Lebendige Seelsorge 3/2021. Verlag Echter
verbundenen Strafen sollen bewirken, dass weniger Leute aus der Kirche austreten und entsprechend mehr Kirchensteuern gezahlt werden, von denen wiederum mehr Werke des Apostolats und der Caritas realisiert werden können. Würde dieser Zweck erfüllt, könnte die Verweigerung der Heilszeichen an Einzelne letztlich an anderer Stelle mittelbar der Sendung der Kirche dienen. In der Realität erscheinen die durch die Bischofskonferenz bei einem Kirchenaustritt festgesetzten Folgen jedoch weniger als Mittel zum Erhalt des Apostolats, sondern eher als Mittel zum Erhalt von Macht. Wenn die Einnahmen über die Kirchensteuer somit nicht mehr Mittel zum Zweck sind, sondern selbst zum Zweck werden, fehlt nicht nur die rechtliche Grundlage für ein solches System, es erscheint auch sonst kaum legitim.
LITERATUR
Fischer, Georg, Finanzierung der kirchlichen Sendung. Das kanonische Recht und die Kirchenfinanzierungssysteme in der Bundesrepublik Deutschland und den USA, Paderborn 2005.
Müller, Ludger/Rees, Wilhelm/Krutzler, Martin (Hg.), Vermögen der Kirche – Vermögende Kirche? Beiträge zur Kirchenfinanzierung und kirchlichen Vermögensverwaltung, Paderborn 2015.
Pulte, Matthias, Vermögensrecht der katholischen Kirche. Ein Handbuch für Studium und Praxis, Würzburg 2019.
Wiemeyer, Joachim, Das Vermögen der Katholischen Kirche, in: Althaus, Rüdiger/Hahn, Judith/Pulte, Matthias (Hg.), Im Dienste der Gerechtigkeit und Einheit. Festschrift für Heinrich J. F. Reinhardt zur Vollendung seines 75. Lebensjahres, Essen 2017, 501–516.
Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Mit Geldanlagen die Welt verändern? Eine Orientierungshilfe zum ethikbezogenen Investment, Bonn 2010.
Ein ökumenischer und ökonomischer Perspektivwechsel
Die Replik von David Gutmann und Fabian Peters auf Anna Ott
Kirchliches Vermögen darf letztlich einzig dem Zweck dienen, die Botschaft vom Reich Gottes in die Welt zu tragen. Diese Kernthese entfaltet Anna Ott in ihrem Beitrag und greift zur Spezifizierung auf das kanonische – also das katholische – Kirchenrecht zurück. Demzufolge soll kirchliches Vermögen vor allem für dreierlei eingesetzt werden: zur Durchführung des Gottesdienstes, zum Unterhalt des Klerus sowie zum Wohl der Kirche und für die Werke der Caritas. Ob diese Zweckbestimmung tatsächlich erfüllt wird, muss immer wieder neu von den verantwortlichen Gremien und Personen – in den Pfarreien den Vermögensverwaltungsräten und in den Diözesen den Diözesanbischöfen – geprüft werden. Um der Sendung der Kirche nachzukommen, müssen je nach kulturellem und zeitlichem Kontext bei der Verwendung kirchlicher Mittel Schwerpunkte neu gesetzt oder angepasst werden. Das gelte auch für die Kirchensteuer. Auch die Haupteinnahmequelle dürfe ausschließlich der kirchlichen Sendung dienen. Sollte die Kirchensteuerpflicht zu Kirchenaustritten führen, stehen deren innerkirchliche Rechtsfolgen – insbesondere die Verweigerung des Zugangs zu den Sakramenten – der Zweckbestimmung entgegen. Dann sei, so Ott, an der Legitimität des Kirchensteuersystems zu zweifeln. Die Kirchensteuer wäre dann nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck.
Zwei Ökonomen, die in zwei verschiedenen Kirchen beheimatet sind, nehmen diesen dezidiert katholisch-theologischen und -juristischen Zugang voll Ehrfurcht zur Kenntnis. Sie hätten sich dem Obersatz vermutlich aus einer anderen Perspektive genähert: Wann und wie gelingt es, die Botschaft vom Reich Gottes in die Welt zu tragen? Welche kirchlichen Strukturen braucht es, damit Menschen – in der Regel Kirchenmitglieder – diese Idee finanziell unterstützen? Wenn die Kirchensteuer zu Kirchenaustritten führt: Welche Möglichkeiten gibt es, Menschen von ihrer Sinnhaftigkeit zu überzeugen?
