Im Takt des Geldes. Eske Bockelmann
Töne nach betont/unbetont abwechseln hört, der hört sie in dieser Weise genauso zwingend unwillkürlich, wie er die geraden Parallelen gekrümmt sieht: »ob er es beabsichtigt oder nicht«. Und eben weil er sie ohne Absicht und unbewusst so hört, wird er sich sagen müssen, es wären die Töne selbst, die »nie mit genau derselben Kraft« erklingen. Er muss überzeugt sein, er spräche nur von dem, was objektiv erklingt, und muss nicht ahnen, dass er außerdem von etwas spricht, das erst seine Wahrnehmung dabei leistet.
Wie verbindlich sich dieses betont/unbetont einstellt, hat schon Dietze vermerken müssen. Es gelingt seinen Probanden gar nicht, die identischen Töne anders als in den betont/unbetont-Gruppen wahrzunehmen,
selbst dann nicht, wenn absichtlich eine Verbindung der gegebenen Vorstellungen in Gruppen zu vermeiden gesucht wird. Die bei unseren Versuchen erhaltenen Resultate weisen deutlich darauf hin, dass auch in diesem Fall eine Gruppirung der Vorstellungen zu je zweien nicht umgangen werden kann.
So zwingend also ist die Täuschung – und das heißt: diese Leistung unserer Wahrnehmung. Denn unsere Wahrnehmung wird dabei nicht getäuscht. Die Veränderung, die sie an den ununterschieden gleichen und getrennten Tönen vollzieht, ist ja etwas, das sie selbst und aktiv leistet. Die »Gruppirung der Vorstellungen zu je zweien« macht sich nicht von allein, liegt nicht schon in den Tönen vor, sondern muss durch den Wahrnehmenden erst aktiv geleistet werden. Nur dass er von dieser Tätigkeit seiner Wahrnehmung nichts bemerkt, zumindest eben nicht, dass da seine Wahrnehmung aktiv eingreift. Er bemerkt lediglich die Wirkung dieses Eingreifens, nämlich dass für ihn die Töne zu Gruppen verbunden und nach betont/unbetont unterschieden sind. Und diese Wirkung ergibt sich ihm unvermeidlich, unumgänglich, zwingend unwillkürlich. Sie ergibt sich ihm in einer Art Reflex.
Und nun: Mit diesem Reflex, durch seine Gruppenbildung nach betont/unbetont, wird ihm die Tonfolge zugleich rhythmisch, empfindet er sie als rhythmisch gegliedert. Auch das hat Dietze vermerkt:
Im Verlaufe der nach der geschilderten Methode angestellten Untersuchung zeigte sich, dass das Bewusstsein die Zusammenfassung der auf einander folgenden Eindrücke sich dadurch erleichtert, dass es dieselben rhythmisch gliedert, indem es die in einer Reihe enthaltenen Eindrücke in Gruppen ordnet.19
Indem unsere Wahrnehmung – nach Dietzes Begriff unser »Bewusstsein« – die Töne zu Gruppen verbindet, empfinden wir die Tonfolge als rhythmisch: also indem wir die Töne unwillkürlich nach betont/unbetont unterscheiden und damit in Gruppen ordnen. Sowohl jene Gliederung der Töne, als auch die Eigenschaft dieser Gliederung, rhythmisch zu sein, ist etwas, das allein unsere Wahrnehmung leistet – in einem und demselben Vorgang. Gliederung und Rhythmus bestehen und ergeben sich allein mittels und innerhalb unserer Wahrnehmung: als Leistung unserer Wahrnehmung.
Der Umstand, dass relativ am leichtesten eine gerade Anzahl von Eindrücken zusammengefasst werden kann, weist deutlich auf den Einfluss der rhythmischen Gliederung der Reihen hin. 20
Und damit hat sich aus einer so harmlosen Beobachtung wie der am tropfenden Wasserhahn oder tickenden Wecker so viel ergeben: In uns wirkt ein zwingend starker, unwillkürlicher Reflex, ein Reflex rhythmischer Gliederung, der sich daran feststellen lässt, dass wir unverbundene, nicht unterschiedene, nur gleichmäßig aufeinanderfolgende Töne, einfach indem wir sie hören – indem sie also zu unseren »Gehörsvorstellungen« oder »Eindrücken« werden, wie Dietze es nennt –, unwillkürlich in eine Folge von Tönen verwandeln, die in Gruppen nach betont und unbetont abwechseln und verbunden sind und die wir damit zugleich als rhythmisch empfinden. Wenn wir solche Töne hören, das gleichmäßige tok tok tok eines Metronoms oder unserer Absätze auf dem Trottoir, machen wir also aus ihrem Geräusch, ob wir es beabsichtigen oder nicht, ein rhythmisches Geräusch. Und werden dann schwören wollen, dieser Rhythmus läge schon immer im Geräusch selbst.
