Comanchen Mond Band 2. G. D. Brademann
seine Ellbogen in den Boden, robbte zwei Armlängen nach hinten, wollte sich mit den Füßen abstemmen, um wieder hochzukommen, doch Icy-Wind schlug ihm zum zweiten Mal die Füße weg. Sich die Haare aus dem Gesicht schüttelnd, als könnte er dadurch klarer denken, erwartete Light-Cloud den nächsten Stoß. Er hatte ja noch seine Hände, um sich zu wehren. Blut rann ihm in die Augen, auf seiner Stirn klaffte eine Wunde, die Wulst über einem Auge hing lose herab. Fahrig, wie in Trance, wischte er sich mit der leeren Messerhand flüchtig das Blut aus den Augen. Jetzt hätte er sein Kriegsbeil brauchen können. Doch das lag irgendwo im Gras, genau wie das seines Gegners. Sein Atem ging stoßweise; der Blutverlust machte ihm zu schaffen, und er wusste das.
Icy-Wind blickte ruhigen Blutes auf sein und Light-Clouds Kriegsbeile, die in Reichweite lagen. Das gab ihm ein Gefühl der Überlegenheit. Er wollte seinen Gegner am Boden sehen, sich an seiner Niederlage weiden – und das hatte er erreicht. Blut, das ihm von der Stirn tropfte, mit dem Messer in der Hand wegwischend, ließ er Light-CLoud nicht aus den Augen. Entgegen den Erwartungen – und den Wetten – der Männer war er äußerst fair geblieben, genauso wie Light-Cloud, der im Gegensatz zu ihm dafür bekannt war. Da er zögerte, sah es aus der Sicht der sie beobachtenden Männer so aus, als wartete er auf etwas. Doch das täuschte. Er wollte diese Situation in sich aufnehmen, diesen Anblick, seinen Gegner in der Hand zu haben, genießen. Alle anderen sollten es auch sehen. Er war hier der Sieger – er, Icy-Wind. Er besaß jetzt Macht über diesen hier.
Light-Cloud machte sich bereit, das Messer abzufangen, das so bedrohlich über ihm schwebte. Noch hatte er sich nicht aufgegeben. Icy-Wind, ohne den lauernden Blick von Light-Cloud zu bemerken, senkte langsam den Arm und zog provozierend die scharfe Klinge durch das Gras. Eine Furche blieb zurück, bis in die Erde reichend. Die schmalen Lippen zu einem Lächeln verzogen, holte er zum Stoß aus. Dieser hier musste sterben, stellvertretend für einen Feind aus alten Tagen. Er würde ihn töten, um damit die Erinnerung an einen anderen Tag aus seinem Gedächtnis zu löschen. Was auch immer ihm jetzt durch den Kopf ging – es war ein befriedigendes Gefühl, bis er plötzlich blinzeln musste. Ein winziger Sonnenstrahl stach ihm in die Augen, und er senkte seinen Messerarm ein kleines Stück. Als er wieder klarer sah – es hatte nur zwei Wimpernschläge lang gedauert – blickten er und Light-Cloud sich direkt an. Icy-Wind ließ den Messerarm vorwärts schnellen, direkt auf die Brust seines Gegners zu. Dieses Glücksgefühl von eben machte alles andere um ihn herum bedeutungslos. Plötzlich spürte er, wie die Finger Light-Clouds sein Handgelenk umspannten, und erstarrte. Verzweifelt versuchte er, sich zu konzentrieren, doch da schwindelte es ihn. Es mochte der Blutverlust sein – oder vielleicht verließen ihn ganz einfach die Kräfte. Jedenfalls verschwamm alles vor seinen Augen in einem roten Nebel. Er blinzelte, holte tief Luft, während er weiter mit Light-Cloud um das Messer rang.
Da löste sich der Nebel auf, um sie seinen Blicken freizugeben: Sun-In-The-Red-Hair. Im nächsten Augenblick verschwand dieses Bild wieder, als wäre es nie dagewesen, löste sich einfach auf. Eine schwere Last blieb. Eine Last, die ihn zu erdrücken drohte – die Last der Erinnerung. Sun-In-The-Red-Hairs Sohn rang mit ihm um sein Leben. Er wusste, dass es so war und dass er das Leben ihres Sohnes in der Hand hielt.
Keuchend, den Tod erwartend, denn die scharfe Messerschneide bedrohte seine Kehle, wand sich Light-Cloud unter ihm. Langsam begannen beiden die Kräfte zu schwinden, doch der Jüngere befand sich in der schlechteren Position. Das Messer senkte sich ein Stück weiter und ritzte ihm bereits die Haut. Eine Schnur aus Blut sickerte über seinen Adamsapfel hinunter in die kleine Kuhle und sammelte sich dort. Um sie herum war es plötzlich still, selbst die Mustangs schienen den Atem anzuhalten. Die Männer, die wie erstarrt dem allen zugesehen hatten, beobachteten, wie Icy-Wind tief Luft holte – zum Letzten bereit; niemand griff ein, niemand würde sich in die Angelegenheiten dieser beiden Krieger mischen.
