Meine Mutter, der Indianer und ich. Kerstin Groeper
noch fertigbekommen. Was meinst du?“
„Von mir aus“, brummte Felix. „Gibt es hier denn ein Geschäft?“
„Aber ja, einen Bäcker und einen Metzger! Unten an der Hauptstraße. Du musst mal schauen, wer offen hat! Warte, ich gebe dir etwas Geld! Wir brauchen Kuchen oder Brot. Vielleicht bekommst du ja auch Wurst, Butter und Milch. Du weißt ja, was wir so brauchen!“
Seine Mutter drückte ihm fünfzig Euro in die Hand und lachte fröhlich. „Bis gleich!“
„Bis gleich!“, murmelte Felix, dann schwang er sich wieder auf sein Mountainbike.
Einkaufen für Mami! Hoffentlich sah ihn niemand von den anderen Jugendlichen. Aber bei der Hitze waren vermutlich alle beim Weiher.
Er sauste den Weg zur Hauptstraße hinunter und erblickte sofort die Bäckerei auf der anderen Straßenseite. Die Tür stand offen und so radelte er erst einmal weiter, um den Metzger zu finden. Er hatte Glück. Instinktiv fuhr er in die richtige Richtung und fand die Metzgerei eine Kurve weiter. Auch dieser Laden hatte geöffnet. Ruhetag war nur am Montagnachmittag. Damit konnte man irgendwie leben.
Enthusiastisch öffnete er die Tür und trat ins Innere. In einigen Regalen standen die üblichen Lebensmittel für die vergessliche Hausfrau, außerdem gab es ein Kühlregal mit Milchprodukten und eine kleine Tiefkühltruhe, allerdings ohne Pizzas. Nur Gemüse und Spinat, den er sowieso nicht mochte.
Die Wursttheke zeigte die gewohnte Vielfalt, außerdem gab es Gyrosspieße und verschiedene Fleisch- und Würstchensorten. Er war gerettet! Die rundliche Frau hinter der Theke taxierte ihn abschätzend, wunderte sich wohl, wie ein fremder Jugendlicher hier in ihren Laden schneite. Ihr Verhalten zeigte deutlich, dass hier selten ein Fremder hereinkam, höchstens Handwerker auf der Durchreise. Sie werkelte weiter an einem Grill, in dem ein Leberkäse zu dieser späten Stunde schon reichlich spärlich und gebräunt aussah. „Was darf‘s sein?“, fragte sie neutral.
Felix wandte den Blick von dem Leberkäse ab und ließ ihn stattdessen über die Auswahl schweifen. Weltmännisch bestellte er Aufschnitt und Käse, packte Milch und Butter ein, fand einige gefärbte Eier und nahm das letzte Brot, das in einem großen geflochtenen Korb lag.
„Kannst du das alles auf deinem Radl transportieren?“, fragte die Verkäuferin freundlich.
„Freilich! Ich wohne hier in der Nähe.“
„Ah na…?!“ Sofort flammte das Interesse in dem Gesicht der Frau auf. „Wo denn?“
„Am Oberrain! Absolut freie Sicht ins Outback!“, antwortete Felix lakonisch.
Ein gutmütiges Glucksen entfuhr der Frau, dann meinte sie neugierig: „Du kommst wohl aus der Stadt?“
Felix nickte nur, hatte das Gefühl, dass dies ein längeres Gespräch werden würde, wenn er der Frau noch mehr Informationen gab. „Ich muss jetzt…!“, beeilte er sich zu sagen, „meine Mutter wartet!“
„Und dein Vater?“
Volltreffer! Drei Wörter, und diese Person hatte einen schmerzenden, tief sitzenden Volltreffer gelandet. Wenn er jetzt die falsche Antwort gab, würde das ganze Dorf in dreieinhalb Sekunden wissen, dass seine Mutter geschieden war.
„Im Ausland!“, log er ohne zu zögern. „Das macht er immer so! Kaum gibt es Arbeit, dann setzt sich mein Vater ins Ausland ab!“ Wieder kicherte die Verkäuferin und zwinkerte ihm vertraulich zu: „Gut, dass deine Mama wenigstens dich hat!“
Er lachte wie befreit und kam sich plötzlich ganz groß vor. „Stimmt!“, brummte er verlegen. Vielleicht war das ja nun seine neue Aufgabe! Auf seine Mama achten, damit sie keinen Unsinn mehr machte!
„Hat sie schon die Flecken auf deinem T-Shirt gesehen?“ Die Verkäuferin lächelte scheinheilig.
