Pardona 3 - Herz der tausend Welten. Mháire Stritter

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erklärte sie, »und sie sind noch unruhiger als sonst. Große Räuber lauern hier, alte Schatten und vergessene Orte. Ziehen wir weiter.«

      Sie machte in paar Schritte zur Reling und legte die schmalen, langen Finger des neuen Körpers darauf. Das fein polierte Holz fühlte sich seidig und warm an, und die Freude über diese neuen Sinne ließ sie lachen und die Glöckchen am Mast klingeln. Der Vierbeinige neigte den Kopf und sah sie an.

      »Wir finden einen Weg, uns zu verständigen«, versprach sie ihm. »Wir haben alle Zeit, es zu lernen.«

      Sie ließ den neuen Körper die Reling entlanggehen, bis sie ihren Bug erreichte. Sie streckte sich und berührte sacht den goldenen Vogel, der dort wachsam ins Nichts spähte. Dort hatte einst die Hand ihrer Schöpferin geruht und sie genoss den Moment der Erinnerung, der Nähe über Zeit und Welten hinweg.

      »Nichts haben wir mehr als Zeit«, wisperte sie. Ungesehen und lautlos folgte sie den Bahnen aus Kraft, erkundete neue Wege und ließ Welten an sich vorbei ziehen. Ihre Besitzerin war fort und so gehörte sie nur sich. Freiheit, so fand sie, musste genutzt werden. Der einzig wache und beseelte ihrer neuen Begleiter widersprach nicht.

      Zumindest nicht sofort.

      Die Welt lag im Chaos und Amadena wusste es. Sie hatte es in ihren Träumen gesehen und in ihrem gemarterten Leib gespürt. Die eine Sache, die sie vor dem völligen Wahnsinn bewahrt hatte, war das Wissen darum, dass die 3. Sphäre in Flammen stehen würde – durch den Krieg Pyrdacors, durch seinen Fall … und vor allem durch ihre eigene Hand.

      Als ihre Zehen zum ersten Mal seit fast eintausend Jahren wieder aventurischen Boden berührten, ging ein Zittern durch ihren Leib. Es war nicht ihr Zittern. Vielleicht war es die Vibration der Sphären nach dem Fall des Gottdrachen Pyrdacor, ihres Vaters, die sie spürte. Vielleicht war es das pulsierende Leben des Waldes oder schlicht ein Vorzeichen der Angst, die die Schöpfung vor ihr hegte.

      Sie war an dem Ort wiedererschienen, an dem sie in die Niederhöllen gefahren war. Einst war es eine Lichtung am Rand der Stadt Simyala gewesen. Nun war alles überwuchert und roch nach frischem Leben, aber sie erkannte den Ort dennoch wieder. Sie atmete die laue Nachtluft ein und den leichten Verwesungsgeruch, der darin lag. Amadena hatte nichts bei sich, keine Waffen, kein Gewand. In ihrer Hand hielt sie lediglich die Fibel, die die verlorene kleine Gruppe von Helfern zu Acuriën gebracht hatte, mit einem Hauch seiner Seele darin. Inzwischen enthielt sie seine vollständige Seele, alles, was von ihm übrig war.

      Sie öffnete die Hand und schaute auf das kleine Schmuckstück hinab, simpel und aus schlichtem Silber gefertigt. »Ich werde mich daran erinnern. Ich werde mich immer daran erinnern, wie nützlich du mir am Ende doch warst«, wisperte sie ihm zu. »Und auch du wirst es nie vergessen, denn du wirst mein Begleiter sein, wohin ich auch gehe.«

      Sie steckte sich die Fibel ins Haar und sah sich um. Einige Schritt neben und hinter ihr, wie ein folgsamer Diener, stand der Troll – Kaschmallarun. Er schwankte noch immer und Blut lief ihm aus den Augenwinkeln und aus dem halb offenstehenden Mund. Er schien förmlich zu dampfen, seine Kleidung war zerrissen und versengt und er blutete aus zahlreichen Wunden. Dicke, purpurne Adern zeichneten sich unter seiner Haut ab. Als Amadena ihn musterte, senkte er den Kopf, ging langsam auf die Knie und gab einen langen, jammernden Laut von sich.

      Sie ging langsam auf ihn zu, genoss dabei jeden Schritt ihrer nackten Füße auf dem Waldboden: echter, stofflicher Boden, Humus und Steine und Texturen, die für ihre Sinne erschlossen werden konnten. Sie betrachtete den Troll aus der Nähe, zog seine Lippen auseinander, um seine leeren, blutigen Kiefer zu betrachten, wo ihm alle Zähne ausgefallen waren.

      »Du hast viel von der Macht des Güldenen gekostet«, sagte sie sanft zu ihm, strich ihm über die graue, aufgerissene Haut in seinem Gesicht, »zu viel. In ein paar Stunden wirst du tot sein, Schrat, und du wirst völlig umsonst gestorben sein.«

      Er hob den Kopf und starrte ihr in die Augen. Sie kannte den bernsteinfarbenen Blick der Trolle, aus dem Weisheit von Äonen sprach. Er hatte sie noch nie beeindruckt. In diesem Blick hier sah sie vor allem den zum Scheitern verurteilten Kampf gegen die Macht des dhaza. Sie hatte diesen Troll innerlich aufgefressen, wie es sonst keine Macht auf der Welt vermochte, seine Lebenskraft aufgezehrt und seinen Atem und seine Knochen vergiftet. Das war das Glorreiche und das Gnadenlose an ihrem wahren Schöpfer: Man musste sich ihm nicht willentlich unterwerfen, um von ihm aufgezehrt zu werden. Seine Macht war unsichtbar, schleichend und tödlich.

