Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh. Karin Helle
sowieso und als heutiger Trainer umso mehr. Schnell in die Spitze, mit dem genialen Pass oder einem intuitiven Dribbling, unbekümmert und mit der nötigen Portion Verrücktheit. Defensive Gedanken, absichern, mauern oder den Ball lange durch die eigenen Reihen spielen zu lassen, um dann zum Torwart zurückzupassen, waren ihm regelrecht zuwider und widersprachen seinem Fußballernaturell. Doch wie es im Leben meist so spielt: Immer dann, wenn man möglicherweise zu sehr in Extremen denkt, wird man eines Besseren belehrt. Denn letztlich macht es immer die Balance aus. Oder um im Bild zu sprechen: Würde die Sonne immer scheinen, gäbe es nur noch Wüsten.
Ein Lerneffekt der besonderen Art fand für den gerade einmal 21-jährigen Herzog am 25. März 1989 im Wiener Praterstadion statt. Vor 23.000 Zuschauern traf das Nationalteam im Nachbarschaftsduell und Freundschaftsspiel auf Italien – mit Größen wie Walter Zenga, Paolo Maldini, Roberto Donadoni oder Gianluca Vialli. Aber auch die rot-weiß-rote Seite konnte sich sehen lassen: Neben Herzog standen auch Herbert Prohaska, Andreas Ogris und Toni Polster auf dem Platz.
Da waren wir, glaube ich, in Lindabrunn kaserniert, und der Josef Hickersberger kommt zu mir her und sagt: „Na, Andi, morgen geht’s gegen den De Napoli.“ (Andreas Herzog)
De Napoli kickte in dieser Zeit als defensiver Mittelfeldspieler für den SSC Neapel hinter Diego Maradona, machte für ihn „quasi die Drecksarbeit“ – wie es Herzog heute noch gerne ausdrückt.
I war halt a junger Spieler noch und hab mehr auf die offensiven Spieler, die halt wirklich Qualitäten gehabt haben, Maradona, Careca und so, aufgeschaut und gedacht: Die sind ja eh a Wahnsinn. Und hab den Defensivspielern eigentlich nie richtig Aufmerksamkeit gschenkt, geschweige denn ihnen gegenüber Respekt gehabt. (Andreas Herzog)
Und nun sollte sich Herzog laut Hickersberger ausgerechnet auf De Napoli vorbereiten. Hin und wieder hatte er sich ihn im Fernsehen angeschaut, wenn De Napoli mit Napoli im Europacup spielte. Doch für Aufsehen hatte dieser bei Herzog nicht gesorgt. Und so fiel seine Antwort auf Hickersbergers Hinweis, er möge sich auf den Defensivspieler der Italiener vorbereiten, recht flapsig aus: „Trainer, der ist ja eh a Hundskicker“, meinte er damals.
Heute spricht Herzog von jugendlichem Übermut und der Tatsache, dass er früher einfach nicht abschätzen konnte, wie wichtig auch ein defensiver Spieler ist, der praktisch jeden Zweikampf gewinnt, gefährliche Situationen vorher schon bereinigt – und somit der Offensive den Rücken freihält. Doch bekanntlich kommt Hochmut ja vor dem Fall. Und so kam es, wie es kommen musste: Herzog konnte im Spiel selbst „keinen Stich“ gegen De Napoli machen.
Ich hab mich nie durchsetzen können, ihn einfach nicht überspielen können.
Nach dem Spiel kam Hickersberger erneut auf mich zu und sagte: „Na, ist a schöner Hundskicker, der De Napoli.“
„Na ja, Trainer, so schlecht ist er doch nicht.“ (Andreas Herzog)
Er schmunzelt, wenn er diese Geschichte erzählt, verbunden mit dem Lerneffekt, eben auch die Defensive zu würdigen und nicht nur – wie als junger Spieler – auf die Offensive zu schauen.
Kleinlaut trat er nach dem Spiel Hickersberger entgegen, er spricht zudem von einem Augenöffner und der wichtigen Erkenntnis für die weitere Karriere, wie sehr gerade auch er als offensiver Denker und Lenker ganz schön abhängig war von der eigenen Defensive. Fortan zollte er den eigenen Verteidigern Respekt und lernte, auf sie zuzugehen, ihnen eben zu vermitteln, dass er nur durch sie glänzen kann.
Und drum möcht i mi im Nachhinein bei all meinen Kollegen, die hinter mir die Drecksarbeit erledigen haben müssen, entschuldigen, dass sie heutzutage künstliche Kniegelenke und künstliche Hüftgelenke haben vom Grätschen und vom Reinhauen. (Andreas Herzog)
In diesen Tagen spürte Andreas Herzog zudem, dass sich die Dinge geändert hatten. Wurde er bisher in den Printmedien immer als „Sohn von Burli Herzog“ beschrieben, trat er plötzlich aus dem Schatten seines Vaters heraus. Für viele Kicker prominenter Fußballväter übrigens eine schier unüberwindbare Hürde – und ein entscheidender Moment in der Karriere eines jeden Jungprofis, wenn er es schafft, sie zu überspringen.
