Meine Mutter, der Indianer und ich. Kerstin Groeper

Meine Mutter, der Indianer und ich - Kerstin Groeper


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Mutter biss beleidigt die Lippen zusammen und schüttelte stur den Kopf. „Im Moment lebst du von meinen Spinnereien nicht schlecht. Vielleicht sollte ich dir wegen erwiesener Undankbarkeit das Taschengeld kürzen?“

      „Mama! Ich bin nicht undankbar! Ich habe einfach nur Angst, dass ich bei diesen Hinterwäldlern erledigt bin, wenn sie erfahren, dass du Indianerbücher schreibst. Das ist alles!“

      „Na schön!“, willigte seine Mutter widerstrebend ein. „Ich erzähle kein Wort. Vorerst!“

      Sein Seufzen kam aus tiefster Dankbarkeit. „Lass mich erst ein paar Kontakte knüpfen – erst mal die Leute abchecken! Irgendwann erfahren sie es ja doch, aber bis dahin habe ich vielleicht schon ein paar Freunde.“

      „Hast du schon jemanden getroffen?“, wechselte seine Mutter das Thema.

      „Nee, nur so ein paar freche Mistmaden, die meinen, dass der Weiher ihnen gehört!“

      „Aha, daher also die Blutstropfen auf deinem T-Shirt!“, stellte seine Mutter messerscharf fest.

      Er fühlte, wie er rot wurde, und allein dafür hasste er sich. Warum konnte er sich schon bei so kleinen Lappalien nicht besser-trollieren? In ihm konnte man lesen wie in einem offenen Buch. „‘ne kleine Auseinandersetzung mit drei Deppen, aber Georg hat mir geholfen!“, erklärte er lahm.

      „Wer ist Georg?“

      „Der Dorfvorstand!“

      „Was?“

      „Der Dorfvorstand! So ein Vereinsfuzzi, verstehst du! Hier haben sie noch so was wie einen Blockwart!“, lästerte er.

      „Werde nicht frech!“, schimpfte seine Mutter etwas entsetzt.

      „Mit so etwas macht man keine Späße!“

      „So sind die Jugendlichen aber drauf! Wir wollen hier keine Fremden!“, äffte er mit der Stimme von Seppi nach. „Ausländer raus!“

      „Wie redest du denn über die Kinder hier?!“, schimpfte seine Mutter aufgebracht. „Schaffst du dir bereits am ersten Tag Feinde?“

      „Ach wo!“, versuchte er sie wieder zu beruhigen. „Ganz im Gegenteil! Nachher holt mich der Siggi mit dem Traktor ab.“

      Ihr verblüfftes Gesicht entschädigte ihn für diese kleine Auseinandersetzung. Er nahm einen weiteren Bissen und machte eine lässige Handbewegung. „Wahrscheinlich sucht er jemanden, der ihm hilft den Kuhstall auszumisten. Ich übernehme keine Garantie für den anschließenden Gestank. Du wolltest ja unbedingt hierher!“

      „Ich habe kein Problem mit Kuhmist. Ich liebe Stallgeruch“, flötete sie enthusiastisch, und er glaubte ihr das sofort.

      „Was machst du eigentlich mit dem dritten Zimmer?“, erkundigte er sich diplomatisch.

      Sie errötete sichtlich und strich sich fahrig eine Strähne ihres Ponys zur Seite. „Ach, ich weiß noch nicht. Im Moment wollte ich es eigentlich nur als Gästezimmer nutzen.“

      „Für Papa?“, hoffte er sehnsüchtig.

      „Bestimmt nicht!“, betonte sie ungewohnt scharf.

      „Schade! Findest du das Haus nicht ein bisschen groß für uns beide?“

      „Wieso? Willst du lieber wieder in die Zwei-Zimmer-Wohnung zurück?“

      „Nee, auf keinen Fall! Aber gleich ein ganzes Haus?“

      „Ich brauche einfach mehr Platz für mich! Und ein eigenes Büro, wo ich nicht immer meinen Computer wegräumen muss, wenn es Essen gibt.“

      Vor dem Haus tuckerte plötzlich der Leerlauf eines Traktors und Felix ruckte mit seinem Kopf. „Ich glaube, mein neuer Freund ist da! Darf ich gehen?“

      „Klar! Aber komm nicht zu spät wieder! Wir wollten doch essen gehen.“

      „Mach ich!“, versprach er hastig, dann sauste er bereits durch die Tür.