      »Natürlich könnten wir das noch ändern«, sagte sie ruhig, bot ihm nur die Möglichkeiten an. »Stell dir vor: Du verschreibst dich dem Goldenen Gott und seine Macht wird dich nicht mehr weiter verzehren. Dann hast du vielleicht eines Tages die Gelegenheit, dich und deine toten Freunde zu rächen. Vielleicht wirst du mich sogar erschlagen. Du wirst natürlich den Willen dazu verlieren und in meinem Namen weitere Gräueltaten vollbringen, aber wer weiß das schon genau … Vielleicht wirst du einen Weg finden. Und bis dieser Tag kommt, dienst du mir.«

      Kaschmallarun war auf alle viere gesunken und hatte begonnen, Blut zu erbrechen. Er versuchte, von Amadena weg zu kriechen. Sie ging unbeeindruckt hinter ihm her und berührte ihn sanft mit der Hand an der Stirn, löschte gnädig für eine Weile seinen wachen Geist aus. Der Troll sank augenblicklich zusammen wie ein gewaltiger Sack und blieb regungslos auf dem Waldboden liegen. Sie selbst ließ sich nieder, um zu denken, zu meditieren. Sie sang zu ihrem eigenen Körper und der Welt und schützte sich vor Unbill und Wetter. Ihre Knochen erinnerten sich, den Dämon Maruk-Methai in sich getragen zu haben, dessen immense Macht sie hierhin zurück gebracht hatte. Er war gewichen, kaum dass sie die 3. Sphäre betreten hatte, aber sie schmeckte seinen Namen auf ihrer Zunge und wusste, wenn sie rief, würde er eilen.

      Sie versenkte sich in langsame, planvolle Gedanken, ordnete das, was sie in Agonie und ohne eine Möglichkeit, es festzuhalten, in ihren Geist eingeschrieben hatte: Geheimnisse und Namen, Chaos und die darin verborgenen, erzwungenen Regeln.

      Ihre Zeit in den Niederhöllen hatte sie nicht wie Acuriën in einer Zwischenwelt verbracht, an einem Un-Ort, an dem der fenvar als Fremdkörper in der 7. Sphäre gefangen war und die Grauen und den Wahnsinn zwar erleben musste, aber immer wieder vergessen und übersehen werden konnte. Nein, sie war direkt mit den stärksten Kräften der Niederhöllen in Kontakt geraten. Die Dämonen der Niederhöllen verzehrten sich nach ihrer Seele. Sie hatte die Elemente verdorben, die Schöpfung nach ihrem Willen verändert, Liebe und Zuneigung geheuchelt und die anderer ausgenutzt, Rache geübt und das Blut Ahnungsloser und Unschuldiger vergossen, verbotenes Wissen gesammelt und ihren Hort an Macht gemehrt – sie hatte in den Augen der Schöpfung jede Sünde begangen und die Wesenheiten der Niederhöllen, die Inbegriffe von Sünde, besaßen alle einen Anspruch, ein Verlangen, nach ihrer Seele.

      Im Laufe der Zeit lernte Amadena die verschiedenen Domänen kennen. Während andere Wesen schon nach Augenblicken am Wahnsinn zerbrochen wären, hielt Amadena stand und entwickelte ein kühles, distanziertes Interesse an den Foltermethoden und den Myriaden Ungeschaffener, deren Blick auf sie fiel. In den Erinnerungen, die Acuriën von Amadena erhielt, waren es am Ende sogar die Dämonen, die sich vor ihr fürchteten und die sie immer weiter zum nächsten Erzdämon reichten, in der Hoffnung, dieser könnte sie endlich brechen oder – noch besser – sie würde diesen stürzen und somit die Gelegenheit für eine Ausweitung der eigenen Macht schaffen.

      Nach all diesen Jahren war Amadena zu einer Expertin für das Chaos der Niederhöllen geworden, sofern dies einem fleischlichen Wesen überhaupt möglich war. Nicht nur hatte sie in ihrem Geist eine Bibliothek aller ihr bekannter Dämonen, ihrer Stärken, Vorlieben und Schwächen hinterlegt, sie hatte auch Wissen von diesen Dämonen erlangt, das diese seit Äonen über die Schöpfung gesammelt hatten, Wissen über die Natur der Sphären, die Wunden, die ihnen von den Dämonen beigebracht worden waren und über das unerreichbare Herz all dieser Welten. Ihre Zeit in den Niederhöllen hatte sie nicht nur stärker gemacht, sondern auch gefährlicher und mitleidloser.

      All diese Erinnerungen teilte sie mit Acuriën. Ob sie echt waren oder eine Wahnvorstellung, das konnte er nicht sagen. Ihre neue Perspektive war Amadena jedoch dienlich bei dem, was


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