DSA: Die Löwin von Neetha Sammelband. Ina Kramer
wie zuvor. Sie zerraufte sich nicht das Haar und zerkratzte sich nicht den Busen, sie schrie nicht und zerfloß nicht in Tränen, noch haderte sie mit den Göttern – jedenfalls nicht so, daß man es hätte sehen oder hören können. Nein, ihr Herz schien erstorben, und obwohl auch Durenald um seinen Sohn trauerte und manche Träne um ihn weinte, so war ihm das Ausmaß ihres Kummers fremd und fast unheimlich. Fünfzehn trostlose Monde vergingen, in denen Kusmine ihrem Gemahl kein Lächeln oder Scherzwort schenkte und ohne Lust und Freude sein Lager teilte, so daß der Freiherr allmählich an ihrer Liebe zweifelte, da segnete Tsa von neuem ihren Leib.
Und mit dem neuen Leben, das in ihr wuchs, kehrten auch Mut, Tatkraft und Zuversicht zu ihr zurück.
Ja, die vergangenen neun Monde waren eine schöne Zeit, dachte Durenald. Und nur die letzten Wochen, seit der Sturm so unablässig und unbarmherzig wütete, waren von einem zarten Nebel der Sorge verdunkelt worden. Warum nur gönnten der unberechenbare Herr Efferd und die stolze Frau Rondra seinem armen Weib keine ruhige Niederkunft? Zornig ballte der Freiherr die Faust und hieb auf das Schreibpult beim Fenster. Dabei fiel sein Blick auf einen Brief, der seit dem Morgen, als der Bote ihn gebracht hatte, ungeöffnet dort lag. Er kam von Zordan Fuxfell, dem Halbbruder Kusmines. Was mochte der Bursche wollen? Durenald war ihm erst zweimal begegnet und schätzte ihn nicht sonderlich, aber das hatte nichts zu bedeuten – er liebte nun einmal keine stutzerhaft gekleideten Männer mit aufgezwirbeltem Schnurrbart. Die Lektüre wird mich ablenken, dachte er, während er das Siegel erbrach. Fuxfell weiß ebenso geschmeidig zu schreiben, wie er zu reden versteht, und es wird eine knifflige Aufgabe werden, aus dem Geklingel der vielen schönen Worte Sinn und Absicht des Schreibens herauszufiltern. Doch er hatte sich geirrt. Der Brief war kurz, und nach den üblichen Begrüßungsfloskeln stand dort: ›… wird es mir eine Freude sein, sobald das Wetter das Reisen wieder erlaubt, Euch, lieber Schwager, und Dir, schöne Schwester, und auch dem neuen Prinzchen oder Prinzeßchen meine Aufwartung zu machen.‹ Nun, das ist freundlich, dachte Durenald, und es wird auch Kusmine freuen.
Die Tür wurde aufgerissen, und Danja stürmte ins Zimmer – rot, verschwitzt und strahlend. »Euer Edelgeboren, Tsa sei Dank, es ist vorüber! Und meine allerherzlichsten Glückwünsche zu der schönen Tochter!«
Durenald brauchte einen Augenblick, um die Worte der Hebamme zu begreifen. Dann spürte er plötzlich, wie ihm das Wasser in die Augen schoß, und blinzelnd schloß er die kräftige Frau in die Arme und drückte ihr einen Kuß auf die Wange. »Wie geht es meiner Frau?« flüsterte er.
»Ausgezeichnet, Herr, nur ein wenig matt ist sie noch. Aber kommt doch nur – Ihr dürft die Wöchnerin besuchen, und sie freut sich schon darauf, Euch das Kindchen zu zeigen.«
Halb benommen stapfte Durenald hinter Danja zur Wochenstube. Dort, in dem großen, mit weißem Linnen frisch bezogenen Bett saß halb aufgerichtet seine Frau und lächelte ihn glücklich und müde an. Im Schein der Kerzen und des Feuers wirkte sie nicht so blaß, wie er erwartet hatte, und nur das feucht am Kopfe klebende Haar kündete von der überstandenen Anstrengung. Ein kleines, gut verschnürtes Bündel ruhte in ihrem Arm. Beim Anblick seiner Kusmine erfaßte ihn eine Woge von Liebe, und rasch eilte er zu ihr und barg den Kopf an ihrer Schulter, damit sie seine Tränen nicht bemerkte. »Ich danke dir, mein liebes Herz«, stammelte er flüsternd, »ich danke dir für diese schöne Tochter.«
»Dann schau sie dir doch einmal an, ob sie auch wirklich schön ist.« Kusmine reichte Durenald lächelnd das Bündel. Unsicher betrachtete er das rote, von der Geburt ein wenig verschwollene Gesichtchen, das sich eben zum Greinen verzog. Nein, schön ist sie nicht, dachte er, aber sie wird es, so die Götter wollen, noch werden. Und er fühlte, daß er das Kind schon jetzt liebte. Gerührt lauschte er dem dünnen Schrei, der dem zahnlosen Mündchen entwich. Doch was war das? Etwas war anders als zuvor, doch wußte er zunächst nicht zu sagen, was es war. Das Greinen war deutlich zu hören und auch das Knistern des Feuers, aber sonst – nichts. Es war still, der Sturm hatte sich gelegt!