      Bewundernd stellte er sich vor den eindrucksvollen Traktor und stemmte die Hände in die Hüften: „Cooles Teil! Hast du schon einen Führerschein?“

      Der Junge hinter dem riesigen Lenkrad grinste breit. „Freilich! Und nächstes Jahr mache ich den Mofaschein!“

      Felix kletterte zu dem Jungen auf den Bock und fachsimpelte über die besten Motorräder. Schnell hatte er festgestellt, dass ihn ähnliche Interessen mit dem fremden Jungen verbanden. Außerdem wusste Siggi viel über Technik, konnte bereits kleinere Reparaturen an diversen Maschinen selbst ausführen. „Wo fahren wir überhaupt hin?“, erkundigte sich Felix.

      „Auf‘s Feld! Ich brauche Grünfutter für die Kühe!“

      Schweigend beobachtete Felix, wie Siggi bei einer riesigen Scheune geschickt den Anhänger ankoppelte und wieder ins Führerhaus kletterte. Mit Vollgas ratterte er den Feldweg entlang, wich einem Radfahrer aus, der anschließend in einer riesigen Staubwolke verschwand und schimpfend hinter ihnen herbrüllte. Mit einem vergnügten Grinsen kurvte Siggi den Traktor samt Anhänger auf eine mit üppigem Gras stehende Wiese und brachte dabei den Anhänger ganz schön ins Schlingern.

      Langsam wurde es Felix bei den Fahrkünsten des Bauernjungen zu heiß. „Fährst du immer so?“, wagte er zu fragen.

      „Freilich!“, gab Siggi zurück. „Ich muss doch für meine Xbox üben! Need for Speed!“

      „Super! Aber da fliegst du nicht in echt von der Strecke!“

      „Hast du auch eine Xbox?“, fragte Siggi interessiert.

      Erleichtert bemerkte Felix, dass der Traktor nun in mäßigem Tempo über die Wiese rollte und gleichzeitig mähte. Der Geruch nach frisch geschnittenem Gras stieg ihm in die Nase, irgendwie angenehm und beruhigend.

      „Hmh!“, brummte er vorsichtig. Er hatte nämlich ziemlich viele Ballerspiele, die erst ab achtzehn Jahren freigegeben waren. Sonst war das sein Einstieg in die virtuelle Erwachsenenwelt, zu seinem „Clan“, aber er wusste noch nicht, ob er sich auf die Verschwiegenheit seiner neuen Bekanntschaft verlassen konnte.

      „Cool! Vielleicht komme ich nach dem Stall noch vorbei!“, schlug Siggi begeistert vor.

      „Nach dem Stall?“, erkundigte sich Felix irritiert. Es klang nach irgendeinem geheimen Treffpunkt oder so was.

      „Ja, nach dem Melken! Dann habe ich frei!“

      Felix tat, als wäre das selbstverständlich, obwohl er sich im Grunde über sich selbst ärgerte. Stall! Aber klar! Er war hier schließlich in einem Kuhdorf!

      „Arbeitest du schon?“

      „Nö! Das ist unser Hof! Aber heute bin ich mit Stallmisten dran.“

      „Hast du noch Geschwister?“

      Siggi nickte wichtig. „Einen Bruder und eine kleine Schwester! Und du?“

      Felix schüttelte den Kopf. „Nee, ich bin allein!“ Es klang neutral, als mache ihm das nichts aus. Inzwischen hatte er akzeptiert, dass seine Eltern keine Kinder mehr wollten. Wahrscheinlich war auch er nur ein „Unfall“ gewesen, ein Ausrutscher, der in der lauen Nacht eines teuren Urlaubs entstanden war. Na ja, und jetzt lebten seine Eltern eh getrennt. Manchmal wünschte er sich, dass er überhaupt nicht auf der Welt wäre! Was wäre er dann? Eine Blase im Kosmos? Ein leichter Gedanke, der anderen Menschen im Kopf herumspukte? Ein Windstoß? Oder wie hier – der Geruch des geschnittenen Grases? Mann, er philosophierte schon genauso wie seine Mutter!

      „Kann ich zuschauen?“, fragte er.

      „Bei was?“

      „Na, beim Melken?“

      „Klar!“, freute sich Siggi. „Dann ist es nicht so langweilig! Du kannst dir auch die Musik aussuchen!“

      „Die Musik?“ Felix verstand kein Wort.

      „Ja! Die Kühe geben mehr Milch, wenn


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