Exit Covid!. Hubert Niedermayr
Man könnte dies so formulieren: Durch eine Impfung mit diesem Präparat wird dem Körper ein Bauplan zur Verfügung gestellt, der dann aktiviert wird, wenn das entsprechende Virus im Körper festgestellt wird. Vektorimpfstoffe, die andere praktisch bedeutsame Alternative, transportieren unmittelbar genetische Information in Form einer Erbinformation. Im Körper werden sofort nach der Impfung Abwehrstoffe produziert.
Zu Beginn des Jahres 2021 wurden nach experimenteller medizinischer Abklärung zunächst zwei mRNA-Impfstoffe der Produzenten BioNTech und Moderna zugelassen; kurz danach folgte der an der Universität Oxford entwickelte Vektorimpfstoff von AstraZeneca. Diese genannten Impfstoffe benötigen zur vollen Wirksamkeit zwei Teilimpfungen. Derjenige des Produzenten Johnson & Johnson, ebenso ein Vektorimpfstoff, wurde Monate später zugelassen. Dieser benötigt zur vollen Wirksamkeit nur eine Impfung.
Verschärft wurde die Situation durch Mutationen: Virusvarianten, die sich als teilweise infektiöser, in ihren Auswirkungen bei Krankheitsausbruch schädlicher oder die Barriere von bereits geimpften Personen durchbrechend herausstellen sollten, sind nach und nach entstanden. So wurde erstmals im Dezember 2020 in Großbritannien die Variante B.1.1.7 (Alpha) nachgewiesen. Diese war im zwischenmenschlichen Kontakt leichter übertragbar und hat zusätzlich eine höhere Reproduktionszahl aufgewiesen. Das hat zu einem regelrechten Schub an Infektionen in den betroffenen Gebieten geführt. Vermutet wurde auch, dass Antikörper nach einer bereits durchgemachten Infektion oder im Gefolge einer Impfung geringeren Schutz gegen eine Ansteckung bieten, als dies bei der Grundvariante der Fall war.
Die Varianten B.1.3.5 (Beta) und P.1 (Gamma) werden als südafrikanische und brasilianische Variante bezeichnet. Auch hier wird eine erhöhte Übertragbarkeit, vor allem durch herabgesetzte Immunabwehr, angenommen.
Als besonders gefährlich hat sich die Variante B.1617.2 mit der Bezeichnung Delta herausgestellt.29 Diese ist erstmals im Oktober 2020 in Indien diagnostiziert worden. Dort war das Virus auf eine weitgehend unvorbereitete Milliardenpopulation getroffen und konnte sich regelrecht austoben. Es gilt als gesichert, dass die Zahl der Ansteckungen das Risiko des Ausbildens von Mutationen steigert. Nachdem solche die Folge von genetischen Produktionsfehlern sind und zwangsläufig vorkommen, erhöht die Zahl der Wirt*innen zwingend jene der produzierten Mutationen. Dies lässt sich auch durch die Varianten Beta, Gamma und Alpha zeigen, die ebenso in Gegenden mit Hochinzidenz entstanden sind.
Delta führte in Europa zu einem abermaligen massiven Anstieg der Infektionszahlen. Diese ist gegenwärtig im Sommer 2021 die dominierende Variante in Deutschland und Österreich. Umstritten ist, ob sie in ihren Auswirkungen für die infizierte Person gesundheitsschädlicher ist als das Grundvirus. Die Symptome scheinen sich in Richtung vergleichsweise harmloserer wie Schnupfen, Heiserkeit und Kopfschmerzen verlagert zu haben; auch die Hospitalisierungsrate und die Rate an kausalen Todesfällen scheint geringer zu sein. Dies könnte allerdings auf einen nun vermehrten Impfschutz der Bevölkerung und die Tatsache zurückzuführen sein, dass die besonders gefährdete Bevölkerungsgruppe schon zum überwiegenden Teil immunisiert ist.
Unbestritten fällt der Schutz der Impfbarriere gegen diese Variante jedoch geringer aus, als dies für die Grundvariante zutrifft. Es besteht zwar nach wie vor eine hohe Schutzwirkung der Impfung – gerade dann, wenn man den vollen Impfzyklus absolviert hat – gegen schwere Verläufe, erst recht mit Todesfolge; leichte Erkrankungsverläufe sind jedoch möglich. Generell dürfte die Impfung nicht grundsätzlich davor bewahren, das Virus übertragen zu können.30 Delta ist deutlich leichter übertragbar als andere bislang bekannte Varianten. Es wird davon gesprochen, dass die Ausatemluft einer infizierten Person das Tausendfache der Virenlast gegenüber jener der ohnedies schon hochinfektiösen Alpha-Variante in sich trägt.31
Es ist noch nicht abschließend gelungen, den Ausbruch des Krankheitsgeschehens auf einen konkreten Auslöser zurückzuführen. Als bislang aussichtsreichste Kandidatin gilt die Variante, das Virus sei vergleichbar SARS über einen Zwischenwirt, nämlich ein Säugetier, von ursprünglich Fledermäusen auf den Menschen übergegangen. Auch diese Version geht davon aus, Großmärkte in Südchina und deren unhygienische Umgebung hätten den Ausbruch bedingt.