Autsch! Der zweite Volltreffer! Wie machte sie das nur? Instinktiv wusste Felix, dass hier Vorsicht geboten war!
„Nur ein bisschen Nasenbluten!“, log er weltmännisch. Dann verabschiedete er sich im tiefsten Bairisch mit „Pfiat di“, versuchte wenigstens hier den Eindruck zu vermitteln, dass er dazugehörte.
Die Einkäufe an seinem Lenkrad balancierend, radelte er wieder nach Hause. Dabei musste er sich ganz schön ins Zeug legen, weil die Straße nun bergauf ging. Die Plastiktüten schlenkerten gegen den Reifen, und er stieg lieber ab, um seine essbaren Schätze zu schützen.
Wieder kam ihm der Traktor mit dem Jugendlichen entgegen, und dieser streckte ihm drohend seinen Mittelfinger entgegen. Trotz des Lärms konnte er an den Lippen ablesen, was der Junge ihm zuschrie: „Wir kriegen dich schon!“
„Versucht es doch!“, brüllte Felix zurück, dann spuckte er herausfordernd auf den staubigen Teer.
Der Traktor buckelte wie ein kleines Pony, als der Junge die Bremse zog und die Landmaschine zum Stehen brachte. Mit einem Satz sprang er auf die Straße und baute sich drohend vor ihm auf. „Du kleiner Penner, was willst‘n du hier überhaupt?“
„Ich wohne hier!“, erklärte Felix ruhig. „Aber warum du hier als rollendes Hindernis durch die Gegend kurvst, ist mir ein Rätsel!“ Kurz flammte Bewunderung in den Augen des anderen auf, dann grinste er frech. „Willst du auch mal mit?“
Kurz versuchte Felix dieses Angebot einzuschätzen. Wollte dieser fremde Junge ihm wirklich ein nettes Angebot machen, oder wollte er ihn verarschen? Hier war Vorsicht geboten! „Nö! Ich hab Milch dabei! Die gerinnt sonst bei der Hitze. Vielleicht ein anderes Mal! Du kannst mich ja mit deinem Trecker abholen!“
„Jo, mach ich!“, erklärte der andere versöhnlich, vielleicht war er auch als Späher ausgesandt worden, um ihn abzuchecken.
Mit einem schiefen Grinsen kletterte der Junge wieder auf seinen Traktor und schlug die Tür zu. „Ich bin der Siggi!“, rief er durch das geöffnete Fenster.
„Ich heiße Felix! Ich wohne am Oberrain!“
„Woaß i!“, brüllte der andere zurück.
Von Traktoren und musikalischen Kühen
Felix schmierte sich in der angenehm kühlen Küche ein Brot und biss schon mal ab, während er gleichzeitig für seine Mutter eine Scheibe herrichtete. „Mama!“, brüllte er durch das Haus. „Essen ist fertig!“
Summend trabte seine Mutter die Treppe herunter und strahlte zufrieden. „Hey, super! Sieht lecker aus! Wie findest du dein Zimmer?“
„Es geht so!“, brummte er mit vollem Mund. „Und bei dir?“
„Das Schlafzimmer ist fast fertig. Dann richte ich mein Büro ein. Du weißt schon, das Zimmer mit dem Blick auf den Wald. Es ist geradezu perfekt!“
„Genau! Mit ein bisschen Einbildung siehst du dann, wie sich die Indianer ans Haus heranschleichen“, feixte Felix.
„So ist es! Sei froh! Mit meiner Fantasie verdiene ich doch ganz gut!“, schoss seine Mutter zurück.
Felix seufzte tief. „Ja, aber kannst du nicht was Cooles schreiben? Über Ritter oder Templer? Stell dir vor – Indiana Jones, der von Außerirdischen entführt wird. Das wäre echt geil!“
„So einen Blödsinn kannst du dir ja im Kino anschauen! Mein Thema sind eben die Indianer! Da bin ich drin und authentisch!“ „Darauf pfeif ich! Bitte, Mama, versprich mir, dass du hier niemandem etwas davon erzählst, sonst bin ich sofort untendurch. Indianer! Die sind mega-out!“ Seine Mutter machte irgendwie ein trauriges Gesicht, und fast tat es ihm leid, dass er so unsensibel gewesen war. „Früher haben dir meine Geschichten gefallen“, verteidigte sie sich mit leiser Stimme.
Er schluckte schwer und schlug einen versöhnlicheren Tonfall an. „Früher war ich ein Kind! Jetzt bin ich erwachsen, und da sind Indianer eben nicht gefragt. Ich habe ja nicht gesagt, dass mir deine Bücher überhaupt nicht gefallen.“
„Meinen