Systemische Erlebnispädagogik. Группа авторов
weil ich weiß, dass es nicht so sehr darauf ankommt, ob der nächste Schritt die Komplettlösung bringt, sondern dass zunächst einmal Bewegung ins Gesamte kommt.
Ich schicke Euch ganz herzliche Grüße. Karin
09.4. I Betreff: Ich vermisse das Handeln und ein Hauch Philosophie
Liebe Karin, lieber Andi, heute schreibe ich Euch aus dem ICE zwischen Heidelberg und Stuttgart. Ich befinde mich auf der Heimfahrt von meiner Ausbildung als „Systemischer Berater“. Diese ist für mich eine gelungene Vertiefung zu dem, was ich im Krpg-Lehrgang bereits gelernt habe, zugleich aber auch eine Art Trockenversion davon, weil es an Handlungsorientierung fehlt.
Wir haben heute drei Fälle aus unterschiedlichen familiären Milieus bearbeitet. Ein Fall wurde im Wesentlichen besprochen, zum zweiten gab es ein Rollenspiel und beim dritten Fall eine Aufstellung. Es wird Euch wenig verwundern: Für mich – und wohl für den größten Teil der Gruppe – war die Aufstellung das eindrücklichste Element des Tages. Hier hat sich wesentlich mehr verdichtet und geklärt als bei den anderen Methoden der Supervision.
Ganz oft genieße ich im Rahmen dieses Lernens, die Theorie weiter zu vertiefen. Wenn es dann aber an die Umsetzung geht, dann wünsche ich mir mehr Handeln. Auch wir arbeiten mit Aufstellungen, Bewegungsübungen, Rollenspielen und vielem mehr. Trotzdem fehlt es mir an kreativen und rituellen Elementen und vor allem an der Naturerfahrung, die ich so fruchtbar erlebt habe. Erst jetzt wird mir so richtig klar, wie wichtig diese Methoden für meinen Lernprozess waren.
Könnt Ihr Euch noch an das Kapitel aus den „Wagnissen des Lernens“ erinnern, in dem Astrid Habiba Kreszmeier und Hans-Peter Hufenus schreiben: „Schöpferisches Chaos und Wahrnehmung, beseelte Natur und Beziehung, tragender Lebensstrom und Verantwortung – das sind die zentralen Stichworte am ‚gewagten‘ Grund der Kreativ-rituellen Prozessgestaltung.“ 6
Für mich hat sich dieser gewagte Grund immer schön und reizvoll angehört, auch wenn ich ihn in manchen Punkten noch gar nicht vollständig verstehe oder auch nicht mit denselben Worten beschreiben würde.
Am Beispiel der beseelten Natur kann ich das gut verdeutlichen: Heute Morgen, es ist Sonntag, habe ich den Psalm 148 entdeckt, in dem davon gesungen wird, dass Engel, Sonne, Mond, Himmel, Wasser, Meeresdrachen, Feuer und Hagel, Schnee, Nebel, Sturmwind, Berge und Hügel, Fruchtbäume, Zedern, wilde Tiere und alles Vieh und der Mensch den Schöpfer loben sollen. Das ist doch auch eine wunderschöne Beschreibung für eine Natur, in der in jedem Teil etwas Göttliches steckt. Sicher ganz anders als die animistische Annäherung im oben genannten Buch, aber für mich mit derselben Konsequenz für den Umgang mit und das Lernen in der Natur.
