ad Hannah Arendt - Eichmann in Jerusalem. Werner Renz

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der Vorabdruck im New Yorker ausfallen werde. Durchaus zu ihrer Überraschung war die Redaktion bereit, nahezu den gesamten Text zu veröffentlichen. An Jaspers heißt es: »Es ist ein Buch geworden, aber der ›New Yorker‹, der ganz außergewöhnlich begeistert ist, will versuchen, das Ganze zu drucken – was wegen Geld sehr angenehm wäre.«33 Ende Oktober 1962 hatte sich die Sache endgültig geklärt: »Der Eichmann-Artikel ist auch ein Buch geworden, und zur Verwunderung aller wurde er fast in ganzer Länge von The New Yorker angenommen.«34

       Arendts Israelperspektive

      Arendt reiste mit allerhand israelkritischen Auffassungen nach Jerusalem. Als Gegnerin des Teilungsplans, als Fürsprecherin einer jüdisch-arabischen (palästinensischen) Verständigung war die einstige Zionistin eine Kritikerin der Staatsgründung von 1948 und somit des Ben-Gurion-Staats. Die Schaffung eines jüdischen Nationalstaats inmitten von feindlichen Nachbarn erachtete sie als ein politisch höchst gefährliches, gar selbstmörderisches Unterfangen. Die »Vernunftzionistin«1 betrachtete aber das Recht der Juden auf eine Heimstätte in Palästina sowie nach dem Holocaust die Einwanderung der in Lagern (Camps für sogenannte Displaced Persons) festgehaltenen Überlebenden in das britische Mandatsgebiet als gerechtfertigte historische Notwendigkeit. Den 1948 mit dem Segen der Vereinten Nationen gegründeten, auf externe Hilfe und Unterstützung angewiesenen Staat hielt sie jedoch für einen nationalistischen Irrweg, der keine friedliche Zukunft versprach.

      Bereits im März 1945 schrieb Arendt nicht ohne Prophetie im New Yorker Aufbau: »Ein Jüdisches Nationalheim, das von dem Nachbarvolk nicht anerkannt und nicht respektiert wird, ist kein Heim, sondern eine Illusion – bis es zu einem Schlachtfeld wird.«2 Arendt war keineswegs eine kompromisslose Antizionistin. Der Weg, den sie zusammen mit Martin Buber und Judah Leon Magnes präferierte, darf angesichts der desolaten Situation im Nahen Osten heute noch als die einzig friedliche, nicht repressive, auf Ausgleich und Partnerschaft setzende, wenn auch utopische Notwendigkeit gelten.3

      Neben ihren Bedenken angesichts der ungeklärten Rechtsfragen hatte Arendt erhebliche politische Besorgnisse. Sie resultierten aus ihrer zionismuskritischen Haltung und ihren Einwänden gegen die nationalistischen Bestrebungen der Jerusalemer Regierung. So meinte sie Monate vor Prozessbeginn: »Nehmen wir an, der Prozeß wird tadellos geführt. Dann habe ich die Befürchtung, daß Eichmann erstens beweisen kann, daß kein Land Juden wollte (also die Art von zionistischer Propaganda, die Ben Gurion will und die ich für ein Unheil halte) und zweitens demonstrieren wird, in welchem ungeheuerlichen Ausmaß die Juden mitgeholfen haben, ihren Untergang zu organisieren. Dies ist zwar die nackte Wahrheit, aber diese Wahrheit, wenn sie nicht wirklich erklärt wird, könnte mehr Antisemitismus erregen als zehn Menschenraube. Es ist leider eine Tatsache, daß Herr Eichmann persönlich keinem Juden ein Haar gekrümmt hat, ja daß sogar die Auslese derer, die verschickt wurden, nicht von ihm oder seinen Helfershelfern besorgt worden ist.«4

      Die zuerst genannte, historisch verbürgte Tatsache war Arendt eigentümlicherweise keine nackte Wahrheit, die die Staatengemeinschaft zu ihrer Beschämung und die Weltöffentlichkeit unbedingt zu wissen hatten. Die andere, durchaus strittige hingegen ein offenbar feststehender, wenn auch noch zu erklärender Sachverhalt.

      Unschwer erkennbar ist, welche Spuren Raul Hilbergs unveröffentlichte Arbeit5 über die Vernichtung der europäischen Juden neben León Poliakovs Werk Bréviaire de la Haine6 und H. G. Adlers Theresienstadt-Buch7 in ihrer Darstellung hinterlassen hatten. Überzeugende Beweise blieb sie freilich, wie noch zu zeigen ist, für nicht wenige von ihr behauptete Tatsachen schuldig. Arendts Denken »ohne Geländer«8 war mitunter recht freihändig und setzte ihr Werk erwartbarerweise der Kritik aus.9

       Der Prozess: Rechtsgrundlagen

      Die im Dezember 1948 von den Vereinten Nationen beschlossene Konvention über die Verhütung und Bestrafung von Völkermord hatte Israel 1949 ratifiziert und sich verpflichtet, die Strafnorm in die nationale Gesetzgebung aufzunehmen. Im März 1950 verabschiedete die Knesset das entsprechende Gesetz.1 Doch für den jungen Staat gab es noch ein innenpolitisches Problem, das gesetzgeberisch zu lösen war. Holocaust-Überlebende hatten gegen ehemalige Funktionshäftlinge und Ghettopolizisten Anzeige erstattet. Ihr Vorwurf war, die Beschuldigten hätten als Handlanger, als Kollaborateure der SS Verbrechen an Juden begangen.

