DSA: Die Löwin von Neetha Sammelband. Ina Kramer
Brelak gesehen hatte. »Es muß ein Unglück geschehen sein«, murmelte sie, und schon war sie auf den Beinen, hatte das Kind auf die Decke gelegt, ihr Mieder geschlossen und in wenigen Wimpernschlägen die Zügel vom Ast gewunden und sich selbst in den Sattel geschwungen. »Rondra, Herrin, hab acht auf meine Kleine!« stieß sie hervor, während sie zur Straße sprengte. Und wenn du zuläßt, daß auch diese mir genommen wird, dann sollst du in deinen Hallen vergeblich auf mich warten, fügte sie in Gedanken grimmig hinzu.
Sobald Kusmine die Straße erreicht hatte, sah sie, was geschehen war: In etwa fünfzig Schritt Entfernung wälzten sich drei Gestalten kämpfend am Boden. Augenblicklich wußte Kusmine, wie sich der Überfall abgespielt haben mußte. Die beiden Wegelagerer – daß es sich um solche handelte, daran gab es keinen Zweifel – hatten ihrem Opfer aufgelauert, das sie sich vermutlich schon auf der Reichsstraße als solches erkürt und seitdem verfolgt hatten (sie mußten also über Pferde verfügen), es vom Pferd gerissen und versuchten nun, den Mann zu überwältigen und auszurauben, denn um einen Mann handelte es sich bei dem Opfer, wohingegen die Strauchdiebe ein Pärchen mittleren Alters und nordländischen Aussehens waren (Albernier vermutlich). Bei Rondra! Am hellen Tag! dachte Kusmine. Der Kampf war eine üble und ungleiche Rauferei, denn das Opfer, ein schlanker, gutgekleideter junger Mann, wie Kusmine im Näherkommen erkannte, war so unglücklich gefallen, daß er sein Rapier nicht erreichen konnte, und die Räuber waren entweder unzureichend oder gar nicht bewaffnet. Aber sie waren ihrem Opfer an Kräften weit überlegen. Das Weib, halb auf dem Jüngling kauernd, teilte mit ihren großen knochigen Fäusten gewaltige Hiebe aus, unter denen er sich wimmernd krümmte, während ihr Gefährte ihn immer wieder mit seinen schweren Stiefeln trat.
Als Kusmine das Messer aufblitzen sah, war sie fast heran, das Schwert in der Rechten. Aber die Wegelagerer hatten sie inzwischen bemerkt, hielten inne, und nach einem kurzen Blickwechsel verschwand die Frau im Wald rechts neben der Straße. Ihr Kumpan jedoch, sich seiner Gewandtheit und günstigen Position bewußt – zwischen ihm selbst und den gefährlichen Pferdehufen lag der junge Mann halb besinnungslos am Boden –, zeigte mit einem häßlichen Grinsen Kusmine sein von Kämpfen oder Folterungen grauenhaft entstelltes Antlitz, dann schnitt er blitzschnell einen Beutel vom Gürtel des Opfers und war mit zwei Sätzen im Gesträuch links des Weges verschwunden.
»Gesindel, wagt es noch einmal …!« rief Kusmine ihm nach, dann sprang sie aus dem Sattel und eilte dem Verletzten zu Hilfe.
Der junge Mann war offenbar nicht lebensgefährlich verletzt. Leise stöhnend wand er sich im Straßenstaub, die Rechte in die Magengrube, die Linke zwischen die Beine gepreßt. Kusmine beugte sich über ihn und berührte vorsichtig seine Schulter. »Mein Herr«, begann sie, »wie geht es Euch? Könnt Ihr sprechen? Euch erheben?«
Der Mann hob beim Klang der Stimme mühsam den Kopf und blickte sie aus einem dick verschwollenen Auge an.
»Zordan! Um Praios’ willen!« schrie Kusmine auf. »Was tust du hier? Was haben sie dir angetan?« Und dann begann sie, ohne eine Antwort abzuwarten, mit kundigen Fingern und geübtem Blick die Blessuren ihres Halbbruders zu untersuchen. »Es scheint nichts gebrochen zu sein, Rondra sei Dank«, murmelte sie. »Versuch dich zu erheben«, fuhr sie fort, »ich werde dich stützen.« Statt einer Antwort stöhnte Fuxfell laut auf, als Kusmine ihn unter den Achseln packte und auf die Füße zu stellen versuchte. »Beiß die Zähne zusammen, kleiner Bruder«, sagte sie zärtlich, aber bestimmt, »es muß gelingen! Du kannst hier nicht liegenbleiben.«
Zordan Fuxfell bot ein Bild des Jammers, als er schließlich auf zitternden Beinen stand, den Kopf eingezogen, den Rücken gekrümmt und die Hände nach wie vor an den schmerzenden Leib gepreßt. Mit Kusmines Hilfe gelangen ihm ein paar mühsame Schritte. »Kannst du reiten?« fragte sie teilnahmsvoll.
Fuxfell schüttelte den Kopf. »Nicht reiten«, stöhnte er.