Auch die anderen hatten es bemerkt, doch ergriff Kusmine als erste das Wort. »Es hat aufgehört zu stürmen, endlich, Rondra sei Dank«, sagte sie mit einem Seufzer der Erleichterung. »Ich will es als gutes Omen nehmen. Damilla, bitte öffne das Fenster und laß ein wenig frische Luft herein, das wird mir guttun.«
Die Magd gehorchte, öffnete Fenster und Läden, dann stieß sie einen Schrei aus. »Weiß! Alles ist weiß!« rief sie aufgeregt. »Schaut nur, alles ist weiß!«
Danja, die ihr am nächsten stand und die den Wunsch der Herrin mit leiser Mißbilligung aufgenommen hatte – als erfahrene Hebamme hielt sie gar nichts von winterlicher Frischluft in der Wochenstube –, trat ans Fenster und blickte hinaus. »Bei Firun, welche Pracht«, murmelte sie bewegt, »soviel Schnee hab ich mein Lebtag nicht gesehen.«
Das ganze Land war wie verzaubert: Alle Wolken hatten sich verzogen, und im silbrigen Schein des fast vollen Madamales glitzerten allüberall die zarten Kristalle, aus denen die weiße Decke bestand, die sich über Wiesen und Äcker, Häuser und Katen, Büsche und Bäume gebreitet und alle Formen gerundet hatte. Und eine unwirkliche Ruhe lag über dem Land – fast glaubte man die Stille zu hören.
»Was ist das?« fragte Danja plötzlich. »Dort steht ein Tier, aber ich erkenne nicht genau, was es ist – ein Hirsch vielleicht …?«
»Wo?« fragte Damilla, und die Hebamme wies ihr mit der Hand die Richtung. »Das ist ja ein Löwe!« rief das Mädchen erschrocken. »Nein, eine Löwin, sie hat ja keine Mähne!« Mit angstgeweiteten Augen wich sie vom Fenster zurück.
Durenald, der, seit er von dem Schnee gehört hatte, eine unbändige Begierde verspürte, das seltene Naturwunder zu betrachten, und sich zugleich nicht lösen mochte von Frau und Tochter, warf Kusmine einen fragenden Blick zu. »Nun, geh schon, lieber Mann, und sieh dir den Schnee an«, sagte sie lächelnd. »Doch gib mir zuvor unsere Tochter wieder – die kalte Luft mag ihr schaden. Und sag mir, welch seltenes Tier dort draußen wandelt.« Durenald trat ans Fenster und blickte hinaus.
Lange schwieg er, ganz ergriffen von der Schönheit des Anblicks. Ein Tier jedoch war nicht zu sehen. »Dort ist nichts«, sagte er, »außer Firuns ganzer Pracht. Es gibt auch keine Löwen in Brelak«, wandte er sich belehrend an Damilla, »du wirst einen Schakal gesehen haben, der sich aus den Bergen hierher verirrt hat. Morgen werden wir seine Fährte aufnehmen und ihn, so Firun will, zur Strecke bringen, auf daß er uns nicht die Ziegen reißt. Und nun möchte ich für ein Weilchen mit meiner Frau und meiner Tochter allein sein.«
Als alle den Raum verlassen hatten, ließ Durenald sich auf einem Schemel neben dem Wochenbett nieder und ergriff die Hand seiner Gemahlin. »Mein liebes Herz, ich bin so stolz auf dich, meine tapfere, kleine, große Kriegerin.« Zärtlich betrachtete er ihr schönes Antlitz. »Hast du schon einen Namen für sie gewählt? Tsaiane vielleicht …?«
»Tsaiane ist ein schöner Name«, erwiderte Kusmine, »und seit ich weiß, daß du dir all die Monde lang eine Tochter gewünscht hast, habe ich recht oft über ihren Namen nachgedacht. Ich finde, wir sollten sie nach meiner Tante Melsine und nach deinem Vater Thalion nennen. Melsine und Thalion – Thalionmel.«
2. Kapitel
Die Tribüne der Rennbahn vor den Toren von Methumis war mit Wimpeln, Girlanden und Buketten aus Firunsglöckchen und dem ersten Ilmengrün aufs prächtigste geschmückt, denn zum diesjährigen großen Phex-Rennen erwartete man nicht nur den Herzog – auch der Erzherrscher von Arivor hatte seinen Besuch angekündigt. Und auch die Götter schienen dem Rennen gewogen: Seit Tagen ließ Herr Praios Sein Antlitz hell erstrahlen, die gütige Frau Peraine hatte die Auen in ein Gewand aus frischem Grün mit winzigen bunten Farbtupfern darin gehüllt, Herr Efferd hatte den Fischern einen reichen Fang beschert, und die Luft war erfüllt vom Duft der gebratenen Meerbarsche, Perlbeißer und Silberaale, die an kleinen Ständen rings um die Rennbahn feilgeboten wurden. Herr Phex, dem zu Ehren das Rennen veranstaltet wurde, ließ Kaufleute, Diebe und Bettler zufrieden schmunzeln über die bereits getätigten oder noch zu erwartenden günstigen Geschäfte, und der sinnenfrohen Frau Rahja Gebot hieß heute ganz besonders viele verliebte Paare und Pärchen zum Liebesspiel ins nahe Wäldchen schlendern …
Da Phex der neunte Monat ist, waren, wie jedes Jahr,