ad Hannah Arendt - Eichmann in Jerusalem. Werner Renz
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Werner Renz
ad Hannah Arendt Eichmann in Jerusalem
Die Kontroverse um den Bericht
»von der Banalität des Bösen«
E-Book (ePub)
© CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2021
Alle Rechte vorbehalten.
Covergestaltung: Christian Wöhrl, Hoisdorf
Signet: Dorothee Wallner nach Caspar Neher »Europa« (1945)
ePub:
ISBN 978-3-86393-584-9
Auch als gedrucktes Buch erhältlich:
© CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2021
Print: ISBN 978-3-86393-125-4
Informationen zu unserem Verlagsprogramm finden Sie im Internet unter
www.europaeischeverlagsanstalt.de
Inhalt
Arendts Kritiker: »Arendt-Kontroverse«
1. Die Anklagevertretung und ihre Strategie
2. Der Angeklagte und seine Rolle im Vernichtungsprozess
3. Die Judenräte und ihre Kooperation
4. Die Prozessbeobachterin und ihr Ton
Arendts Erfolg bei den Deutschen
»Ein Prozess ist nicht dazu da,
Geschichte zu machen,
sondern Recht zu sprechen.«1
Adolf Eichmann vor Gericht war für Hannah Arendt Gelegenheit und Herausforderung zugleich, die Reichweite ihrer Urteilskraft zu ermessen. »[P]olitisch denken und historisch sehen«2 hatte die Schülerin von Martin Heidegger und Karl Jaspers im bereits Mitte 1933 beginnenden Exil in Frankreich gelernt. Aus Deutschland musste Arendt fliehen, nachdem die Berliner Gestapo sie vorübergehend verhaftet hatte. Ins Visier der Geheimen Staatspolizei war sie geraten, weil sie im Auftrag der Zionistischen Vereinigung für Deutschland in der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin eine »Sammlung aller antisemitischen Äußerungen auf unterer Ebene« anlegen wollte.3
Von Auschwitz, vom Mord an den europäischen Juden, erfuhr sie zehn Jahre später in New York.4 1941 war ihr zusammen mit ihrem Mann Heinrich Blücher die Flucht nach Amerika gelungen. Als bei der staatenlosen Exilantin die Erkenntnis reifte, dass geschehen war, was nicht hätte geschehen dürfen, so Arendt5 bereits 1948, stellte sie sich die Aufgabe, das präzedenzlose Ereignis zu verstehen. Das Unbegreifliche denkend zu durchdringen war eine existenzielle Herausforderung, denn es galt einen Zustand zu überwinden, den sie in einem Brief an Kurt Blumenfeld, bis 1933 Präsident der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, ergreifend beschrieb. Arendt meinte, sie könne sich nicht ausdrücken, »weil mir meist das Herz zu schwer ist und mir zu mies ist vor tout le monde. Sieh mal, es ist einfach so, daß ich über die Vernichtungsfabriken nicht wegkommen kann, und zwar in jener Region des brutal Tatsächlichen, in welcher diese neueste Fabrikationsart noch nicht einmal mehr etwas mit Juden zu tun hat oder mit Deutschen.«6
Arendts unbedingtes »Bedürfnis zu verstehen«, sich dem welthistorischen Ereignis denkend auszusetzen, den Zustand der Sprachlosigkeit zu überwinden, zeitigte das Totalitarismus-Buch von 1951.7 Der fortwährende Drang zum »Verstehenmüssen«8 führte sie eine Dekade später zum Prozess gegen Adolf Eichmann nach Jerusalem.
Arendts Grundüberzeugungen
Will man Arendt und ihr 1963 erschienenes, viel diskutiertes und umstrittenes Buch über den Eichmann-Prozess1 zutreffend bewerten, muss man sich vor Augen führen, mit welchen Grundüberzeugungen sie zur Prozessbeobachtung fuhr. Ihre wiederholt gebrauchte Rede vom Geschehen, das nicht sich hätte ereignen dürfen, erläuterte sie mit einem Hinweis auf Immanuel Kant. Der Königsberger Philosoph meinte, in einem Krieg solle kein Staat sich Feindseligkeiten erlauben, die »das wechselseitige Zutrauen im künftigen Frieden unmöglich machen müssen«.2 Mit ihrem Rückgriff auf Kant verdeutlichte Arendt, dass das deutsche Verbrechen an der Menschheit, das sie in Ermangelung eines besseren Begriffs mit Al Carthill »›Verwaltungsmassenmord‹«3 nannte, in Dimension und Totalität ein beispielloses Ereignis darstellte, das aus keiner Tradition zu erklären war.
Für Arendt hatte sich in »Auschwitz […] der Boden der Tatsachen in einen Abgrund verwandelt, in den jeder hineingezogen werden wird, der nachträglich versucht, sich auf ihn zu stellen.«4 Anders gesagt: Es gab nach Auschwitz für Arendt keinen Denkstandort mehr in der Welt. Alle Tradition, die in der Vergangenheit Orientierung ermöglicht hatte, war an Auschwitz zuschanden geworden.
Das angesichts von Auschwitz empfundene sprachlose »Entsetzen« galt »nicht dem Neuen schlechthin, sondern der Tatsache, daß dies Neue den Kontinuitätszusammenhang unserer Geschichte und die Begriffe und Kategorien unseres Denkens sprengt. Wenn wir sagen: Dies hätte nicht geschehen dürfen, so meinen wir, daß wir dieser Ereignisse mit den großen und durch große Traditionen geheiligten Mitteln unserer Vergangenheit weder im politischen Handeln noch im geschichtlich-politischen Denken Herr werden können.«5 Und weiter: »In diesem Strudel haben schließlich die totalitären Bewegungen mittels einer höchst ingeniösen Verbindung