Im Bann des Eichelhechts. Axel Hacke

Im Bann des Eichelhechts - Axel Hacke


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einen Hammer zum Essen braucht. Und meereschfruchte, meeresfuchte, scheilfisch, venusmushein? All diese schönen Wörter auf der Karte, die hier vor mir liegt – wie kommt man auf sie? Es wäre doch so leicht, das jeweils richtige zu finden, heutzutage. Es gibt das Internet, es gibt Wörterbücher, Nachschlagewerke.

      Warum?

      Ach, lassen wir es.

      Es ist schön, einfach schön.

      Es ist Sprachland.

      Wo beginnt dieses Land?

      Ich kann Ihnen den Grenzübergang genau bezeichnen, damit Sie ihn finden.

      Er befindet sich auf der Speisekarte der Taverne La Posadilla in Andalusien.

      Dort finden wir viele Gerichte unter der Überschrift Mittelteile und große Kälte versammelt. Das ist ein ganz wunderbarer Titel, es könnte sich dabei auch um ein Buch von Peter Handke handeln, zum Beispiel. In der Ausgangssprache, dem Spanischen, sind das Medias y Raciónes frias, worunter Kalte Gerichte in halben und ganzen Portionen zu verstehen sind. Im Englischen ist das auch noch ungefähr erkennbar: Medium and Large cold portions.

      Im Französischen heißt es aber schon Demi-Portions et Grand Froid, wobei mir besonders dieses Grand Froid gefällt, die Große Kälte. Das könnte auch eine Erd-Epoche sein (»Es geschah im Grand Froid, alle Dinosaurier erfroren auf der Stelle«) oder ein Einrichtungsstil wie das Empire (»Ich habe mein Wohnzimmer im Grand Froid-Stil eingerichtet«).

      Am Ende landen wir dann bei den Mittelteilen und der großen Kälte.

      Ist doch wunderbar.

      Später taucht hier ein Gericht auf, das Skillet Großmutter heißt. Ich las flüchtig Skelett Großmutter und dachte, das sei so eine Nebenbei-Speise, etwas zum Knabbern vielleicht. Ich war schon abgehärtet, vorher stand auf der Karte Milch Welpen, dann auch noch Ausgehärtete Schweinelende. (Dafür, dachte ich kurz, muss man ja nicht nach Andalusien reisen, die gibt es auch in vielen deutschen Gaststätten: wirklich gut ausgehärtete Schweinelende.)

      Später meldete sich bei mir aber Herr K., der am Sprachenzentrum der Universität Augsburg arbeitet. Er hatte bei einer Lesung gehört, wie ich vom Skelett Großmutter erzählte, und wollte das Rezept wissen, aus rein sprachwissenschaftlichem Interesse, versteht sich. Ich sah nach, entdeckte Skillett Großmutter und konnte die Sache klären.

      Ich schrieb Herrn K.: »Schaut man aber nach, wie das Gericht auf Spanisch heißt, entdeckt man: Sartén de la abuela. Sartén ist, das wissen Sie besser als ich, die Pfanne, und korrekterweise heißt das Gericht auf der Karte in Englisch dann auch wirklich Grandmother’s pan. Im Englischen gibt es aber eine zweite Bedeutung für Sartén oder eben die Pfanne, das ist: skillet. Und seltsamerweise ist dieses Wort bei der Übertragung ins Deutsche einfach stehen geblieben. Man muss dazu wissen, dass Übersetzungsmaschinen, soweit ich weiß, nicht direkt vom Spanischen ins Deutsche übersetzen, sondern auf dem Umweg über das Englische. Und so ist Skillet vermutlich ins Deutsche gekommen.«

      Soweit also das Erklärbare.

      Wir kommen an die erwähnte Grenze, die zum Unerklärlichen.

      Wir betreten Sprachland.

      Denn auf der Karte gibt es auch etwas zu bestellen und dann zu essen, das heißt: Herzeleid Meer in rosa Sauce. Im Spanischen sind das Boquitas de mar in salsa rosa – und nie habe ich eine Erklärung gefunden, wie man von diesem Gericht, es handelt sich um einen Salat mit Krebsfleisch, zu Herzeleid Meer in rosa Sauce kommt.

      Es war mir auch irgendwann egal.

      Ich habe mich einfach gefreut, dass man, passend vielleicht zu einem großen Liebeskummer oder sonstigem emotionalen Leiden, etwas zu essen bestellen kann. Ich stellte mir vor, wie Menschen sich schluchzend in den Armen liegen und nebenbei Herzeleid löffeln, wie sie den Wirt rufen und noch eine Schüssel Herzeleid verlangen.

      Und wie der Wirt es weinend serviert.

