Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh. Karin Helle

Andreas Herzog - Mit Herz und Schmäh - Karin Helle


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Selbstglauben schöpfen zu können. Ein Toni Polster dagegen machte anscheinend einfach sein Ding. Und so eben auch im besagten historischen Match gegen die DDR. Während Herzerl – vielleicht aus Respekt vor dem wichtigen Duell – zu kränkeln begann, fuhr Anton Polster zur Hochform auf.

       Vor dem Spiel war ich an der Schulter verletzt bei Rapid Wien, von Tag zu Tag ist die Aufregung größer geworden, bin immer nervöser geworden, am Spieltag hab ich Fieber gehabt, zwar nur erhöhte Temperatur, habe mich aber richtig schlecht gefühlt und hab von Beginn an nicht spielen können und dem Trainer das gesagt. (Andreas Herzog)

      Toni Polster dagegen schienen Spiel und Pfiffe zu beflügeln. Vielleicht lag es daran, dass Österreich unbedingt gewinnen musste, um garantiert nach Italien fahren zu dürfen (man stand im Fernduell mit der Türkei, die in der Sowjetunion kickte), oder daran, dass man endlich einmal wieder in den traditionellen Farben, mit schwarzen Hosen und weißen Leibchen, auflaufen durfte – oder eben an den besagten Pfiffen. Jedenfalls schnappte sich Polster schon nach zwei Minuten den Ball, ging an einem Gegenspieler vorbei, täuschte einen Schuss an, um dann mit links und aus rund 17 Metern flach abzuziehen. Tor für Österreich!

      „Toni, Toni“, hallte es laut Herzog plötzlich von den Rängen – eben noch ausgepfiffen, nun Jubel! Ein Umstand, den Herzerl bis heute nicht versteht, zumal sich dieses Schauspiel noch zweimal wiederholen sollte. Als Toni Polster in der 61. Minute zum dritten Mal mit links traf und damit das Ticket zur WM in Italien löste, gab es kein Halten mehr. Er sprang über die Werbebande und lief durch das weite Rund des Praterstadions.

       Und i waß ned, ob es die Leute wissen, und i sag es jetzt einmal: Der Toni ist über die Bande gelaufen, wir sind hin zu ihm, i noch von der Ersatzbank, haben mit ihm gefeiert, haben uns auf ihn draufgehaut. Vorher haben die Leute ihn noch aufs Ärgste beleidigt, ausgepfiffen. Und die Leute jetzt alle: „Toni, Toni“ – und er ist so hingelaufen mit ausgestreckten Armen und hat geschrien: „Geht’s scheißen, geht’s alle miteinander scheißen.“ Und des weiß bisher, glaube ich, noch niemand. Und das möchte ich jetzt mal klarstellen. (Andreas Herzog)

      Doch das sollte noch nicht der Höhepunkt dieses Spiels sein – zumindest nicht für unseren jungen, aufstrebenden Unterschiedspieler. Noch heute reflektiert Herzog jedenfalls offen und ehrlich über sich und seine Stärken – wie auch über seine sensitive Seite.

      „Ich glaub, ich hab das Fieber wegen der Aufregung bekommen“, so Herzog in der Rückschau. Doch nachdem das 3:0 gefallen war, hatte sich die erhöhte Temperatur anscheinend verflüchtigt. Er rannte jedenfalls zur Ersatzbank und rief: „Trainer, ich wäre dann jetzt so weit.“

      Hickersberger hatte schon zuvor mehrfach angedeutet: „Andi, wennst meinst, dass es geht, möchte ich dich gerne eintauschen.“ Nun war der Moment gekommen – doch das Glück sollte nicht lange währen. Nach nur einer Minute lief er aufs Tor, doch „Stahmann, so ein Hüne“, läuft ihm beim Solo in die angeschlagene Schulter – und nach vier Minuten war der Kurzeinsatz des Andreas Herzog wieder beendet.

       Es war eine Wahnsinnserfahrung, weil wir uns für die Weltmeisterschaft qualifiziert haben. Und die Geschichte mit Toni vom Buhmann zum Liebling wird mir immer in Erinnerung bleiben. Da habe ich mit dem Toni noch nicht so ein freundschaftliches Verhältnis gehabt, und ab dem Zeitpunkt war er für mich ein absoluter Held. Wenn das mir passiert wär, ich wär zu dem Zeitpunkt heimgelaufen. Er steckt das weg und schießt die drei Treffer. Weißt, was mich da so bewegt hat? Die Scheiß-di-nix-Mentalität. Und die Überzeugung. Ernst Happel: „Zeig, was du kannst.“ (Andreas Herzog)

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      Drei Helden für Herzog – Lauda, Maier, Polster (li.): „Mit seinen drei Toren gegen die DDR, trotz Pfiffen!“

      KAPITEL 13:

       „TRAINER, I HÄTT GERN DIE NUMMER 20!“

      RAPID WIEN/NATIONALTEAM 1988–1992

      Wie muss sich wohl ein klassischer 10er fühlen, einer, der die Offensive liebt und immer den Drang hat, nach vorne zu spielen, zu lupfen, das eins gegen eins im Dribbling zu suchen oder den Torabschluss gekonnt zu vollenden, wenn er sich denn für das Doppelte entscheidet – zumindest, was die Nummer auf dem Rücken betrifft? Da backt anscheinend einer kleine Brötchen, wie man in Deutschland sagen würde. Oder hatte es wieder etwas mit dem eigenen Selbstbild zu tun?

