Peter Schröcksnadel. Florian Madl
Skisport zu befassen.
Ist Peter Schröcksnadel böse? Nein. Aber ein Mann, der Imageverlust im Sinne seiner Sache schmerzbefreit in Kauf nimmt, der dem Feuilleton gerne sprichwörtlich die Zunge zeigt. Der es gewohnt ist, auszuteilen und einzustecken. Der sich in Impfdebatten ebenso einmischt wie in die Mittelverteilung des Sommersports. Der soziale Medien meidet und lange Zeit auf Smartphones verzichtet hatte, als es kaum mehr Tasten-Handys auf dem Markt gab. Sein Motto: „Ich bin ein Fischer. Ich weiß, wann der Fisch zubeißt.“ Und im Moment, da der Streit zu eskalieren droht, gibt sich Schröcksnadel versöhnlich, streckt die Hand aus, gibt sich konfuzianisch: „Es gibt nicht nur Sonne, es gibt auch Regen.“ Er müsse für den Verband geradestehen und ihn so führen, dass dieser erfolgreich sei.
Die vorliegende Biografie, nicht autorisiert und deshalb mit entsprechender Distanz verfasst, kommt aus der Feder eines journalistischen Wegbegleiters und einiger anderer, die Peter Schröcksnadel aus Nähe und Ferne betrachten durften, die mit ihm beruflich zu tun hatten oder auch nur als Konsumenten. Spurlos gingen er und seine Ära an keinem vorbei, dafür sorgten sportliche und wirtschaftliche Erfolge ebenso wie Doping-Aufreger, Missbrauchsschlagzeilen oder Vertragsstreitigkeiten. Wenn man eines über Schröcksnadels ÖSV-Präsidentschaft zwischen dem 23. Juni 1990 und dem 19. Juni 2021 mit Gewissheit sagen kann: Er blieb sich in all den Jahren stets treu.
Niemals Unrecht und Abhängigkeit
Schulzeit, Konkurs der Eltern, Lawinen- und Schatzsuche, Unternehmertum
„Ich bin ein Internatskind. Für uns zählten immer Zusammenhalt, Solidarität und dass man sein Wort hält.“
Um Peter Schröcksnadel zu verstehen, muss man weit in die Vergangenheit reisen, in die Innsbrucker Kindheit im Stadtteil Saggen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Seine Schilderungen begleiten Sätze wie: „Nach dem Krieg haben wir Bandenkämpfe geführt, wir haben mit Handgranaten gespielt.“ Einer seiner Freunde habe dabei auf dem Balkon eine Hand verloren, da war Peter Schröcksnadel sechs oder sieben Jahre alt, so genau weiß er das nicht mehr. Bruchstückhaft tauchen Erinnerungen aus seiner Freizeit auf: Als Schütze mit damals allerorts verfügbaren Gewehren sei er miserabel gewesen. „Ich traf aus drei Metern keine Zwei-Meter-Scheibe.“ Es sei ein karges Leben gewesen, ein hartes. Eines, das ihn nachhaltig geprägt habe, aber das weniger tiefe Spuren hinterließ als die darauffolgenden Schuljahre.
Die Schulzeit
Besonders die Internatszeit als Gymnasiast in Lienz grub sich tief in das Gedächtnis des Heranwachsenden ein. Dass er dort landete, war einem besonderen Umstand geschuldet, keinem Plan: „Ich wusste ja gar nicht, was ich da überhaupt tat.“ Seine Erklärung: „Ein Freund von mir, ein Halbwaise, musste dorthin. Da ging ich mit ihm, ich war solidarisch.“ Die Eltern hätten den heranwachsenden Peter Schröcksnadel jedenfalls nicht nach Osttirol geschickt.
Wie viel der Sohn einer Schneider-Familie von den 1950er-Jahren im Gedächtnis behielt, lässt sich allein an den Ausführungen des Jubiläumsmagazins seiner Firma Sitour ermessen, die diese anlässlich des 50-jährigen Bestehens veröffentlichte. Darin berichtete der spätere Großunternehmer im Zusammenhang mit der Klosterschule von einem „Nazi-ähnlich diktatorischen Stil“. „Es war hart, um nicht zu sagen: brutal.“ Schon damals zeigte sich, dass sich Schröcksnadel mit Hierarchien und Autoritätspersonen schwertat. Das Magazin schloss daraus: „Sein Wunsch nach einer selbstständigen beruflichen Tätigkeit mag wohl bereits damals geweckt worden sein.“
Das Leben in Osttirol war kein Honiglecken, wie Schröcksnadel ausführte: „Wir waren Zöglinge, keine Schüler. Aufstehen um 6 Uhr in der Früh, 6:30 Uhr Studium, 7:30 Uhr Frühstück, 8 Uhr Schule, 14 Uhr Studium, eine halbe Stunde Pause, Studium bis 18:30 Uhr, Bettruhe.“ Wer das nächtliche Schweigegebot brach, erregte den Zorn der Präfekten. Verpfiffen wurde beim Zuwiderhandeln nicht, eine Strafe folgte auf den Fuß: „Wir mussten dann unsere Betten zerlegen und in den Hof runtertragen, auch bei 20 Grad minus. Dann mussten wir uns in den Gang rausstellen – ohne Decke.“
In der Gesprächsserie „Zeitzeugen im Gespräch“ (aufgezeichnet im Haymon-Verlag) zitierte ihn der Chefredakteur der „Tiroler Tageszeitung“, Mario Zenhäusern, im Jahr 2004: „Ich habe seit damals Subordinationsprobleme, also Probleme, mich so mir nichts dir nichts unterzuordnen, ohne von einer Sache überzeugt zu sein.“ Ein Wesenszug, der ihn über all die Jahre als Unternehmer und Präsident des Österreichischen Skiverbands begleitete. Mauern des Widerstands waren stets da, um sie einzureißen, bisweilen auch polternd. So bei der Runderneuerung des in die Jahre gekommenen Austria Ski Pools, der heimischen Firmen ein Exklusivrecht im rot-weiß-roten Rennlauf gesichert hatte. Oder bei der Fremdvermarktung österreichischer Weltcup-Rennen. Beide Bastionen brachte er zum Einsturz.