Die untergehende Sonne stand genau über einem der gezackten Felsen oben auf dem Geröllfeld. Das gegossene Silber war zu einem Rot geworden. Rot, wie glühendes Eisen, das zu schmelzen beginnt, fiel genau auf Light-Clouds Haare. Eigentlich dunkelbraun, schienen sie jetzt in Flammen zu stehen. Er lag auf dem Rücken, hingestreckt wie ein menschliches Opfer, mit wissenden Augen den tödlichen Stoß erwartend. Seine Gedanken waren bei Dark-Night. Jetzt, in seinen letzten Atemzügen, wusste er, dass er alles falsch gemacht hatte. Sie in dieser Lage zurückzulassen, war es nicht wert gewesen. Und doch … Noch mehr Rot ergoss sich über seine Haare. Icy-Wind stockte der Atem. Sun-In-The-Red-Hairs schemenhafte Gestalt drang erneut in sein Bewusstsein. Er wollte sich davon nicht aufhalten lassen. Seine Hand mit dem Messer drückte fester gegen den Hals, über die pulsierende Ader. Aus einer Hautfalte quoll Blut. Da geschah etwas mit ihm. Der Geist der Frau, die er niemals hatte vergessen können, nahm von ihm Besitz. Auf Light-Clouds Haaren lag der gleiche rote Schein wie damals auf ihren. Das traf ihn zutiefst. Die Erinnerung tat weh und löschte das eben noch gespürte Glücksgefühl aus. Seine Messerhand begann zu zittern, und er hätte laut aufschreien mögen. Der Augenblick des Triumphes verwandelte sich urplötzlich in eine Niederlage, und doch konnte er nichts dagegen tun.
Das war zu viel für ihn. Keuchend wandte er sich ab, nahm das Messer von Light-Clouds Hals und zog stattdessen abermals eine tiefe Furche durch das Gras, direkt neben der von eben. Fest schlossen sich seine Finger um die Waffe – eine harte Faust. Ein Schluchzen, das tief aus seiner Kehle hochstieg, zwang er nur mit größter Mühe zurück. Nein, er konnte ihren Sohn nicht töten. Nicht, wenn ihre Gegenwart ihn beschützte – nicht jetzt, nicht, wenn er sie spüren konnte. So nah, so nah. Diese Erkenntnis tat weh. Mehr, als jeder andere Schmerz zuvor in seinem Leben. Wie sollte er ihn auch töten können, wenn sie ihm dabei zusah?
Langsam steckte er sein Messer zurück in die Scheide, den brennenden Schmerz in seiner Kehle noch immer spürend. Mühsam versuchte er sich zu erheben, keuchend auf ein Knie gebeugt. Er schnappte nach Luft, stemmte sich weiter hoch, machte zwei, drei unsichere Schritte, torkelte zur Seite, fing sich wieder, ging weiter, ging einfach nur weg. Weg von Light-Cloud, ihm den Rücken zukehrend, weg von der Erinnerung an Sun-In-The-Red-Hair.
Totenstille herrschte ringsum – Unverständnis, Fragen, die in der Luft hingen. Niemand wusste eine Antwort – man hörte nur das heftige Atmen der beiden Männer. Icy-Wind blieb wieder stehen, wandte sich zurück und schaute mit einem gequälten Blick auf Light-Cloud. Dann erst schien er in seiner Trance die anderen Männer zu bemerken. Doch diese hatten nur den Eindruck, als blickte er durch sie hindurch. Erneut wischte er sich über beide Augen, entdeckte jetzt einzelne Gesichter, nickte ihnen zu, konnte aber noch immer nicht klar denken. Was war mit ihm geschehen? Diese Frage stellte er sich jetzt selber, seinen Gegner betrachtend. Dieser hatte sich inzwischen ebenfalls erhoben. Schwer verwundet stützte er sich mit beiden Armen auf den Knien ab und blicke direkt zu Icy-Wind. Das hier mussten sie zu Ende bringen, aber nicht heute. Es war ein stummes Versprechen, das sie sich gegenseitig gaben.
Sich wieder abwendend, versuchte auch er eine Antwort auf das soeben Geschehene zu finden. Er begriff überhaupt nichts. Ungläubig blinzelte er. Komm, sagte er sich, reiß dich zusammen. Du lebst, alles andere ist jetzt erst einmal unwichtig. Sein Kopf war völlig leer, bis Dark-Night vor seinem inneren Auge auftauchte. Dark-Night, schrie alles in ihm. Was würde nun aus ihr werden? Sollte das denn nie aufhören? Verzweifelt machte er einen Schritt auf sein Pferd zu. Er fühlte den Boden unter sich – aber dann nichts mehr. Wie in einem Traum gefangen sah er einen der Männer auf sich zukommen. Wer? Gray-Wolf? Storm-Rider, der ihm dabei geholfen hatte, hierher zu kommen? Er wusste es nicht.
Icy-Wind stand neben seinem Schecken. Der rote Schimmer der untergehenden Sonne umschloss Light-Cloud jetzt völlig. Er starrte ihn an. Sun-In-The-Red-Hair hatte ihn in diesen Schein, ihren Schutz gehüllt; das glaubte er noch immer. Mühsam zog er sich in den Sattel hoch, denn auch er war verwundet. Jemand reichte ihm seine Lanze, ein anderer das Beil. Eine Handbewegung, und seine undurchsichtige Miene sagte ihnen: Macht Platz, lasst mich in Ruhe. Blut rann an seinem Körper herunter und tränkte einen seiner Mokassins. Ohne die Zügel zu benutzen, wendete er und ritt in Richtung Fluss, seinem Zuhause zu. In ihm war alles leer, wie ausgehöhlt. Am liebsten hätte er sich von aller Welt in eine dunkle Höhle zurückgezogen. Sun-In-The-Red-Hair, klopfte sein Herz unaufhörlich. Sun-In-The-Red-Hair, Sun-In-The-Red-Hair. Oh ja, ohne jeden Zweifel, sie war dort gewesen, dort bei ihrem Sohn. Er hatte sie ganz deutlich gesehen. Genauso wie damals mit dem kleinen aufklappbaren Messer