      Bei Andreas Herzog war es – wie bei vielen anderen jungen Menschen ebenso – so eine Sache mit dem Selbstvertrauen. Er musste es sich immer ein Stück weit spielerisch erarbeiten, in den U-Mannschaften genauso wie in der Kampfmannschaft. Und so manches Mal musste er an seine Grenzen gehen und darüber hinaus, um dann und bei einem Schritt zurück alles und im Flow abrufen zu können – beispielsweise an den legendären Wochenenden und dem Pendeln zwischen U21, den Rapid-Profis und der U18. Außerdem brauchte er seine Fürsprecher, enge Vertraute und Trainer, die an ihn glaubten. Mit Josef Hickersberger hatte er so einen Coach gefunden. Hickersberger wollte ihn unbedingt in der Auswahl spielen sehen, gab ihm Zeit, erkannte auch die sensible Seite des Ausnahmetalents aus dem offensiven Mittelfeld – und wollte seinem kreativen Kicker aus diesem Grund Sicherheit vermitteln. Wenngleich zu dieser Erkenntnis immer zwei gehören. Der Trainer, der seinem Spieler durch klare Botschaften bis zu einem gewissen Grad Glauben vermittelt, und sein Gegenüber, der dies auch wahrnimmt. Doch was, wenn nicht? Und das kurz vor einer WM …

       Und dann lieg i mit meinem Zimmerkollegen, dem Kurt Russ, am Zimmer, und eines Abends, so eine Woche vor dem ersten Spiel gegen die Italiener, kommt der Josef Hickersberger aufs Zimmer und plaudert so mit uns und schaut mi so an und sagt: „Du, und bereite dich vor auf den De Napoli.“ Und i hab mir gedacht: Was meint der jetzt? Meint der jetzt, dass ich von Beginn an spiele? Das glaube i ned, weil in den Medien wird nur spekuliert, des is ein Zweikampf oder Dreikampf um diese Position. Meint er vielleicht, wenn i rein komm, dass ich diesmal besser bin gegen den De Napoli? (Andreas Herzog)

      Doch wo kamen diese Zweifel wieder her, hatte er doch in den vergangenen Jahren so manche Schlacht für Vienna und Rapid geschlagen und für das eine oder andere Ausrufezeichen im Nationalteam gesorgt. Zumal die Worte von Hickersberger auf der Hand lagen: Be prepared – bereite dich vor.

      Im Nachhinein meint Herzog jedenfalls rückblickend, dass ihn das letzte WM-Vorbereitungsspiel wieder zurückwarf. „Wir waren vorher auf Trainingslager und haben ein Spiel gegen eine Auswahl von Brixen oder Südtirol gehabt“, erzählt er heute. „Und die haben so einen gehässigen Libero gehabt.“ Dieser foulte Thomas Flögel so brutal, dass alle Bänder am Knöchel rissen – und die WM für den jüngsten rot-weiß-roten Kicker vorbei war, bevor sie überhaupt angefangen hatte.

      Andi selbst, hinter Flögel und Michael Baur drittjüngster Spieler im Team, kämpfte derweil um einen Startplatz in der Anfangsformation, denn auch ein, zwei andere Kicker wie beispielsweise Alfred „Ali“ Hörtnagl hätten laut Herzog durchaus im offensiven Mittelfeld spielen können. Ein brisantes Duell, wunderbar befeuert durch den Boulevard – und dann war da ja noch der „gehässige Libero“!

       I krieg an Ball, lauf dem Libero davon, und der hält mich zurück. Und ich wollt halt unbedingt ein Tor schießen. Ich wollt halt zeigen, dass ich gut drauf bin. Mit einem Tor kann ich meine Position stärken, dachte ich. Das ich halt gegen Italien in der Startposition stehe. Und der hält mich zurück, und wie er mich so hält, hol ich mit dem Ellbogen aus und hau ihm genau ins Gesicht. (Andreas Herzog)

      Der Libero flog um – und Andi nicht vom Platz. Es war ein österreichischer Schiedsrichter, der noch einmal beide Augen zudrückte. Hickersberger reagierte prompt, nahm ihn vom Platz und ließ ihn zur Strafe gleich acht Kilometer auf einer Waldrunde hinter dem Stadion laufen. „Alles vorbei!“, dachte der junge Herzog verzweifelt und am Boden zerstört, dabei hatten sich die Gefühle einfach nur in ihm aufgestaut. Erst das brutale Foul an einem Mitspieler, dann das permanente Stoßen und Schubsen eines begrenzt Talentierten. Und dennoch: Das darf einem Ausnahmespieler nicht passieren.

      Es war also ein bunter Strauß aus Emotionen, die


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