Lebendige Seelsorge 3/2021. Verlag Echter

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Es ist ja schon eine Herausforderung überhaupt über das eigene Geld zu sprechen. Ich habe es zwar jeden Tag in der Hand, aber selten im Kopf.

      Henri Nouwen hat in seinem (bis heute nicht auf Deutsch erschienenen) Band The Spirituality of Fundraising beschrieben, warum der Umgang mit Geld so verschämt oder gar tabuisiert ist und dessen geistliche Dimension beleuchtet: Geld berühre ein intimes Bedürfnis nach Sicherheit, das der Mensch im Herzen trägt. Jesu radikale Botschaft sei aber, dass es eben nicht möglich ist, seine Sicherheit gleichzeitig in Gott und im Geld zu finden. Man müsse sich also für eins von beiden entscheiden. Wenn man das getan habe, könne man entspannen: Wer frei vom Geld ist, der kann darum bitten, so Nouwen.

      In der Kirche wird auch selten über Geld gesprochen. Vielleicht liegt das an genau jener Sicherheit, die es auch für die Institution bedeutet. Mit zwölf Milliarden Euro Kirchensteuereinnahmen – das ist fast soviel, wie VW und Daimler im Jahr 2020 zusammen an Gewinn gemeldet haben – und mit einem großen Vermögen sind die katholische und evangelische Kirche in Deutschland ein ökonomisches Schwergewicht.

      Dieses Heft macht das Geld (in) der Kirche zum Thema. Die Frage, der die Autorinnen und Autoren nachgehen, lautet: Was heißt es für verschiedene kirchliche Akteure, gut mit Geld umzugehen? Es ist bemerkenswert, was sie an grundlegenden Einsichten und praktischen Aussichten zu Papier gebracht haben.

      Ich wünsche Ihnen eine gewinnbringende Lektüre.

      Prof. Dr. Bernhard Spielberg

       THEMA

       Drei Mythen zur Rolle der Kirchensteuer: Eine Klarstellung

      „Trägt diese Form der Kirchenfinanzierung auf Dauer oder können wir nicht andere Wege gehen?“, fragte der Bischof von Eichstätt, Gregor Maria Hanke, im März 2019. Und auch die evangelische Landesbischöfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, sorgte mit ihrer Aussage „Unser derzeitiges Kirchensteuermodell ist nicht in Stein gemeißelt“ im September 2020 für mediale Aufmerksamkeit. Ähnliche Aussagen wie diese sind den Autoren immer wieder in Diskussionen um mögliche Reaktionen auf die Freiburger Studie zu Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuer begegnet. Zeit, mit einigen Mythen aufzuräumen. David Gutmann und Fabian Peters

       „Die hohe Zahl der Kirchenaustritte vor allem junger Kirchenmitglieder hängt ganz offensichtlich mit der Kirchensteuer zusammen. Eine Abschaffung oder zumindest eine Reduzierung für junge Erwachsene ist daher nötig.“

       „Die Gesamtgesellschaft profitiert von den Kirchen, die – als ein wichtiger Protagonist – das Gemeinwohl fördern. Insbesondere aus dem Sozialstaat sind die Kirchen mit ihrem Engagement nicht wegzudenken. Es braucht daher eine gesicherte Finanzierungsgrundlage und diese bietet nun einmal die Kirchensteuer.“

       „Die Kirchensteuer macht die Verantwortlichen in den Kirchen träge. Nur ein auf Spenden basiertes System kann für die notwendige pastorale Innovation sorgen!“

      Diese drei sinngemäß widergegebenen Diskussionsbeiträge stehen beispielhaft für eine Vielzahl von Reaktionen auf die unter dem Hashtag #projektion2060 diskutierte Freiburger Studie. Denn neben den Kernergebnissen ging es in den weit mehr als 100 Veranstaltungen mit Verantwortlichen aus beinahe allen deutschen Diözesen und Landeskirchen vor allem um Konsequenzen und mögliche Handlungsoptionen auf den zu erwartenden massiven Mitglieder- und Kirchensteuerkraftschwund. Regelmäßig wurden dabei drei Mythen zum Für und Wider der Kirchensteuer diskutiert:

       David Gutmann und Fabian Peters

      Dres. rer. pol., sind die beiden Köpfe hinter der Freiburger Studie zu Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuer, die bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt hat. In einem ökumenischen Forschungsprojekt an der Universität Freiburg haben sie erstmals eine koordinierte Mitglieder- und Kirchensteuervorausberechnung für jede der evangelischen Landeskirchen und katholischen (Erz-)Diözesen in Deutschland erstellt. Ökumene ist den beiden Ökonomen ein Herzensanliegen. Für hilfreiche Anregungen zu diesem Beitrag danken die Autoren Pfarrer Helmut Liebs.

