Systemische Erlebnispädagogik. Группа авторов
Das finde ich schon alles ganz schön spannend!
Das erinnert mich an die von Campbell beschriebene „Heldenreise“ 1. Sie bezieht sich auf den immer gleich stattfindenden Zyklus bei Entwicklungsschritten. An einer Stelle in diesem Zyklus steht der Protagonist vor der großen Herausforderung, die Schwelle ins Unbekannte zu übertreten und sich ganz auf das einzulassen, was ihn dort erwartet. Mit diesem Bild der Heldenreise haben wir viel gearbeitet während der Ausbildung, so dass mir die einzelnen Schritte sehr vertraut geworden sind und sie mich seither nicht mehr losgelassen haben. Auch in den Bereichen meines Lebens spüre ich Auswirkungen und Entwicklungen, die ich auf die Zeit des Lehrgangs zurückführe, es war für mich im eigenen Erleben und durch die Anteilnahme am Erleben der anderen eine sehr erfahrungsreiche und schöne Zeit.
Am stärksten hat mich die Auseinandersetzung mit, und die Wahrnehmung von Prozessen und den Möglichkeiten ihrer Gestaltung beeindruckt. Ich versuche heute, unvoreingenommener an Situationen heranzugehen, und schaue auf das Gelingen eines Vorhabens, also auf die Lösung. Mein Verständnis von Verantwortung hat sich durch die Auseinandersetzung mit den systemischen Grundhaltungen sehr verändert. Ich erlebe dadurch in meinen Aufgaben eine größere Leichtigkeit und mehr Vertrauen auf das Gelingen.
Ich schicke Euch beiden herzliche Grüße, wünsche Dir, Peter, einen schönen Urlaub und melde mich, sobald es Neues zu berichten gibt. Karin
10.1. I Betreff: Man kann das alles auch anders sehen
Liebe Karin, lieber Andi, während ich schreibe, ist Karin vielleicht schon Mutter geworden. Da merke ich, wie schnell immer ein paar Wochen vergehen zwischen unseren Briefen. Wenn ich Karin richtig verstanden habe, hat sich für sie vor allem ihre Wahrnehmung von Prozessen verändert – bei mir hat sich eher die Wahrnehmung von Ergebnissen oder Zuständen verändert. Damit meine ich auch die viel zitierte Ressourcenorientierung: Nicht alles, was ich früher spontan als „Hindernis“ bezeichnet hätte, würde ich heute genauso sehen. Oft ist es wirklich ein Ausgangspunkt oder Impuls für positives Wachstum, eine Ressource eben.
Ich lese gerade das Buch „Der Glücks-Faktor“ von Martin Seligman2. In diesem verdeutlicht er beeindruckend, dass wir Glück – im Sinne von gutem Leben – in der Gegenwart vor allem dann empfinden, wenn wir beim Blick in die Vergangenheit Dankbarkeit und Vergebung walten lassen und zugleich beim Blick in die Zukunft dem Optimismus viel Raum geben. Erstaunlicherweise deckt sich das mit meinen Erfahrungen. Früher habe ich eher dazu geneigt, gerade nach den Schwierigkeiten und Verletzungen zu suchen, statt nach den Dingen, aus denen ich lernen kann und die mich stärken.
Ich verschwinde am Sonntag in den Urlaub. Dort will ich viel wandern. Wie ihr Euch sicher noch erinnern könnt, habe ich mich in vergangenen Zeiten eher am Schreibtisch oder in einem Sessel auf dem Balkon vergraben, wenn ich meine Gedanken sortieren oder wandern lassen wollte. Heute bin ich selber in Bewegung und merke, wie viel besser dies funktioniert. Ein lieber Gruß. Peter
22.1. I Betreff: Haltung und Anspruch
Liebe Karin, lieber Peter, vielen Dank für Eure Briefe.
Peter, bei Deinen Ausführungen zu Seligman und zu Deiner Hinwendung zu Ressourcen im Allgemeinen ist mir sofort das Buch „Es ist nie zu spät, eine schöne Kindheit gehabt zu haben“ von Ben Furman3 in den Sinn gekommen. Dabei wird sehr schön beschrieben, wie es gelingen kann, prägende Erfahrungen aus unserer Kindheit – positive wie negative – als Ressource zu betrachten. Auch negative oder gar traumatische Erfahrungen können nach Furman wertvolle Impulse für eine gute Weiterentwicklung geben. Der Titel sagt eigentlich schon alles – ich habe das Buch nahezu verschlungen.