Ein unscheinbarer Reflex
Das scheinen nun recht karge Künste: ein tok tok ins tik-tak zu verwandeln. Davon soll irgendetwas abhängen? Und dafür bedarf es großartig wahrnehmungspsychologischer Experimente?
Nein, dafür braucht es lediglich etwas wie das Geräusch von Schritten – die sind schon Experiment genug. Die Erfahrung des rhythmischen Wechsels von betont und unbetont ist etwas durch und durch Alltägliches. Und zwar alltäglich auch in dem Sinn, dass wir uns ihrer nicht ein einziges Mal bewusst werden müssen. Sie ergibt sich allenthalben, selbstverständlich und unbemerkt, wir hören den Wechsel, und nichts muss uns daran auffallen. Sowenig es uns frappiert, etwas Grünes grün zu sehen, so wenig frappiert uns, Töne nach betont/unbetont abwechseln zu hören, einfach deshalb, weil wir glauben müssen, dies Abwechseln würde ebenso in den Tönen stecken wie das Chlorophyll in den Blättern. Lediglich zu der wie auch immer geringfügigen Erkenntnis, dass dies nicht der Fall ist oder jedenfalls nicht der Fall sein muss, taugen die Experimente; dazu bedarf es ihrer.
Wir hören die gleichmäßig fallenden Töne und reagieren damit, sie auf diese Weise verändert zu hören und sie auf diese Weise als rhythmisch zu empfinden. Ich nenne diese Reaktion unseren taktrhythmischen Reflex. Seine Wirkungsweise ist, aufs kürzeste gesagt, diese: Er setzt je zwei Klangelemente gegeneinander in das Hervorhebungsverhältnis. Und genau damit, so einfach und so abstrakt, konstituiert er vollständig das, was für uns Rhythmus ist: den Taktrhythmus.
Auch das wird man sich zunächst nicht vorstellen wollen: dass der gesamte, vielgestaltige Taktrhythmus auf dieser unscheinbaren Reaktion gründen soll. Er, der so reich ist an tausendfältig unterschiedlichen Einzelrhythmen, der so unabsehbar viele Varianten bilden und der so unwiderstehlich mitreißende Gewalt über uns gewinnen kann, er scheint schlecht bei dem bisschen tik-tak sein Genügen zu finden. Und allerdings, um die Verbindung zwischen all diesen tausendfältigen Rhythmen und jenem einfachen Reflex herzustellen, gibt es noch manches zu klären. Für den Moment jedoch ist vor allem einmal festzuhalten, dass es erstens diesen Reflex gibt; und nun zweitens, worin er genau besteht.
Er unterscheidet die Töne und er verbindet sie damit zu Gruppen. Unterscheiden und Verbinden zerfallen nicht in zwei getrennte Leistungen, sondern sind eine: Unser Reflex verbindet die Töne, indem er sie unterscheidet. Beides ineins besteht darin, dass wir die Töne aufeinander beziehen, dass wir sie zueinander in ein Verhältnis setzen. Und zwar in das Verhältnis der Hervorhebung: Wir beziehen je zwei Töne aufeinander, indem wir den einen hervorheben gegenüber dem anderen. Wir setzen den einen Ton als betont über den anderen, der damit insofern, gegenüber dem ersteren, unbetont ist. Beide Bestimmungen, nach denen unser Reflex die Töne unterscheidet, »betont« und »unbetont«, sind damit Verhältnisbestimmungen; sowohl das »betont«, das stets die Betonung gegenüber etwas anderem ausdrückt, als auch das »unbetont«, das hier durch den Bezug auf das betonte Element genau nur dasjenige Element benennt, gegenüber welchem jenes andere Element betont wird. Ich werde diese beiden Bestimmungen des zweiwertigen Verhältnisses »betont« gegen »unbetont« oder besser »hervorgehoben« gegenüber »nicht-hervorgehoben« die Hervorhebungsbestimmungen nennen. Unser Reflex bezieht Töne aufeinander, indem er sie in dieses Verhältnis setzt, je zwei Töne mit diesen Verhältnisbestimmungen belegt, sie also nach diesen Bestimmungen unterscheidet.
Auf diese Weise schließt er die Töne zu Gruppen zusammen, das heißt, er macht sie zu Elementen von Gruppen. Auch was ein solches Element ist, wird ihm nicht objektiv einfach durch den Klang vorgegeben, auch darüber bestimmt erst unser Reflex: Er macht Einheiten zu Elementen seiner Gruppenbildung, indem er je zwei zueinander in Entsprechung setzt. Diese Einheiten sind ihm nicht unmittelbar nur Töne, die tatsächlich erklingen, sondern es sind – auch das zeigen ja die Experimente – diejenigen bloß zeitlichen Einheiten, die auf irgendeine Weise durch Töne begrenzt werden. Unser Rhythmusreflex macht zu Elementen die zwar irgendwie akustisch markierten und akustisch füllbaren, aber als solche leeren, einander gleichen