       MYTHOS 1: EINE ABSCHAFFUNG DER KIRCHENSTEUER VERHINDERT KIRCHENAUSTRITTE

      Die finanziellen Anreize für einen Kirchenaustritt sind während der Erwerbsphase am höchsten: Mehr als neun von zehn Kirchenaustritten werden in dieser Lebensphase erklärt. Besonders deutlich wird die Bedeutung der Kirchensteuer für das Austrittsverhalten am Anfang des Berufslebens. Mit der ersten Kirchensteuerzahlung schnellt die Austrittswahrscheinlichkeit nach oben. Angesichts dieser Erkenntnis überrascht es nicht, dass viele Verantwortliche beider Kirchen Ansatzpunkte bei jungen Menschen zu Beginn des Erwerbslebens sehen. Vor allem in der evangelischen Kirche wurde die Möglichkeit eines Kirchensteuerrabatts für junge Erwachsene breit und kontrovers diskutiert, letztlich aber verworfen.

      Hintergrund dieser Überlegungen ist, dass dem Kirchenaustritt in der Regel eine kontaktlose Zeit zwischen Kirchenmitglied und Kirche vorausgeht. In einem längeren Entfremdungsprozess sind die meisten der positiven Beziehungen zur Kirche – wenn es sie denn im Leben überhaupt gab – verloren gegangen. Nun bedarf es für den Austritt nur noch eines bestimmten Anlasses, und dieser ist häufig die (erstmalige) Zahlung der Kirchensteuer. Die ‚ruhende‘ oder ‚passive‘ – den Autoren ist bewusst, dass diese Begriffe nur bedingt geeignet sind – Mitgliedschaft führt dann nämlich zu einem aktiv zu zahlenden Beitrag und damit zu Kosten, die in einer Abwägung für viele junge Menschen den Nutzen übersteigen. Da jedem Kirchenaustritt ein in höchstem Maße individualisierter Entscheidungsprozess vorausgeht, kann an dieser Stelle nur spekuliert werden, wie sich eine Abschaffung oder Reduzierung der Kirchensteuer auswirken würde.

      Möglicherweise könnte ein Wegfall der Kirchensteuer einige Kirchenaustritte verhindern oder den Entschluss dazu verzögern. Schließlich würde es ohne Kirchensteuer für viele Menschen schlicht keinen Unterschied machen, ob die formale Kirchenmitgliedschaft fortgeführt wird oder nicht. Gleichzeitig ist es offensichtlich, dass gerade eine derartige ‚passive‘ Mitgliedschaft nicht zwingend mit religiöser Praxis einhergeht. Ob durch eine Abschaffung der Kirchensteuer auch der beobachtbare Rückgang an institutionalisierter Religiosität aufgehalten werden könnte, kann zumindest in Frage gestellt werden. Und: Falls die Kirchensteuer abgeschafft wäre, müsste sich die Kirche anders finanzieren. Vermutlich würde sie aktiv auf ihre Mitglieder zugehen und anderweitig um einen wie auch immer gearteten alternativen Beitrag bitten – was wiederum zu einer Beendigung der ‚passiven‘ Mitgliedschaft führen könnte.

      Dies zeigt der Blick auf andere Länder und deren Finanzierung der Kirchen. Zwar nahm die christliche Bevölkerung in Europa zwischen 1910 und 2010 zu, der Anteil an der Gesamtbevölkerung ging jedoch von 95 auf 76 Prozent zurück, wie eine Studie des PEW Research Center ergab. Detlef Pollack und Gergely Rosta untersuchten anhand der European Values Study die Entwicklung der Religionszugehörigkeit in verschiedenen westeuropäischen Ländern und konnten zeigen, dass diese zwischen 1981 und 2008 rückläufig war. Bemerkenswerterweise lassen ihre länderspezifischen Ergebnisse keinen Zusammenhang zwischen Kirchenmitgliederentwicklung und Finanzierungsform erkennen. Nicht nur in Deutschland ist der Rückgang des Christentums festzustellen. Auch in Ländern ohne Kirchensteuersystem wie Belgien, wo sich die Religionsgemeinschaften vorwiegend aus staatlichen Leistungen und Spenden finanzieren, oder in Großbritannien bei der Church of England, die von Vermögenserträgen und Spenden lebt, ist die Zahl derer, die angegeben haben einer christlichen Kirche anzugehören, stark gesunken.

      Bleibt festzuhalten: Ein Wegfall der Kirchensteuer würde vermutlich den Kirchenaustritt einiger, sich ihrer Mitgliedschaft nicht wirklich bewussten Kirchenmitglieder verhindern, die dann allerdings auch keinen Solidarbeitrag mehr leisten würden. Den Rückgang an institutionalisierter Religiosität, also die bewusste Kirchenmitgliedschaft, würde ein Wegfall vermutlich nicht aufhalten.


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