In den letzten Monaten wird allerdings wieder verstärkt eine Variante diskutiert, die ursprünglich der ehemalige US-Präsident Donald Trump propagiert hatte. Das Virus könnte aus einem hochspezialisierten Labor im Nahebereich dieses Tiermarktes in das Freie gelangt sein. Es wird behauptet, in diesem würde an und mit Virenstämmen geforscht, die noch von der vormaligen Pandemie 2002/2003 verblieben wären; argumentiert wird, man forsche nach wirksamer Medikation. Es wird allerdings auch teilweise unterstellt, man entwickle biologische Kampfstoffe. Selbst Nobelpreisträger sind mit dieser Laborthese an die Öffentlichkeit getreten. Verifiziert werden konnte diese Theorie bislang nicht. Es ist allerdings auffällig, dass die chinesischen Behörden sich einer vertrauenswürdigen Kooperation mit der WHO weitgehend verweigern.
Eine alternative Erklärung hat schließlich kürzlich der deutsche Virologe Christian Drosten, ein anerkannter Fachmann, der bereits seit der SARS-Pandemie an Corona-Viren forscht, vertreten. Er hält es für wahrscheinlich, dass das Virus zwar tatsächlich aus dem Tierreich stammt, konkretisiert den Übertragungsweg jedoch auf plastische Art und Weise: So sei es bekannt, dass auf besagten Tiermärkten Schleichkatzen und Marderhunden bei lebendigem Leib das Fell abgezogen werden würde, um die Modeindustrie damit zu versorgen. Die bemitleidenswerten Tiere würden natürlich in Todesangst, in unglaublicher Qual und aus vollstem Leib brüllen – und dadurch eine Unzahl von Aerosolen ausstoßen. Demnach ist dieser Umstand gemeinsam mit der aufgeheizten Umgebung dieser dicht genutzten Märkte eine optimale Umgebung, um eine menschliche Infektion über Zwischenwirte zu produzieren.
Bis Mitte 2021 wird von einer weltweiten Fallzahl an verifizierten Ansteckungen von knapp 190 Millionen Betroffenen ausgegangen. Bislang sind vier Millionen Todesfälle eindeutig auf Covid-19 zurückzuführen.32 Diese Zahlen sind allerdings zu hinterfragen: Es besteht eindeutig eine nicht bestimmbare Dunkelziffer an nicht erhobenen oder gemeldeten Infektionen;33 nicht oder nur gering symptomatische Personen, die über keine schweren Beschwerden verfügen, suchen erfahrungsgemäß keinen ärztlichen Beistand und werden daher auch von keiner Statistik erfasst. Korrekte und vollständige Zahlen werden teilweise von Staaten gar nicht erfasst (wie dies für große Teile Afrikas und weite Teile Asiens angenommen werden kann), teilweise werden entsprechende Aufzeichnungen sogar staatlich boykottiert. Für Brasilien unter Präsident Jair Bolsonaro, der sich zunächst als Leugner jeglicher Gefährdung durch das Virus dargestellt und schließlich als Staatenlenker herausstellen sollte, der massiv gegen Eindämmungsmaßnahmen interveniert, kann dies jedenfalls gesagt werden. Entsprechendes dürfte für Russland unter Wladimir Putin und teilweise auch für China gelten.
Ausbreitung
Deutschland musste bis März 2021 über 70 000 Covid-Tote bei rund 2,5 Millionen nachgewiesenen Infektionen verzeichnen, in Österreich waren es bis Hochsommer 2021 knapp über 10 000 Todesfälle bei rund 650 000 nachgewiesenen Infektionen.34 Gerade der Tiroler Wintersportort Ischgl hat sich im März 2020 als besonders tragischer Covid-Brennpunkt herausgestellt. Après-Ski ist eine österreichische Spezialität. Discofeeling auf engstem Raum in oftmals überfüllten Bars, alkoholgeschwängerte Stimmung und entsprechende Ausgelassenheit schienen geradezu Idealvoraussetzungen für eine Verbreitung des Virus zu bieten. Menschen aus allerlei europäischen Nationen und darüber hinaus hatten regelmäßig in den Wintermonaten den Urlaub in den Tiroler Bergen verbracht, um Abstand zum alltäglichen Lebenstrott zu gewinnen. Ski-Bars in Ischgl waren berüchtigt dafür, für ein Fallenlassen aller Hemmungen der Gäste zu sorgen. „Mach mit, wenn Du kannst!“ lautete das Motto.
Mit Ischgl ist der Begriff des Superspreading in unser aller Bewusstsein gekommen. Damit werden Events bezeichnet, die schlagartig für eine Vervielfachung von Ansteckungszahlen sorgen. So haben Erhebungen ergeben, dass tatsächlich mehr als 11 000 Infektionen europaweit auf Aufenthalte in Ischgl zurückzuführen sein sollen; gerade dieser Ort soll für eine regelrechte Überschwemmung des Kontinents mit Covid-19 gesorgt haben. Schwere Kritik wird nach wie vor an den Tiroler und österreichischen Behörden geübt. Man wäre nachlässig gewesen und