      Das geltende Strafrecht Israels bot keine Handhabe, diese vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs im besetzten Europa verübten Taten zu ahnden. Um inneren Frieden herstellen zu können, erließ die israelische Legislative im August 1950 das »Gesetz zur Bestrafung von Nazis und Nazikollaborateuren« (»Nazis and Nazi Collaborators (Punishment) Law«).2 Das retroaktive und exterritoriale Gesetz führt neben Crimes against the Jewish People, Crimes against Humanity, War Crimes und Membership in Enemy Organization auch Straftatbestände des geltenden israelischen Strafgesetzbuches auf. Die Besonderheit des Gesetzes war, dass die Strafnormen auf Handlungen Anwendung fanden, die während der Naziherrschaft im feindlichen Ausland (»enemy country«) an einem Verfolgten (»persecuted person«) in einem Lager oder Ghetto (»place of confinement«) begangen worden waren.

      Mit dem Gesetz ließen sich rückwirkend die Verbrechen ahnden, die nunmehrige israelische Bürger im »Dritten Reich« und in den besetzten Ländern in der Zeit von 1933 bis 1945 verübt hatten.3 Somit stellte das Gesetz »eher eine innerisraelische Angelegenheit dar denn eine zwischen den überlebenden Opfern des Holocaust und dem Staat, der sie repräsentierte, auf der einen Seite und denjenigen, die den Holocaust zu verantworten hatten, den Nationalsozialisten und dem Dritten Reich, auf der anderen Seite«.4

      Vor dem Eichmann-Prozess gab es in Israel sogenannte Kapo-Prozesse. Vormalige Funktionshäftlinge, der Kollaboration mit der SS beschuldigt, mussten sich verantworten.5 Meist fielen die Strafen milde aus. Einige Angeklagte wurden freigesprochen. In einem Fall erkannte das Gericht auf die Höchststrafe.6 Der Oberste Gerichtshof gab jedoch der Berufung statt, sah den Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschheit nicht erfüllt, kassierte die Todesstrafe und milderte sie auf zwei Jahre Gefängnis.7

      Die materiellen Rechtsgrundlagen für den zu führenden Prozess waren 1961 mithin gegeben. Einige Probleme des Verfahrensrechts, die der bevorstehende Strafprozess aufwarf, löste der Gesetzgeber recht unkonventionell.

      »Lex Servatius«

      Nach dem geltenden Recht konnte nur ein Rechtsanwalt, der israelischer Staatsbürger war, vor einem israelischen Gericht einen Mandanten vertreten. Israelische Anwälte erklärten sich bereit, Eichmann zu verteidigen. Die Regierung verwarf jedoch aus vielfältigen Gründen diese Option. Kein Israeli sollte Eichmanns Rechtsbeistand sein können.8

      Ein neu geschaffenes Gesetz ermöglichte einem ausländischen Anwalt vor einem israelischen Gericht als Verteidiger zu fungieren. Eichmanns Familie fand in Robert Servatius (1894–1983) einen Anwalt ihres Vertrauens. Der Untersuchungshäftling akzeptierte den Kölner Juristen. Unklar blieb zunächst die Bezahlung. Bonn weigerte sich, die Anwaltskosten zu tragen. Israel sah sich gezwungen, für das Honorar aufzukommen.

      »Lex Halevi«

      Gemäß dem geltenden Gerichtsgesetz war es das Recht eines Bezirksgerichtspräsidenten, für seinen Zuständigkeitsbereich die Zusammensetzung eines Gerichts zu bestimmen. Der Fall Eichmann sollte in Jerusalem verhandelt werden. Präsident des dortigen Bezirksgerichts war Benjamin Halevi (1910–1996). Er erklärte seine Absicht, sich selbst zu benennen, mithin den Vorsitz im Eichmann-Prozess übernehmen zu wollen. Gegen den Richter gab es aber juristische Bedenken.9 Auch politische Einwände spielten eine gewichtige Rolle.

      Halevi hatte 1954 im Verfahren Attorney General vs. Malkiel Gruenwald den Prozess als alleiniger Richter geführt. In dem Streitfall ging es um die Frage, ob der Angeklagte Gruenwald in einem 1952 verbreiteten Pamphlet den Regierungsbeamten Israel Kasztner10 verleumdet hatte. Der als Retter und Helfer von Juden geltende Kasztner, führendes Mitglied


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