      Nun sind wir im Unerklärlichen. Und es geht weiter, noch sehr viel weiter, Speisekarte um Speisekarte um Speisekarte …

      Ich habe keine Erklärung, wie man fünf knusprige Topf Aufkleber mit einem traditionellen Boden-Schweine-Gemisch mit einer servieren kann. Es ist mir ein Rätsel, was unter Wir werfen gehackte Lacinato Grünkohl mit asiatische Birne Streichhölzer, zerkleinert zu verstehen ist. Ich verstehe nicht, wie man Garnelen und Shrimps mit einer Lötlampe brät. Ich könnte mir noch vorstellen, eine Caprihose zu braten – aber wie esse ich sie? Und was ist unter einer Rundbohnentaschenlampe zu verstehen, als Lebensmittel, meine ich? Und wie kaue ich Kleiderbügel gefüllt mit gegrilltem Käse und Schinken, die in Kroatien im Angebot waren?

      All diese Dinge finden sich exakt und genau so auf Speisekarten aus aller Welt, die mir vorliegen.

      In Sprachland sind das Selbstverständlichkeiten: wird gekocht, kommt auf den Tisch, man isst es. Ja, auf der Karte eines japanischen Lokals fand sich Gesokara, das sind normalerweise frittierte Tintenfischtentakel, fried octopus hieß das im Englischen.

      Aber dann, aber dann: frittierte Oktopuste, ist das nicht ungeheuer?

      Dass man den Atem eines Meerestieres einfängt, in sprudelndem Fett zubereitet und isst? Es raubt mir selbst meine Menschenpuste: So etwas ist möglich. Und dass – ja, es wird noch großartiger! – in einem Restaurant auf Madeira, das zu Portugal gehört, Bolo do Caco angeboten wurde. Bolo heißt eigentlich Kuchen, aber es handelt sich eher um ein kreisrundes Brot aus einer Mischung aus Süßkartoffeln und Weizen, auf einer kreisförmigen Platte, dem caco, in einem Holzofen gebacken. Dieses Brot kann man mit allem Möglichen füllen. In unserem Restaurant tat man Salat hinein, auch Thunfisch oder ein Omelett, am Schluss der Karte aber auch Freuden des Meeres und, nun kommt’s, Sprache Kuh.

      Das ist noch einmal eine Steigerung zur Oktopuste, nicht wahr? Man erinnert sich an Doktor Dolittle, der die Sprache der Tiere verstand und sprach, aber dass man die Sprache der Kuh nicht bloß hören und interpretieren, sondern auch in ein Brot füllen und essen kann, das gibt es natürlich nur in Sprachland, nirgendwo sonst.

      Und nur hier finden wir auf der Empfehlungsliste eines Steaklokals 250 Gramm Top Blade – geschälter Stock saftiges und zartes geschältes Plexiglas. Muss man nur lange genug braten. Oder kochen. Dann geht’s schon.

      Notfalls gibt es einen Hammer dazu, siehe oben, die Maltagliati mit Hammer, Sie erinnern sich?

      Aber wie isst man Gummifrikadellen, die in Worms angeboten werden. Direkt unter dem Schild einer Möbelreklame hing da ein kleineres mit folgender Aufschrift:

      Inegöl Köftecisi sirinler Gummifrikadellen.

      Eine Kollegin, deren Vorfahren in der Türkei lebten, schrieb mir dazu: »Köfteci ist der ›Köftemacher‹. Köfte sind quasi türkische Fleischpflanzerl, Frikadellen etc. Inegöl ist eine Stadt. In der Türkei gibt es ganz viele Köfte-Varianten und der macht wohl die Variante aus Inegöl. Also der ›Inegöl-Köftemacher‹. Die zeichnet sich dadurch aus, dass sie kaum gewürzt ist, nur mit Zwiebeln. Das Fleisch ist sehr fein gewolft, es kommt Backpulver rein, Semmelbrösel oder aufgeweichtes Brot kommt meistens nicht in diese Köfte, deshalb ist die Konsistenz dann ein bisschen gummiartig. Und şirinler, also das, was vor ›Gummifrikadellen‹ steht, bedeutet ›die Niedlichen‹. Şirinler werden in der Türkei auch die Schlümpfe genannt.«

      Das hätten wir also.

      Und wenn wir gerade bei Frikadellen sind: Frau B. entdeckte in der Türkei einmal ein Gericht namens Mädchen und Knödel, in der Landesprache hieß es Anali Kizli Köfte, was Mütter und Töchter Fleischbällchen heißt, ein schöner Name, aber die Türken haben für viele ihrer Gerichte tolle Namen, ich erinnere nur an Der Imam fiel in Ohnmacht oder Dem Sultan gefällt’s. Die großen


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