Ich will heute versuchen, auf einen Zusammenhang einzugehen, der mich momentan am meisten beschäftigt. Dabei geht es um die Haltung, mit der wir anderen Menschen (nicht nur unseren Kunden bei der Arbeit) gegenübertreten. Während des Lehrgangs war ich immer wieder sehr beeindruckt davon, wie wertfrei und offen unsere Trainer bei Übungen und Gesprächen mit den Gruppenteilnehmern umgegangen sind. Bei mir selbst habe ich hingegen öfters entdeckt, wie schnell ich mich in meiner Rolle als Anleiter oder Gesprächspartner hinreißen lasse, über Zusammenhänge die Folie meines persönlichen Rasters zu legen. Damit nehme ich eine Bewertung von Aussagen oder Erfahrungen meines Gegenübers vor und gleichzeitig positioniere ich mich. Das kann hilfreich sein. Ich laufe dabei aber auch Gefahr, den Anspruch auf eine abstinente Leitung aufzugeben und damit mir und meinem Gegenüber Scheuklappen aufzusetzen, die den Blick auf gute Lösungsschritte erheblich einschränken können.
Solche Bewertungen stehen zudem in engem Zusammenhang mit einer Anspruchshaltung an mich selbst und an meine Umwelt. Es scheint mir das Wesen von Ansprüchen und Forderungen zu sein, dass ihnen nicht nachgekommen werden kann, zumindest dann nicht, wenn sie das Verhalten von Menschen oder gar ihre Biografien betreffen. Damit sind Unzufriedenheiten vorprogrammiert, die einen wie auch immer gearteten Prozess ins Stocken bringen und viele Lösungsansätze im Keim ersticken.
Was ich während meiner Krpg-Zeit in diesem Zusammenhang gelernt habe, ist zunächst, mein eigenes Wertesystem als eine riesige Ressource zu betrachten, die ich gewinnend nutzen kann und soll. Neu ist auch die Erkenntnis, dass eine solche Anspruchshaltung nicht zwangsläufig an ein funktionierendes Wertesystem angeschlossen sein muss. Um in diesem Sinne offen und vor allem frei mit meiner Umwelt umzugehen, muss ich jedoch selbst dazu in der Lage sein, ein stimmiges Verhältnis zwischen Anspruch und Leistung zu leben und hinsichtlich meiner Bewertungen gnädig mit meiner Umwelt und mir selbst umzugehen.
Ich betrachte es momentan als große Herausforderung, die Gestaltung meines Alltags, meine Handlungen und meine Bedürfnisse durch diese Brille zu betrachten. Ein äußerst spannendes Unterfangen, das mir bereits viele überraschende Einsichten beschert hat!
Lieber Peter, Dir wünsche ich einen erholsamen Urlaub und vor allem, dass sich Dein Anliegen erfüllt und sich Dir neue und inspirierende Perspektiven eröffnen. Karin, Dir drücke ich ganz fest die Daumen für die bevorstehende Geburt.
Ich grüße Euch herzlich aus Gündelbach. Andi
18.2. I Betreff: 2 Imperative
Hallo Andi, hallo Karin. Karin ist seit meinem letzten Brief Mutter geworden, und ich habe meine zwei Monate Auszeit hinter mir und werde mein Leben wohl gründlich umbauen. Während dieser drei Wochen auf Gran Canaria habe ich mehrfach die in der Fortbildung erworbene Technik der Naturerfahrung für meine eigenen Fragen genutzt. Ich habe eindrückliche Momente erlebt, bei denen mir die Natur manchen Impuls für weitere Überlegungen gegeben hat. Bei einer Tour durch einen Barranco bei starkem Regen habe ich mich entschieden, meine berufliche Karriere in ihrer bisherigen Form nicht fortzusetzen. Der Weg war fast wie eine Wanderung durch Symbole.
Ich will auf Andis Thema der Werte und des Be- oder Verurteilens anderer Menschen eingehen. Dazu habe ich im Urlaub ein paar spannende Zeilen gelesen: Aristid von Schlippe beschreibt vier ethische Grundpositionen systemischer Therapie:
1. Denke und handle ökologisch valide.
Oder: Es gibt immer einen größeren Kontext.
2. Achte auf die Definitionen und Bewertungen, die du vornimmst.
Oder: Es könnte auch alles ganz anders sein.
3. Besinne dich auf deine persönliche Verantwortung.
Oder: Es gibt kein Richtig und Falsch, aber du bist Teil des Kontextes und alles, was du tust, hat Konsequenzen!
4. Achte darauf, in respektvoller Weise Unterschiede zu schaffen.
Oder: Füge dem Bild des / der Klienten etwas Neues hinzu. 4
Das trifft doch ganz gut, was du formuliert hast, wie es besser sein könnte, wenn man nicht immer aus dem eigenen Wertesystem urteilen