Am meisten beeindruckt und getragen hat mich der Gedanke, dass „alle Menschen einen Platz haben und einen Weg beschreiten können, der ihren Möglichkeiten entspricht. Das Leben lädt uns ein, mitzufahren, einzusteigen in den großen Fluss, mitzuschwimmen.“ 7 Für mich ist das der Kern der Philosophie einer Kreativ-rituellen Prozessgestaltung. Und noch besser als in dem Buch von Seligmann, von dem ich euch geschrieben habe, steht das für mich in anderen Worten in meinem philosophischen Lieblingsbuch „Schönes Leben?“ von Wilhelm Schmid. Aus dem Buch mag ich Euch zum Schluss noch eine Passage zitieren, weil sie so trefflich formuliert, dass es im Leben nicht um dauerndes Glücklichsein geht, sondern um viel mehr:
„Lebenskunst kann (…) heißen, sich ein schönes Leben zu machen, im Sinne von: Das Leben bejahenswerter zu machen, und hierzu eine Arbeit an sich selbst, am eigenen Leben, am Leben mit Anderen und an den Verhältnissen, die dieses Leben bedingen, zu leisten. Die Selbstmächtigkeit, die kunstvolle Gestaltung der Existenz, der Akt der Wahl, die Sensibilität und Urteilskraft, die Realisierung von Schönheit: All diese Momente kommen darin überein, zu einem erfüllten Leben beizutragen, das bejahenswert ist. Dieses Leben besteht nicht nur aus Glücksmomenten, die Widersprüche sind aus ihm nicht ausgeschlossen, sondern bestenfalls zu einer spannungsvollen Harmonie zusammengefügt; es handelt sich nicht unbedingt um das, was man ein leichtes Leben nennt, eher um eines, das voller Schwierigkeiten ist, die zu bewältigen, ja sogar zu suchen sind, voller Widerstände, Komplikationen, Entbehrungen, Konflikte, die ausgefochten oder ausgehalten werden – all das, was gemeinhin nicht zum guten Leben und zum Glücklichsein zählt. Erst in der Bedrängnis leuchtet das Schöne.“ 8
Und damit schließe ich auch meinen kleinen philosophischen Ausflug und mache jetzt einen konkreten Ausflug hinaus in einen wunderbar sonnigen Tag.
Ein lieber Gruß. Peter
Literatur
Campbell, Joseph (1999): Der Heros in tausend Gestalten. Frankfurt am Main (Insel TB)
Seligman, Martin E. P. (2005): Der Glücksfaktor. Warum Optimisten länger leben. Bergisch Gladbach (Bastei-Lübbe)
Furman, Ben (1999): Es ist nie zu spät, eine schöne Kindheit gehabt zu haben. Basel (Borgmann)
Schlippe, A. v. (1991): Systemische Sichtweise und psychotherapeutische Ethik. In: Praxis der Kinderpsychologie und -psychatrie 40 (10)
Foerster, H. v. (1981): Das Konstruieren einer Wirklichkeit. In: Watzlawick, P. (Hrsg.) (1981): Die erfundene Wirklichkeit. München (Piper)
Kreszmeier, Hufenus (2000): Wagnisse des Lernens. Aus der Praxis der Kreativ-rituellen Prozessgestaltung. Bern (Haupt)
Schmid, Wilhelm (2000): Schönes Leben? Einführung in die Lebenskunst. Frankfurt am Main (Suhrkamp)
Fischer, Klawe, Thiesen (1985): (Er) leben statt reden. Weinheim (Juventa)
Andreas Bühler
Jahrgang 1969, lebt in Vaihingen / Enz (Deutschland)
Aus- und Weiterbildungen: Diplom-Sozialpädagoge (FH), Krpg
Derzeitige Tätigkeit: Projektleiter bei einem Bildungsprojekt für benachteiligte Jugendliche, Bildungsreferent bei einem kirchlichen Jugendverband
E-Mail: [email protected]
Peter Thomas
Jahrgang 1969, lebt in Sindelfinden (Deutschland)
Aus- und Weiterbildungen: Diplompädagoge, Krpg, Systemischer Berater
Derzeitige Tätigkeit: Leiter des Bischöflichen Jugendamtes und Diözesanleiter des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend in der Diözese Rottenburg-Stuttgart
E-Mail: [email protected]
Karin Wabersich
Jahrgang 1974, lebt in Filderstadt (Deutschland)
Aus- und Weiterbildungen: Diplom-Sozialpädagogin (BA), Krpg, Führen und Leiten Derzeitige Tätigkeit: Bereichsleiterin im Bischöflichen Jugendamt der Diözese Rottenburg-Stuttgart
E-Mail: [email protected]
1 Vgl. Campbell, Joseph (1999): Der Heros in tausend Gestalten, Frankfurt am Main
2 Seligman, Martin E.P. (2005): Der Glücksfaktor. Warum Optimisten länger leben, Bergisch Gladbach
3 Vgl. Furman, Ben (1999): Es ist nie zu spät, eine schöne Kindheit gehabt zu haben, Basel