»Nun«, meinte sie nachdenklich, »wenn du nicht reiten kannst, dann mußt du gehen – das wird hart, aber wir schaffen es schon.«
Doch Zordan Fuxfell schüttelte wiederum den Kopf. »Nicht gehen«, wimmerte er, »hol einen Wagen.«
»Sei vernünftig, Zordan«, erwiderte die Schwester, »ich kann dich nicht allein hier zurücklassen – sie könnten wiederkommen…«
Sie könnten wiederkommen! Es war wie ein Hieb, ein Schwertstreich, ein Blitzschlag. Eine eiskalte Hand griff nach Kusmines Herzen, das für einen Moment zu schlagen aufhörte. »Meine Tochter!« schrie sie. »Mein Kind!« Mit einem Satz hatte sie sich aufs Pferd geschwungen und sprengte zur Lichtung zurück. Wenn die Banditen ihr Kind geraubt hätten – sie wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu führen, sie wußte nur eins: Falls ihrer Tochter ein Haar gekrümmt worden wäre, dann würde sie die Schuldigen verfolgen bis ans Ende der Welt, wenn es sein müßte, und sie würde sie mit allen Martern der Dämonenhöllen strafen: sie bei lebendigem Leibe häuten und rösten und pfählen und vierteilen und …
Kusmine hatte die Lichtung erreicht, und da lag Klein-Thalionmel, friedlich und satt, blinzelte in die Sonne und haschte mit den winzigen Fingern nach einem Schmetterling.
Vom Pferd zu springen, das Kind samt Decke zu ergreifen und wieder aufzusitzen, war eine Sache von Wimpernschlägen.
Als Kusmine, das Kind an die Brust gepreßt, zu ihrem Halbbruder, der stöhnend an einem Baum lehnte, zurückgekehrt war, vernahm sie fernen Hufschlag. Sichernd schaute sie sich um, dann reichte sie Zordan den Säugling, doch dieser machte keine Anstalten, das Kind entgegenzunehmen. »Was ist?« fragte sie schärfer als beabsichtigt, »willst du dich nicht deiner Nichte annehmen, wenn ich in wenigen Augenblicken deinen Bedrängern entgegentrete?«
Aber Fuxfell schien sie nicht zu hören oder zu verstehen. »Hol einen Wagen, hol einen Medicus, laß mich nicht allein«, wimmerte er nur und war sich der Unvereinbarkeit seiner Wünsche offenbar nicht bewußt.
»Bei Rondra, ich fasse es nicht«, zischte Kusmine, und wilder Zorn loderte in ihren Augen auf. »Nun reiß dich zusammen, Memme, dir fehlt doch nichts!«
»Mememem«, wiederholte Thalionmel, und kleine Speicheltröpfchen flogen ihr vom Mund. Der scharfe Ritt im Arm der Mutter hatte ihr gut gefallen und ihr immer wieder kleine jauchzende Wonnelaute entlockt. Nun blickte sie Zordan mit ihren wachen blauen Augen aufmerksam an. »Mememem«, sagte sie.
Wie vom Donner gerührt hielt Kusmine inne. »Du kannst sprechen?!« entfuhr es ihr.
»Mememem, rörörö«, antwortete der Säugling lachend und griff nach dem Haar der Mutter.
Da besann Kusmine sich ihrer Pflichten und legte das widerstrebende Bündel ins Sattelkörbchen. Mit wenigen hastigen Griffen hatte sie die Bänder festgezurrt. »Nun gut, wollen wir schauen, wer uns die Ehre gibt«, flüsterte sie ihrer Tochter zu. Dann zog sie ihr Schwert und erwartete, aufrecht und reglos im Sattel sitzend, die Ankunft der Banditen.
Es waren zwei Reiter und drei Unberittene, wie Kusmine erkannte, als die fünf Gestalten an der fernen Biegung der Straße auftauchten. Aber irgend etwas stimmte nicht mit ihnen: Weder schienen sie es eilig zu haben, noch waren sie im mindesten darauf bedacht, unentdeckt zu bleiben. Ja, es hatte gar den Anschein, als sprächen oder scherzten sie miteinander.
»Durenald!« rief Kusmine. »Durenald!« Sie winkte heftig mit der Linken, dann steckte sie das Schwert in die Scheide zurück und sprengte ihrem Gemahl entgegen.
Auch Durenald hatte sie inzwischen erkannt und beschleunigte seinen Ritt. »Kusmine, liebes Herz, welche Freude, dich zu sehen«, sagte er, als er sie erreicht hatte. »Doch was ist dir?« fügte er besorgt hinzu, als er den merkwürdig fremden Ausdruck ihrer Augen bemerkte, in dem sich Bestürzung, Grimm und Erleichterung mischten. »Und was verbirgt sich in dem seltsamen Körbchen hinter deinem Sattel?«
»Unsere Tochter«, erwiderte Kusmine knapp und atemlos, »das Reiten macht ihr Freude.«
Durenald schob die Decke zur Seite und lächelte warm, als er das zierliche Gesichtchen seines Kindes erblickte, das beim Anblick des Vaters heftig strampelte und mit den Ärmchen fuchtelte. »Meinst du nicht, sie ist noch ein wenig zu jung zum Reiten?« wandte er sich an seine Frau. »Nun, du wirst es am besten beurteilen