Die Freiburger Studie hat es noch einmal deutlich aufgezeigt: Da wo die Kontaktflächen zwischen Kirche und Mitgliedern verloren gehen, schwinden die Akzeptanz und Plausibilität der Kirchenmitgliedschaft und damit sowohl der religiösen Praxis als auch der Kirchensteuerpflicht. Wenn kirchliches Vermögen dem Zweck dienen soll, das Reich Gottes in die Welt zu tragen, dann muss es zur Aufrechterhaltung dieser Kontaktflächen eingesetzt werden. Zwar sagen diese allein nichts über Qualität und Tiefgang – Ökonomen würden das Wort Effizienz verwenden – kirchlicher Arbeit aus, aber sie sind das sine qua non der Zweckbestimmung. Denn Kirchenaustritte können – zumindest statistisch signifikant – nicht mit der Arbeit in der ‚Kerngemeinde‘ vor Ort erklärt werden. Sie sind keine Frage von theologischen Grundüberzeugungen oder synodalen bzw. bischöflichen Entscheidungen. Für die Höhe von Kirchenaustritten spielen die binnenkirchlich heiß diskutierten Fragen, ob kirchliche Arbeit nun liberal oder pietistisch, lutherisch, uniert, reformiert oder katholisch, progressiv oder konservativ sein muss, eine untergeordnete Rolle. Austritte vollziehen sich – statistisch signifikant – nicht im ‚Inner Circle‘.
Es gilt also kirchliches Vermögen so einzusetzen, dass möglichst viele mit der Botschaft vom Reich Gottes erreicht werden. Und dafür lohnt der Blick in die Peripherie der Parochie: auf die vorhandenen Berührungspunkte zu denen, die nicht regelmäßig mit ihrer Kirche in Kontakt stehen (wollen). Hier ist an Kasualien (Taufe, Kommunion, Konfirmation, Firmung, Hochzeit, Bestattung) und subsidiäre Aufgabenerfüllung mit klarem kirchlichem Profil (Kindertagesstätten, Religionsunterricht, Freiwilligendienste, Angebote von Diakonie und Caritas etc.) zu denken. Und es gilt bei der Verwendung kirchlicher Mittel Schwerpunkte so zu setzen und anzupassen, dass neue Berührungspunkte entstehen. An diesem kirchlichen Handeln muss erkennbar werden, wie sich christlicher Glaube in der Gegenwart bewährt. Und es sollte sich einerseits flächendeckend an alle richten und andererseits distanzierte Kirchenmitgliedschaft erlauben und wertschätzen.
Damit die Sendung der Kirche – das Heil der Menschen, wie es Anna Ott schreibt – erfüllt werden kann, muss kirchliches Vermögen dazu beitragen, dass Glaube und Kirche im alltäglichen Leben relevant ist und bleibt. Dafür braucht es eine verlässliche Finanzierung, die auch in kurzzeitig schlechten Phasen, wie wir sie aktuell durch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie erleben, handlungsfähig bleiben lässt. Solange kirchliche Finanzen in diesem Sinne dazu eingesetzt werden, dass Menschen mit dem christlichen Glauben in Kontakt kommen und in diesem gestärkt und zur Verantwortung für die Welt ermutigt werden, spielt es auch keine Rolle, ob Ressourcen auf örtlicher oder übergeordneter Ebene eingesetzt werden. Und dann ist auch die Kirchensteuer kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck.
Das Problem ist nicht die Kirchensteuer, sondern ihr Image
Die Replik von Anna Ott auf David Gutmann und Fabian Peters
Die Ergebnisse der Projektion 2060 fordern heraus. Einerseits müssen sie als wirkliche Erkenntnisse verinnerlicht werden, andererseits gilt es, diese auch in die Praxis zu übersetzen und Konsequenzen zu ziehen. Besonders drei Vorverständnisse, so David Gutmann und Fabian Peters, prägen die Diskussion um den Zusammenhang von Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuer, die die Reform der Kirchenfinanzierung in Deutschland erschweren. Darauf aufbauend möchte ich einige der genannten Punkte konkretisieren, die es bei einer Diskussion über die Zukunft der Kirchensteuer zu beachten gilt.
Obwohl zwischen der Zahlung von Kirchensteuern und der Wahrscheinlichkeit für einen Kirchenaustritt ein belegbarer Zusammenhang besteht, folgt ein solcher zumeist auf eine individuelle Entfremdungsgeschichte. Die Kirchensteuer ist zumeist nicht Ursache, sondern Auslöser eines Austritts. Kirchenaustritte damit zu verhindern, dass die Kirchensteuer (für junge Leute) abgeschafft oder gesenkt wird, erscheint dementsprechend nicht als geeigneter Ansatzpunkt. Vielmehr sollte den vorgenommenen Kosten-Nutzen-Abwägungen proaktiv begegnet werden, nicht, indem die Kosten gesenkt, sondern der Nutzen erhöht wird. Besonders junge Menschen zwischen Schulabschluss und Familiengründung fallen oft in ein pastorales Loch. In der klassischen Seelsorge sind Singles und unverheiratete Paare – außerhalb der Hochschulpastoral – kaum vorgesehen. Und selbst wenn ohne eine (gewichtige) Kirchensteuer Austritte verhindert werden, die formale Mitgliedschaft spielt für viele kaum mehr eine Rolle, wie David Gutmann und Fabian Peters zu Recht bemerken. Eine sinkende Austrittsquote bedeutet entsprechend