichen Reihen, Lappen aus Sämischleder und Glasstücke, unterschiedlich in ihrer Form und offenbar auch in ihrer Härte und Qualität.

      ›Bitte‹, sagte Schmidt, meinem Eindruck nach ein wenig naiv und triumphierend, ›mein Instrumentarium.‹

      ›Und das ist wirklich alles?!‹, fragte Vater.

      ›Natürlich noch eine Bank‹, Schmidt deutete auf die pedalbetriebene Drehbank vor dem Regal.

      Vater rief: ›Aber das Ding ist ja sicher fünfzig Jahre alt – um nicht zu sagen aus Spinozas Zeiten?!‹

      ›In der Tat‹, sagte Schmidt, ›gute fünfzig Jahre. Nur habe ich sie selbst justiert.‹

      Vater sah sich ungläubig um und blickte zu Schmidt, weil dessen Antwort seiner Meinung nach absurd war. Auch meiner Meinung nach. Weshalb Vater nochmals fragte:

      ›Und das ist wirklich Ihr ganzes Instrumentarium?‹

      ›Ja. Natürlich inklusive meines Hauptinstruments‹, sagte Schmidt – wissen Sie, und deutete dabei ein eigenartiges, leicht rüpelhaftes Grinsen an. ›Und das ist nicht viel neuer. Es ist sechsundvierzig Jahre alt …‹

      ›Um welches Instrument handelt es sich?‹, fragte Vater.

      Schmidt sagte: ›Um dieses‹, und streckte seine eine Hand meinem Vater recht unhöflich unter die Nase.

      Natürlich nahm mein Vater es ihm nicht übel. Dafür interessierte Schmidt ihn zu sehr, verstehen Sie? Also begann er zu lachen und sagte:

      ›Gut, gut. Dieses Instrument, selbstverständlich. Aber das hat doch jeder Handwerker, bei manchen ist es natürlich etwas genauer als bei anderen. Die zentrale Frage ist in solchen Fällen doch die nach der Methode. Sie sagten ja selbst, dass Sie eine neue Methode hätten. Erklären Sie, worin diese besteht!‹

      Schmidt blickte Vater direkt in die Augen und spitzte die Lippen, und ich konnte nicht beurteilen, wie ernst oder unernst man seine Antwort nehmen konnte. Er formulierte es, wenn ich mich recht erinnere, etwa so:

      ›Die Methode ist selbstverständlich neu. Oder eben sehr alt. Die älteste. Nur wird sie selten praktiziert.‹

      Er schwieg und Vater ließ nicht locker: ›Das ist verdammt interessant. Worum geht es also?‹

      ›Es geht darum, dass ich das Glas frage.‹

      ›Fragen? Wie das?‹

      ›Ich frage das Glas. Ob ich den richtigen Weg eingeschlagen habe oder mich verrenne.‹

      ›So? Und das Glas antwortet?‹

      ›Mhm.‹

      ›Und dann?‹

      ›Dann tue ich das, was es mir sagt.‹

      Vater lachte schallend: ›Und welche Sprache benutzen Sie?‹

      Schmidt lächelte, sicher, aber ich beobachtete ihn aufmerksam, und mir schien, dass er in gewisser Weise wirklich durcheinander war:

      ›Hm, darüber habe ich noch nie nachgedacht … Glassprache … Oder vielleicht Estnisch. Ja, gewiss Estnisch‹, sagte er mit fast schon kindlicher Heureka-Freude, wie mir schien.

      Vater lachte: ›Das muss ja eine recht spiegelhafte Sprache sein!‹ Er setzte sich auf den Rand der langen Werkbank, als sei er zu Hause und begann damit, Schmidt konkrete Fragen zu stellen: Etwa, ob es der Wahrheit entspreche, dass er, Schmidt, wie man sich erzählte, in der Lage sei, mit seiner Hand zonale Abweichungen von Tausendstel Millimetern auf der Oberfläche eines Parabolspiegels zu fühlen. Schmidt bestätigte, dass dies der Wahrheit entsprach. Vater sagte, verzeihen Sie, Herr Schmidt, aber das glaube ich Ihnen nicht. Schmidt ging zur anderen Seite der Werkbank und zog zwei, drei große Schubladen heraus. Darin lagen konkave Spiegel mit verschiedenen Durchmessern, von fünfzehn bis dreißig Zentimetern:

      ›Suchen Sie sich einen aus, Professor. Das sind Arbeiten der Glashütte Goerz. Allesamt ungleichmäßig.‹

      ›Einverstanden‹, sagte Vater, ›ich nehme den in der Mitte. Und was nun?‹

      ›Nehmen Sie das Eichmaß hier. Sie prüfen mit dem Eichmaß die Abweichungen und schreiben sie auf. Wie bei einer Zielscheibe. Uhrzeit und Punkte. Und die Größe der Abweichung. Wenn wir sie gefunden haben. Ich prüfe sie mit der Hand. Und schreibe meine Ergebnisse selbst auf. Danach vergleichen wir unsere Notizen und kontrollieren die Ergebnisse.‹

      Wissen Sie, die beiden haben sich eine Stunde lang mit diesem Spiegel


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