Geschichte Italiens. Wolfgang Altgeld
Bevölkerung auf Widerstand, die 1072, mit römischer Hilfe, eine »kanonische« Wahl durchführte, aus der Atto hervorging. Heinrich IV. beharrte auf Gottfried; deshalb bannte Papst Alexander II. fünf Ratgeber des Königs. Gregor VII. nahm diese Maßnahme jedoch zurück, und erst als Heinrich IV. 1075 sowohl Gottfried als auch Atto beiseiteschob und Tebald als neuen Erzbischof von Mailand investierte, eskalierte der Konflikt. Auf ein Mahnschreiben des Papstes mit schweren Vorwürfen vom 8. Dezember 1075 hin trat am 24. Januar 1076 in Worms eine Synode der deutschen Bischöfe zusammen; sie veranlasste den König, den Papst durch ein Schreiben nach Rom für abgesetzt zu erklären. Der Brief war gerichtet an »Hildebrand, nicht mehr [oder: nicht etwa; lateinisch: iam non] Papst, sondern falscher Mönch«, und endete: »Ich, Heinrich, durch die Gnade Gottes König, sage Dir zusammen mit allen meinen Bischöfen: Steige herab, steige herab!« (Ob der überlieferte Wortlaut korrekt ist, ist nicht endgültig geklärt.) Die treibende Kraft waren dabei die Bischöfe, die sich durch den römischen Reformeifer, der streckenweise durchaus fundamentalistische [43]Züge annahm, in ihrer Stellung bedroht sahen und teils auch persönlich beleidigt fühlten; die Bischöfe in Reichsitalien schlossen sich auf einer Synode in Piacenza ihren deutschen Amtsbrüdern an.
Das Schreiben des Königs traf am ersten Tag der Fastensynode, dem 14. Februar 1076, in Rom ein; am folgenden Tag erklärte Gregor VII. Heinrich für exkommuniziert und abgesetzt. Die deutschen Fürsten forderten Heinrich auf, sich binnen Jahresfrist vom Bann zu lösen, und luden den Papst nach Deutschland ein. Während Gregor nach Norden unterwegs war, kam ihm Heinrich IV. entgegen, der trotz des Winters die Alpen überquert hatte; Gregor floh in die Burg Canossa. Dort erschien Heinrich Ende Januar 1077, aber nicht, wie der Papst gefürchtet hatte, mit Heeresmacht, sondern als reuiger Sünder. Gregor blieb nichts anderes übrig, als den König praktisch ohne Gegenleistung oder Garantien am 28. Januar 1077 loszusprechen. Heinrich hatte den Priester in Gregor erfolgreich gegen den Politiker ausgespielt, freilich auch die seit der Antike behauptete Position der Überordnung des römischen Kaisers über den Bischof von Rom aufgegeben (Schlagwort »Canossa als Wende«).
Danach trat für Gregor VII. wieder der Kampf gegen Robert Guiskard in den Vordergrund, den er 1078 zum dritten Mal exkommunizierte. So erklärt es sich auch, dass er den trotz der Lossprechung Heinrichs gewählten Gegenkönig Rudolf von Rheinfelden zunächst nicht unterstützte und erst am 7. März 1080 Heinrich erneut exkommunizierte. Der König antwortete mit einer Synode in Brixen im Juni 1080, die Gregor erneut absetzte und Erzbischof Wibert von Ravenna als Clemens (III.) zum Papst wählte. Vier [44]Tage später söhnte sich Gregor VII. mit Robert Guiskard aus; in der Investiturformel hieß es: »Betreffend das Gebiet aber, das Du zu Unrecht innehast […], will ich Dich jetzt geduldig ertragen im Vertrauen auf Gott und auf Deine Güte, dass Du Dich hinfort so zur Ehre Gottes und des heiligen Petrus verhältst, wie es Dir zu handeln und mir zu dulden geziemt ohne Gefahr für Dein und mein Seelenheil.« Das war eine völlige Kapitulation des Papstes. Tatkräftige Hilfe leistete Robert allerdings nicht. Da zudem in Deutschland der Gegenkönig am 15. Oktober 1080 starb, was die Zeitgenossen als Gottesurteil empfanden, konnte Heinrich im Frühjahr 1081 mit einem Heer nach Italien ziehen; nach zunächst vergeblicher Belagerung öffneten ihm Anfang 1084 die Römer (darunter mehrere Kardinäle) die Tore. So wurde am 31. März 1084 Heinrichs Kaiserkrönung durch Papst Clemens (III.) möglich. Gregor VII. konnte sich nur noch in der Engelsburg halten. Jetzt endlich besann sich Robert Guiskard seiner Lehenspflicht und zog nach Rom, das er am 27. Mai 1084 erstürmte; Heinrich IV. hatte die Stadt bereits verlassen. Die normannische Eroberung erfolgte mit solcher Gewalttätigkeit (damals erst wurden die antiken Gebäude zu den Ruinen, die unsere Vorstellung vom mittelalterlichen Rom prägen), dass Gregor zu seiner eigenen Sicherheit mit den Normannen Rom verlassen musste.
