Im Takt des Geldes. Eske Bockelmann

Im Takt des Geldes - Eske Bockelmann


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für ganz einfach sinnvoll. Und doch hat es seinen Sinn nur im Taktrhythmus, ist es nur in ihm auch einfach und ist es nur seiner Natur gemäß.

      Ein weiterer Irrtum liegt nahe: Da die Musik nun einmal so eingerichtet ist – mit ihren Taktteilen, ihrem betont/unbetont, ihren Notenteilung und so fort –, bedürfte es der synthetischen Leistung im Hörenden gar nicht mehr, um all dies wahrzunehmen, sondern es läge einfach und objektiv schon in der musikalischen Struktur. Aber allein dass Musik überhaupt nach Takten eingerichtet wurde und weiterhin eingerichtet wird, setzt bereits die Wirksamkeit des Reflexes voraus: in den Menschen, die solche Musik machen und sie überhaupt in dieser Weise einrichten, und immer auch in denen, die solche Musik wahrnehmen: damit sie, bei jedem einzelnen Hörvorgang, die Takte überhaupt hören und sie als rhythmisch empfinden können.

      Nichts mag unwahrscheinlicher klingen als diese Behauptung: dass jemand, der über jenen Reflex nicht verfügt, auch keine Takte hören und keinen Taktrhythmus empfinden würde. Und doch ist diese Behauptung zwingend wahr und von großer Bedeutung. Jede, noch die am simpelsten auf Takte gebrachte Musik bedarf stets, um in diesem Sinne unwillkürlich als rhythmisch gehört zu werden, eines Gehörs, das die taktrhythmische Synthesis erbringt und also die entsprechende Gruppenbildung vornimmt. Anders zerfiele die Musik seinem Gehör in bloß leer aufeinanderfolgende Brocken oder sie zerfaserte in übereinanderliegende Klänge, die für den Hörenden auch nur der zeitlichen Beziehungen zueinander entbehrten – geschweige denn, dass sie uns eingehen und rhythmische Empfindungen wecken wollten und dass sie uns anders fasslich würden als beispielsweise eine Periode aus siebzehn Tönen.

      Außerdem gilt, dass jede, noch die einfachste, sturste und stumpfste Taktmusik, um nur irgendwie Musik und kein bloßes Metronom zu sein, eine entscheidende und sehr spezifische Freiheit des Taktrhythmus nutzt: eine Freiheit, die den Taktrhythmus einerseits zu seinen unzählig möglichen Einzelgestaltungen befähigt und die andererseits wiederum im Hörenden die unwillkürliche Wirksamkeit genau derjenigen Synthesis voraussetzt, der auch ein tok tok genügt, um es ins tik-tak zu verwandeln. Diese charakteristische Freiheit des Taktrhythmus besteht darin, dass jene Synthesis die Einheiten der Taktteile ja selber schafft und vorgibt: Sie gibt mit ihnen ein Raster vor, auf das sich die Töne nur noch zu verteilen haben, ja, auf das wiederum sie selbst die Töne zu verteilen sucht. Und nicht nur ein solches Raster gibt sie vor, sondern, über- und untereinander gestaffelt, deren mehrere.27 Diese Raster schafft sie beim Hören nicht ins Leere hinein, sondern in Reaktion auf den Klang, versucht sie an den Klangelementen festzumachen und umgekehrt die Klangelemente ins passende Raster zu fügen. Die Klangelemente geben ihr damit lediglich die Dauer der Rastereinheiten vor, nicht die Rasterung selbst, nicht die Zweiwertigkeit der Gruppen, nicht das Hervorhebungsverhältnis dieser Zweiwertigkeit und nicht dessen Möglichkeit zur Dreier-Gruppe. All dies ist vielmehr den Klangelementen bereits im Hörenden vorgegeben, als das sichere Bett, in das sich die Töne nur noch fallen zu lassen brauchen.

      Durch das taktrhythmische Gehör sind die Töne also davon befreit, selbst diese Einheiten zu sein; sie haben sich ihnen lediglich einzufügen. Ein außerordentlich wichtiger Unterschied: Nicht die Töne sind die Einheiten, sondern die Art der Einteilung in Einheiten besteht schon, bevor die Töne erklingen: im Wahrnehmenden. An den Tönen muss sein Taktreflex nur wenigstens eines seiner Raster befestigen können, und soweit diese Bedingung erfüllt ist, haben die Töne des weiteren alle Freiheit, sich über das Raster zu verteilen, wie sie nur immer mögen, ja sich auch davon zu lösen und ungebunden darüber hinwegzuspielen. Von den Tönen müssen nur überhaupt irgendwelche, ob in der Hauptstimme oder einer dezentesten Begleitung, dem Taktraster der Synthesis Anhalt geben, das jeweilige Raster auf Zweier- oder Dreier-Gruppe verpflichten, und die Töne haben im übrigen dann freie Wahl, welche und wieviele Raster-Elemente sie wie vollständig belegen wollen.