Zurück in die 1950er-Jahre, zurück nach Lienz
Am Samstag wurde dort gebeichtet, am Sonntag ein Ausflug gemacht. „In Zweierreihe. Und gehaut haben sie uns, die Erzieher, wenn ihnen etwas nicht passte.“ Schröcksnadel zog Parallelen zur Gegenwart, in der die Aufarbeitung solcher Usancen die Einrichtungen einholt: „Es war furchtbar. Ich könnte heute noch zur Klasnic-Kommission gehen und mich beschweren.“ Strafen seien in Ordnung – wenn man wüsste, wofür. „Aber nicht, um jemand zu sekkieren.“
Irgendwann hat es gereicht
Und wieder tun sich Parallelen auf mit einer Zeit, die längst im neuen Jahrtausend angesiedelt ist: Mutmaßliche Ungerechtigkeit – unter diese ordnete er auch die olympische Doping-Razzia von Turin (2006), den Gerichtsprozess in Italien, die Nachwehen ein. „Der eigentliche Skandal ist der, dass es kein Doping-Skandal war, aber vom Staatsanwalt, vom IOC und den Medien zu einem gemacht wurde.“ Nach Schröcksnadels Verständnis konnte die Überführung und Sperre einiger Sportler und Trainer seinem Verband nicht pauschal angelastet werden. Doch davon mehr im Kapitel Doping.
Irgendwann wurde es Schröcksnadel in seiner Internatszeit zu viel. Mit einem Freund büxte er aus und fuhr im Triebwagen eines Korridorzugs nach Innsbruck. „Die Polizei holte uns um 4:15 Uhr raus. Wir verbrachten als Elfjährige zwei Tage im Polizeigefängnis, dann holten sie uns ab.“ Als Bestrafung eignete sich aus Sicht der Erzieher auch das Startverbot für Nachwuchs-Skirennen. Schröcksnadel galt damals sportlich als große Hoffnung. In der 5. Klasse folgte schließlich der Abschied. „Ich sagte, da bleibe ich nicht, von Ostern weg gab ich aus Protest Schularbeiten leer ab.“
Das nächste Internat folgte. Wieder selbstbestimmt ging es nach Reutte – bis November. „‚Da bleibe ich auch nicht‘, sagte ich mir, obwohl es dort im Vergleich harmlos war.“ Der Teenager machte sich auf die Suche nach einem Bauernhof, wo er wohnen konnte. In der kleinen Gemeinde Höfen nahe seiner Schule wurde er fündig. „Ich habe meine Eltern angerufen und ihnen gesagt: ‚Ihr könnt’s mich abholen, wenn ihr das nicht wollt – oder ich bleibe weiter in der Familie.‘“ Schröcksnadel blieb, half in der Folge auf dem Hof mit, verdiente sich ein Taschengeld und auch seine Noten verbesserten sich. Aber es war nicht seine letzte Station als Schüler. In Innsbruck absolvierte er schließlich seine Matura an der Handelsakademie – doch die nächste Herausforderung stand schon bald an.
Der Konkurs des Familienbetriebs
Früher als ihm lieb war, musste er für sich selbst aufkommen, denn der für ihn unerwartete Konkurs des elterlichen Schneiderei-Unternehmens lastete Anfang der 1960er-Jahre schwer auf ihm. „Du lebst in einer Familie, in der es allen gut geht, wo der Vater gut Geld verdient. Uns ging es nie schlecht, doch auf einmal steht der Exekutor da.“ Ein Streik in New York habe zu einem Warenengpass geführt. Für seine spätere Unternehmertätigkeit war das eine weitere Lektion: „Mein ganzes Leben hatte ich mir niemals vorgenommen, viel Geld zu verdienen. Mein einziges Ziel war, nicht pleite zu gehen, und automatisch geht es dann in die andere Richtung.