DSA: Die Löwin von Neetha Sammelband. Ina Kramer

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den Wogen des Meeres. Und nun sah sie es endlich! Es war rot, genauso rot wie der Himmel. Ein schwarzer Schnee begann zu fallen, zart und fein zuerst, dann dichter und immer dichter …

      Als Hilgert spät in der Nacht mit seinen schweren Stiefeln laut und anhaltend gegen die Hintertür trat, erwachte von dem Lärm das ganze Haus. Ein Diener öffnete ihm und erstarrte beim Anblick des Stallmeisters und seiner Last: Hilgerts Haar schien weißer denn je – in wirren Strähnen stand es vom Kopf ab, so daß es im Licht der Fackel und des Mondes wirkte, als umloderten helle Flammen das Antlitz des Alten. Der Blick der schwarzen Augen war wild wie der eines Wahnsinnigen, und grimmige Wut leuchtete darin. In den Armen trug Hilgert ein in schwere Decken gewickeltes Bündel, aus dessen einem Ende ein brauner Zopf baumelte. Auf der anderen Seite hingen ihm schlaff und bleich die stämmigen Unterschenkel eines Mädchens über den Arm. An den Beinen klebte Blut, und Blut tropfte auch aus dem Bündel, in dem es leise wimmerte.

      »Was stehst du da und glotzt?« fuhr der Alte den Diener an, während er ohne zu schwanken den Weg zur Krankenstube einschlug. »Weck die Herrschaft! Hol Hilfe! Und sag, man soll nach Danja schicken – mit Damilla ist ein Unglück geschehen.«

      Im Morgengrauen verließen Danja und Susa bekümmert die Krankenstube. Durenald eilte den Frauen entgegen. »Wie sieht es aus, Danja? Werden sie überleben?«

      Die Hebamme schüttelte traurig den Kopf. »Ach Herr … das arme Ding …« Zwei Tränen rannen ihr über die runzligen Wangen. »… sie hat ja soviel Blut verloren. Ich verstehe es nicht, es war doch eine normale Geburt. Aber wir konnten die Blutung nicht stillen. Mir schien es fast, als sei etwas in ihrem Inneren zerrissen … Was das Kind betrifft, nun, es ist zart, aber gesund und wohlgestaltet …«

      »Lebt sie noch«, fragte Kusmine mit seltsam fremder Stimme, »oder ruht sie schon in Borons Armen?«

      »Ach, Euer Edelgeboren, sie atmet noch, aber es ist so wenig Leben in ihr, daß sie die Mittagsstunde …« Schluchzend wandte Danja sich ab.

      »Ich gehe zu ihr«, entschied Kusmine. »Allein, lieber Mann«, fügte sie hinzu, als sie sah, daß Durenald ihr folgen wollte.

      Lange stand Kusmine schweigend am Bett des sterbenden Mädchens. Die Magd schien zu schlafen; das Neugeborene, von dem nur das schwarzbeflaumte Köpfchen zu sehen war, ruhte in ihrem Arm. Kusmine ließ sich neben dem Bett nieder und ergriff Damillas Hand. »Dein kurzes Leben ist bald zu Ende, mein Kind«, sagte sie schließlich, »und mich dauert, daß es nicht schöner war. Wenn ich dir ein Unrecht getan habe, so bitte ich um Vergebung …« Sie schwieg eine Weile. »Ich werde für dich zu Boron und zu Peraine beten … Ich weiß nicht, ob du mich hören kannst, aber du sollst wissen, daß ich dich für ein braves und tapferes Mädchen halte – du bist immer ein gutes Mädchen gewesen … Was dein Kind betrifft, so mach dir keine Sorgen. Ich gebe dir mein Wort, daß für das Kleine gut gesorgt werden wird. Ich werde es annehmen als das meine, und es soll aufwachsen als Thalionmels Geschwisterchen …« Kusmine wußte nun nichts mehr zu sagen, und so saß sie einfach still auf ihrem Schemel, betrachtete das kindliche blasse Antlitz der Magd und das rote Köpfchen des Säuglings und beobachtete, wie der Himmel hinter dem unverhangenen Teil des Fensters allmählich heller wurde. Plötzlich gewahrte sie, daß die Hand, die sie hielt, deutlich kühler geworden war.

      Vorsichtig löste Kusmine das Kind aus dem Arm der Toten. Sie nahm das winzige Bündel und wandte sich zum Gehen. »Schlaf gut, kleine Damilla, leb wohl – Boron sei dir gnädig«, sagte sie, bevor sie den Raum verließ. Durenald, Danja, Susa und Hilgert erwarteten die Herrin von Brelak vor der Krankenstube. Wortlos legte Kusmine den Säugling in Danjas Arme. »Es ist vorüber«, sagte sie nur, worauf die Frauen in Tränen ausbrachen. »Bringt das Kind zu einer guten Amme im Dorf. Dort soll es so lange bleiben, bis es der mütterlichen Brust entwöhnt ist. Danach« – sie blickte Durenald fest in die Augen – »soll es hier im Hause leben und aufwachsen als Thalionmels Bruder oder …«

      »Es ist ein Mädchen«, schluchzte Danja.

      »Als Thalionmels Schwester also. Bist du einverstanden, lieber Mann?«

      Durenald drückte stumm die Hand seiner Gemahlin und schaute sie mit feuchten braunen Augen innig an. ›Ich danke dir, mein liebes Herz‹, schien sein Blick zu sagen. Laut sagte er: »Wie soll das Kind heißen?«

      »Zulhamin!« Erstaunt wandten sich alle zu Hilgert um. Es war das erste Wort, das der Stallmeister sprach, seit er der Herrschaft berichtet hatte, wie er das bewußtlose, stark blutende Mädchen und ihr Kind im Pferdestall gefunden hatte. Nun blickten ihn vier Augenpaare fragend an. »Sie hat immer gesagt, wenn es ein Bub werde, solle er Zordan heißen, und wenn es ein Mädchen werde, solle sie Zulhamin heißen. Es ist ein Mädchen, also heißt es Zulhamin.«

      Hilgert verneigte sich, dann verließ er mit großen Schritten das Haus.

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