      Und sonst bleibt einem Klang noch immer die Möglichkeit, sich nicht auf das Raster bringen zu lassen. Was geschieht dann mit Raster, Einheiten und Synthesis? Nun, wie es sich für einen Reflex gehört, wenn ihn kein entsprechender Reiz auf den Plan ruft: Er unterbleibt. Es kommt nicht zur taktrhythmischen Synthesis, nicht zu ihren Einheiten und Gruppen und nicht zu den Rastern aus betont/unbetont. Es kommt zu keinem Taktrhythmus – und das heißt: Wir empfinden den Klang ganz einfach nicht unwillkürlich als rhythmisch.

      Machen wir nun ein kleines Experiment – mit einem Satz ganz normaler Prosa:

       Golch und Flubis, das sind zwei Gaukler aus der Titanei.

      Sie haben den Satz gelesen, wundern sich vielleicht über die Namen, rätseln, welche Nation sich neuerdings zur Titanei ernannt haben mag, doch über all das mögen Sie sich rasch beruhigen: Es sind nur zwei Gaukler. Und nun lassen wir den Satz eine Weile liegen, bevor uns das Experiment zu ihm zurückkehren heißt.

      Es geht um die Sprache. Denn nicht nur in Musik, auch an diesem Klangbereich des Rhythmus, dem komplexesten neben der Musik, zeigt sich der Taktreflex am Werk: an der Sprache in Versen. Wohlgemerkt, nicht in allen Versen, nicht in den Versen aller Zeiten und Kulturen, aber in den neuzeitlichen Versen nach betont und unbetont: in den alternierenden, akzentuierenden, syllabotonischen, dynamisch-prosodischen oder wie man sie sonst immer genannt haben mag – mir sollen sie kurz und knapp Akzentverse heißen. Auch wenn so gut wie alles, was heute an Lyrik entsteht, nicht mehr zu ihnen, sondern zu den sogenannten freien Versen zählt, zu Versen, an denen sich kein Versmaß, und das heißt hier, an denen sich eben nicht der rhythmische Wechsel von betont und unbetont einstellen will und auch nicht einstellen soll: die Akzentverse, in denen dies jedoch geschieht –

      Die schönsten Dinge sind in Nacht

      Wie in ein Weckglas eingemacht;

      Man muss den Deckel schrauben:

      Da duften sie, da steigen sie,

      Da wallen sie, da reigen sie

      Und schmecken süß wie Trauben.

      – noch immer empfinden wir sie als den Inbegriff von rhythmischer Sprache.

      Was Akzentverse ausmacht und was alle ihre Versmaße bestimmt, lässt sich noch kürzer als bei der Taktmusik zusammenfassen, in zwei Punkten:

      Erstens: Die Silben verteilen sich auf Einheiten, die nach betont und unbetont geschieden werden.

      Zweitens: Deren Abfolge kennt genau zwei Möglichkeiten: das strikte Abwechseln von betonten und unbetonten Elementen in Zweier-Gruppen oder die Ordnung in Dreier-Gruppen aus einem betonten und zwei unbetonten Elementen.28

      Diese beiden Punkte umreißen genau, wonach Akzentverse grundsätzlich bestimmt sind. Nicht zu übersehen: Wiederum ist es das, was unser taktrhythmischer Reflex leistet, bewirkt und vorgibt – auch hier. Lediglich der dritte Punkt, der noch bei der Musik firmierte, ist nicht ausgeführt, die potenzierte Gruppenbildung. Nicht dass sie in Akzentversen völlig fehlen würde, doch vermag sie in ihnen nur sehr eingeschränkt zu wirken: zum einen auf Grund der üblicherweise recht knapp bemessenen Länge von Versen, also der geringen Zahl von Elementen innerhalb einer Folge; und zum anderen auf Grund ihres besonderen Klangmaterials, eben der Sprache. Ich deute diese Dinge nur an.

      Sprache unterscheidet sich als Klangmaterial von dem der Musik ganz grundsätzlich dadurch, dass es in seinem zeitlichen Verlauf eben nicht frei und uneingeschränkt formbar ist. Die Klangelemente der Sprache sind die Silben, und diese sind nicht beliebig im Verhältnis zueinander zu kürzen oder zu längen, sie haben in jeder Sprache ihren ganz bestimmten, vorgegebenen Klang, der nur innerhalb sehr eng gezogener Grenzen zu variieren ist, wenn er nicht aufhören soll, Sprache und verständlich zu sein. Gesprochene Sprache, solange sie nicht als Gesang unmittelbar musikalisch verwendet wird, ist rhythmisch nicht frei zu formen, sondern gibt Elemente mit recht genau und für einen muttersprachlichen Hörer recht empfindlich festgelegten klanglichen Eigenschaften vor. Sprache muss der Takt-Synthesis also durchwegs mehr Widerstand bieten als die Musik, allein schon dadurch, dass es die


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