Echte Golfer weinen nicht. Kurt W. Zimmermann

Echte Golfer weinen nicht - Kurt W. Zimmermann


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»Ich-fand-ihn«-Methode

      Die meisten Golfspieler auf diesem Planeten müssen Italiener sein.

      Es hatte mich zufällig in einen Flight mit zwei Engländern verschlagen. Man sagte »hello« und sie schlugen vor, dass jeder Spieler auf der Runde einen »italian caddie« bekomme. Ich war ratlos, und so erklärten sie es mir: Jeder Spieler darf pro 18 Loch einmal mit dem Fuß gegen den Ball treten, zum Beispiel, um ihn aus dem hohen Gras auf den Fairway zurückzukicken. Der Fußtritt ist straffrei.

      Schöner Name, »italian caddie« und sehr passend. Ich spiele immer wieder in Italien, und ich wundere mich oft über die Fußballkünste, die mir dort auf den Golfplätzen vorgeführt werden. Da wird der Ball fast so oft mit der Schuhspitze wie mit dem Schläger getroffen. Wenn man sich wundert, ist die Antwort immer dieselbe: »Ma dai«, sagen sie, »du willst mein Freund sein, und du lässt mich trotzdem aus dieser schlechten Lage spielen.«

      Die Engländer, klassische Gentleman-Sportler, halten sich an die Regeln. Wenn sie eine, oft skurrile, Ausnahme erlauben, etwa einen »italian caddie«, dann gilt diese Ausnahme für alle. Die Italiener halten sich nicht an die Regeln. Ich glaube, die meisten Golfer auf diesem Planeten sind Italiener.

      Golf ist ja der einzige Sport, wo es bei Wettkämpfen keine Schiedsrichter gibt. Niemand von außen überwacht, ob die Regeln eingehalten werden. Selbst die Referees bei Profi-Turnieren sind keine Schiedsrichter im engeren Sinn, die mit dem Feldstecher die Teilnehmer kontrollieren würden. Sie sind eher Auskunftspersonen, die etwa angefragt werden, ob ein Spieler den Ball droppen dürfe, weil er sonst auf einem TV-Kabel stehen müsste.

      Ansonsten gibt es in allen Sportarten Schiedsrichter. Im Fußball rennen sie dem Ball hinterher, beim Tennis sitzen sie auf ihrem Stühlchen. Sogar beim Dart im Pub sind Referees dabei, selbst beim Ballonfahren sind die »Observer« unterwegs. Nur nicht im Golf. Das stellt in der Theorie hohe Ansprüche an die menschliche Integrität, in der Praxis fördert es eher andere Charakterzüge.

      Als das Internetportal badgolfer.com eine Umfrage bei 10000 Spielern durchführte, war das Resultat eindeutig. 7120 gaben zu, auf dem Platz zu betrügen. Das wären, wenn ich richtig rechne, 71,2 Prozent.

      Die Greens sind also keine Greens, sondern ein Dschungel. Denn neben der Schiedsrichterfrage unterscheidet sich Golf in einem zweiten Punkt von allen anderen Sportarten. Man kann nirgendwo leichter mogeln als beim Golf. Versuchen Sie einmal, beim Weitsprung oder beim Rückenschwimmen zu betrügen. Das ist nicht ganz einfach. Je leichter eine Sportart ist, desto schwerer ist der Betrug.

      Am beliebtesten, so zeigen Feldstudien und Fachliteratur, ist immer noch die »Ich-fand-ihn«-Methode. Ungefähr fünfzehn Meter vom Ort, an dem der Ball in den Wald eindrang, findet der glückliche Golfer plötzlich seinen Ball – mirakulös.

      Ähnlich wundersam ist die Eigenheit von Golfbällen, in der Luft ihre Markennamen zu wechseln. Sie starten als saubere, weiße Titleist-Bälle und kommen 150 Meter weiter vorn als verschmutzte Callaways und Nikes im hohen Gras an.

      An dritter Stelle der Rangliste steht die Fähigkeit des Golfers, seinen gefundenen Ball mit Händen, Golfsäcken, Ästen, Schlägern und Füssen heimlich in eine neue, komfortablere Lage zu bugsieren. Selbstverständlich gilt diese Vorgehensweise nur für den eigenen Ball. Findet man den Ball eines Gegners, dann stellt man sich drauf.

      Kein Schiedsrichter sieht dabei zu. Ärgern wir uns aber nicht, sehen wir lieber die positiven Seiten. Als im deutschen Fußball die Affäre um den korrumpierten Robert Hoyzer hoch kochte, konnten wir Golfer uns wieder einmal selbstbewusst zurücklehnen. Golf, konnten wir uns sagen, ist eben doch ein sauberer Sport – bei uns gibt es keinen einzigen Fall von Schiedsrichterbestechung.

      Flucht unter die Gürtellinie

      Warum Whisky und Männerwitze auf dem Golfplatz Heimrecht haben.