Gregor VII. ist es nicht gelungen, im außerreligiösen Bereich eine zielgerichtete Politik zu betreiben. Im Verhältnis zu Robert Guiskard ist er völlig gescheitert, darin Leo IX., später Innozenz II. und Hadrian IV. vergleichbar. Den Konflikt mit Heinrich IV. hat er nicht bewusst provoziert; im Gegenteil wünschte er ein Zusammengehen mit dem König gegen die Normannen, deren Bekämpfung für ihn [45]unbedingte Priorität besaß. Die Fernwirkung des Tages von Canossa war keinem der Beteiligten bewusst. Gregor starb am 25. Mai 1085 in der Verbannung. 1606 wurde er heiliggesprochen, eine fragwürdige Maßnahme im Rahmen der Gegenreformation.
Mathilde von Tuszien
Die Markgrafen von Tuszien waren treue Anhänger des Reiches. Atto (oder Azzo), Graf von Modena, Brescia und Reggio, soll der späteren Kaiserin Adelheid auf ihrer Flucht vor Berengar II. geholfen haben und sie auf seiner in der Grafschaft Reggio gelegenen Burg Canossa beherbergt haben. Unter seinem Sohn Thebald kamen die Grafschaften Brescia und Ferrara, unter Bonifaz die Grafschaft Perugia hinzu. Diesen erhob Konrad II. 1026 zum Markgrafen der Toskana, da er Partei für Heinrich II. und gegen Arduin ergriffen hatte. Außerdem besaß die Familie Güter (ohne Grafenrechte) in den Grafschaften Verona und Parma, in der Romagna, in Lucca, in der Garfagna und in Pisa.
Die Mathildischen Güter
Der Schwerpunkt dieser später so genannten Mathildischen Güter lag also, ebenso wie die Burg Canossa selbst, nördlich des Apennin, weniger in der Toskana. In dem Besitzkomplex waren Allodien, Kirchenlehen, Reichslehen und wohl auch usurpiertes Reichsgut undurchdringlich miteinander verwoben, was die späteren Konflikte mit erklärt. Der Umfang der Güter erforderte eine eigene Kanzlei; die den Markgrafen zur Verfügung stehende Militärmacht war beträchtlich. Deshalb sah Heinrich III. es ungern, dass Bonifaz durch seine Ehe mit Beatrix von [46]Oberlothringen Verbindungen zu einem Land außerhalb Italiens aufbaute, und er wurde noch argwöhnischer, als Beatrix, Witwe geworden, Herzog Gottfried von Niederlothringen heiratete und außerdem ihre Tochter Mathilde mit dem Sohn ihres neuen Ehemannes verband. Auf seinem Italienzug von 1055 schickte er deshalb Beatrix und Mathilde als Geiseln nach Deutschland; auch wenn beide kurz darauf wieder freigelassen wurden, mag diese Erfahrung doch Mathildes spätere Haltung beeinflusst haben.
In der Auseinandersetzung zwischen Heinrich IV. und dem Papst ergriff Mathilde, die Tradition ihrer Vorfahren verlassend, nicht die Partei des deutschen Königs. Dennoch dürfte es eher ein Zufall sein, dass Gregor VII. 1077 auf Canossa Zuflucht suchte, als ihm auf seiner Reise nach Deutschland überraschend Heinrich IV. entgegenkam. Die gleichzeitige Anwesenheit des Abtes von Cluny zeigt allerdings, dass die Markgräfin in religiöser Hinsicht auf der Seite der kirchlichen Reformbewegung stand.
Im Jahre 1102 bestätigte Mathilde ein schon zur Zeit Gregors VII. errichtetes Testament, in dem sie die Kirche als Erbin einsetzte, allerdings unter dem Vorbehalt, auch noch anders darüber verfügen zu können. Das tat sie auch, indem sie 1111 Heinrich V. das Erbe zuwandte. So entstanden (vor allem nach dem Tode Heinrichs V., d. h. nach dem Aussterben der Salier) zwei konkurrierende Erbansprüche, wobei die Rechtslage durch die inhomogene Zusammensetzung des Besitzes noch kompliziert wurde. Unter Lothar III. kam es dann zu einem Kompromiss: Lothar behielt die Mathildischen Güter als Lehen des Papstes, wobei er jedoch nicht selbst als Lehnsnehmer in Erscheinung trat. Dieses Arrangement wurde später zum Anlass schwerer [47]Konflikte, da der Vorgang mit der gleichzeitig erfolgenden Kaiserkrönung in Zusammenhang gebracht und sogar als Lehnsnahme des Kaisertums missdeutet wurde. Auch zur Zeit der Staufer, die als Erben der Salier direkte Erbansprüche erhoben, bildeten die Mathildischen Güter einen ständigen Streitpunkt zwischen Kaiser und Kurie.
[48]Vom Tode Gregors VII
Nach dem Tode Gregors VII. wurde nicht etwa Clemens (III.) allgemein anerkannt, sondern die Reformpartei wählte, wenn auch mit längeren Sedisvakanzen und unter Schwierigkeiten, Nachfolger aus ihren Reihen. Eine gewisse Stabilität trat erst wieder unter Urban II. (1088–1099) ein. Clemens’ (III.) Schicksal hing wesentlich von der Lage Heinrichs IV. ab, dessen Stern zu sinken begann: Zwar gelang es ihm, in Deutschland über einen weiteren Gegenkönig zu triumphieren und 1087 seinen Sohn Konrad zum Mitkönig erheben zu lassen, aber auf einem neuen Italienzug unterlag er 1092 den Truppen der Markgräfin Mathilde in einer Schlacht bei Canossa. Seine Gemahlin Eupraxia und sein Sohn Konrad gingen 1093 auf die Seite Urbans II. über.