Weißt, ich war am Anfang immer der Sohn vom Burli Herzog, und dann bin i in die Nationalmannschaft gekommen, und auf einmal steht „Andreas Herzog (sein Vater Burli spielte früher auch)“. Wie ich des des erste Mal gelesen hab, hab i gewusst, okay, jetzt hab i es geschafft. Jetzt ist es nicht mehr Burli Herzogs Sohn Andreas. Verstehst den Unterschied? (Andreas Herzog)
Andi Herzog zwischen Mutter und Vater und zwei italienischen Fans und Freunden bei der WM 1990
KAPITEL 12:
„SCHEISS DI NIX!“ – ITALIEN, WIR KOMMEN!
RAPID WIEN/NATIONALTEAM 1988–1992
Am 15. November 1989 fand ein wahrlich historisches Länderspiel für Andreas Herzog statt. Es sollte das 13. Match seiner damals noch jungen Nationalmannschaftskarriere sein – und ihm bis heute in tiefer Erinnerung bleiben, denn an diesem Abend ging es im Wiener Praterstadion gegen eine Auswahl der DDR. Dem einen oder anderen aufmerksamen Leser wird die Tragweite dieser Veranstaltung bereits beim Anblick des Datums, spätestens aber mit dem Hinweis auf das Spiel gegen die Deutsche Demokratische Republik klar. Beispiellos geschichtsträchtig – denn nur sechs Tage zuvor war die Mauer in Berlin gefallen und damit der jahrzehntelang aufrechterhaltene Wall zwischen Ost und West. Doch für Herzog sollte dieses Spiel auch aus einem anderen Grund von historischer Bedeutung sein.
Wenn wir gewinnen, san wir fix bei der WM – und ein paar Tage zuvor ist die Mauer gefallen in Berlin. Und es war für uns natürlich schon a Thema in den Medien, aber nicht so ein dramatisches Thema wie bei den DDR-Spielern, die waren mit den Gedanken schon ganz woanders. (Andreas Herzog)
Für Herzog war dieser Tag und damit die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 1990 in Italien eine Sensation. Nicht umsonst spricht er von einer der „größten Erfolgsgeschichten aller Zeiten“ – doch noch zwei weitere außergewöhnliche Ausnahmemomente in der rot-weiß-roten Sportgeschichte bewegen ihn bis heute.
Das Erste war der Niki Lauda, als er den schweren Unfall gehabt hat mit Verbrennungen, wo er später den Helm wieder drübergezogen hat und wieder Weltmeister in der Formel 1 geworden ist, der Hermann Maier mit dem Sturz in Nagano beim Super G oder bei der Abfahrt, als er da so quer in der Luft liegt, 10, 15 Meter und am nächsten Tag oder zwei Tage später Olympia-Gold geholt hat, und dann das Heimspiel gegen die DDR, und der Toni Polster wird von 60.000 Zuschauern nur beschimpft und beleidigt. (Andreas Herzog)
Irritiert fragte ich nach: „Toni Polster ausgepfiffen? Bei einem Heimspiel?“
Andi bestätigte mit Nachdruck: „Ausgepfiffen, beim Aufwärmen, bei der Aufstellung, bei der Bundeshymne, nur ausgepfiffen!“
Ich schüttelte den Kopf, konnte ich doch gar nicht verstehen, wie ein eigener Spieler so beleidigt werden konnte: „Weil?“
Die eigenen Fans haben ihn ausgepfiffen. Weil er damals der einzige Legionär war, in Spanien, hat einen super Vertrag gehabt. Beim Toni war es so: Wenn er ein Siegestor geschossen hat, ist er gefeiert worden, wenn er kein Tor geschossen hat, haben die Zuschauer ihn kritisiert und beleidigt, weil er jetzt nicht so ein laufstarker Spieler war. So wie der Hans Krankl vorher auch. Du polarisierst. Entweder die Leute lieben dich wegen den Toren, oder sie schimpfen oder beleidigen dich. (Andreas Herzog)
Doch wieso bewegt Andreas Herzog dieses Ereignis bis heute noch so? Wie geschrieben: Neben Niki Lauda und Hermann Maier eine seiner Top-3-Geschichten, wenn es um Erfolg und Mentalität geht.
Vielleicht lag es an der eigenen Einstellung und der Tatsache, dass ihn eine gewisse Abgezocktheit, eine mentale Stärke, einfach eine Durchsetzungskraft gegen alles und jeden Widerstand immer schon begeisterte. Er selbst war gerade einmal 21 Jahre alt und in neuen Situationen, wir erinnern