      Um uns diesem Thema zu nähern, müssen wir mit einem dieser uralten Golfwitze starten. Also: Die Golferin verabschiedet sich am ersten Abschlag vom Golf-Pro, doch nach 20 Minuten ist sie schon wieder zurück. »Warum sind Sie so schnell zurück?« fragt der Pro. »Ich bin von einer Biene gestochen worden« sagt sie, »zwischen dem ersten und zweiten Loch«. Sagt der Pro: »Ich habe Ihnen schon immer gesagt, dass Ihr Stand zu breit ist.«

      In Europa besteht die Golfpopulation aus zwei Drittel Männern und einem Drittel Frauen. Golf ist also kein reiner Männersport mehr wie Fliegenfischen, Snooker oder Fasanenjagd. Und schon kommen wir zum Problem.

      Keine Angst, wir werden hier nicht dafür plädieren, dass man vor den Clubhouses wieder die alten Schilder montiert, auf denen bis weit ins 20. Jahrhundert stand: »No dogs and no women admitted.« Wir plädieren nicht gegen Frauen auf dem Golfplatz. Wir wollen nur aufzeigen, weshalb Golf nur dann richtig Spaß macht, wenn es als konsequente Männersportart betrieben wird.

      Reden wir zuerst über die gesellschaftlichen Trends der letzten zwei Jahrzehnte. Sie brachten einen beispiellosen Vormarsch an politischer Korrektheit. Sexistische Witze sind verboten, will man im Betrieb kein Verfahren an den Hals. Saufen ist tabu, will man die Karriere nicht ruinieren. Rauchen ist im Büro und zunehmend in Restaurants verboten.

      1Es ist nicht mehr möglich, dass man in der Öffentlichkeit in einer grünkarierten Hose, mit einer dicken Zigarre und einem vollen Whiskyglas in der Hand sexistische Witze reißt.

      Nun kann man sich fragen, wer denn überhaupt in einer grünkarierten Hose mit einer dicken Zigarre und einem Whiskyglas in der Hand sexistische Witze reißen will. Die Frage kann man moralisch oder pragmatisch beantworten. Moralisch betrachtet, wollen dies nur ewig gestrige Machotypen. Pragmatisch betrachtet, wollen das alle Männer von Zeit zu Zeit.

      Darum sind Golfplätze zu den wichtigsten Refugien des politisch Unkorrekten geworden. Sie sind der einzige öffentliche Ort der Gegenwart, wo noch alles erlaubt ist. Besonders fällt mir dies auf, wenn ich gelegentlich in den USA spiele. Nirgendwo sonst sieht man darum so viele Männer in grünkarierten Hosen, die mit rauchenden Zigarren und Whiskyfahnen über die Fairways torkeln. Der Golfplatz ist der letzte Naturschutzpark der Zeitgeistverweigerung.

      Tut mir leid, manchmal haben Männer einfach keine Lust auf Zeitgeist, aber umso mehr auf schlechten Geschmack. Also ziehen wir am Freitag in unseren grünkarierten Hosen zu viert über den Golfplatz, jeder eine dicke Cohiba im Gesicht und einen Flachmann mit Lagavulin im Bag und wir erzählen uns Witze von unterhalb der Gürtellinie.

      Wir mögen ewig gestrige Machotypen sein und unter schlechtem Geschmack leiden, aber wir leiden nicht unter einem Mangel an Anstand. Wir würden uns niemals so aufführen, wenn Frauen in der Runde wären. Logische Folgerung: Wir möchten am Freitag keine Damen in der Runde. Am Samstag ziehen wir dann die schwarze Hose an, kaufen uns ein Mineralwasser, spielen mit unseren Frauen und unterhalten uns über die Theaterpremiere. Wir sind richtig sympathisch.

      Nur damit Sie als Leser zum Schluss beruhigt sind: Der Witz, den ich eingangs zitiert habe, gehört auf unserer grünkarierten Freitagsrunde zur harmloseren Spezies. Wir haben auch weniger jugendfreie Exemplare im Repertoire.

      Echte Golfer weinen nicht

      Golf ist die einzige gesellschaftlich akzeptierte Variante des dauernden Versagens.

      Der 68-jährige Rentner Bob Siddle gewann in der englischen Lotterie 10 Millionen Pfund. Er brachte es anschließend zu lokaler Berühmtheit, weil er monatelang den Millionenscheck auf der Post nicht abholte. Von Montag bis Samstag sei er auf dem Golfplatz, erklärte Siddle, und zwar bei jedem Wetter, da sei keine Zeit für zweitrangige Nebengeschäfte.

      Das wirklich Erstaunliche an Bob Siddle aber ist, dass er ein miserabler Golfer ist. In seinem Klub wären sie froh gewesen, hätte er den Scheck abgeholt und zumindest einen Tag lang das Gelände nicht umgepflügt. Dass er dennoch lieber Golf spielte, als reich zu werden, macht ihn artentypisch. Er erklärt die Phänomenologie des Golfers außerordentlich präzise.

      Der Golfer zieht den Misserfolg auf dem Golfplatz dem Erfolgserlebnis außerhalb des Golfplatzes bei weitem vor.

      Warum


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