Perspektivenwechsel. Fokus Zukunft. Christoph Zollinger

Perspektivenwechsel. Fokus Zukunft - Christoph Zollinger


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      SCHREIBEN UND MALEN

      VORGESCHICHTE

      Bild 5, 150 x 100cm

      Damals, am 1. Januar 1961, eröffnete sich mir eine neue Welt. Auf der Fahrt im Taxi – dessen Driver so ganz anders redete, als ich es eben noch in England in der Sprachschule gelernt hatte – vom Airport nach Downtown San Francisco durchfuhren wir ganze Strassenzüge, die übersät waren mit Papierschnitzeln, Konfetti, Zeitungsfetzen. Unglaublich, war meine erste Reaktion. So was von Sauerei! Und das sollte die vielgerühmte Stadt am Golden Gate sein?

      Schon am nächsten, meinem ersten Arbeitstag als Commercial Trainee änderte sich mein Urteil schlagartig. Man klärte den Newcomer from Switzerland lachend auf: Am letzten Tag des Jahres, vor dem obligaten, lärmigen Büro-Apéro, wurden, einer langjährigen Tradition folgend, die Inhalte sämtlicher Papierkörbe und Doc Shredders zum Fenster hinausgekippt. Damit war das alte Jahr Vergangenheit.

      Ich kapierte: Oft täuscht der erste Eindruck gewaltig. Ich war gespannt, welche weiteren Überraschungen mich in dieser unbekannten Welt noch erwarteten.

      Das Unbekannte holte mich in der nächsten Nacht ein. Ein respektables Erdbeben mit sichtbaren Zerstörungen erschütterte die Stadt, stundenlang heulten die Sirenen von Feuerwehr, Ambulanz und Polizei. Während sich die lokale Bevölkerung längst an solche Beben gewöhnt hatte, bewirkte die weltweite Resonanz in den Medien zuhause in der Schweiz einen gehörigen Schrecken, wovon ich allerdings damals nichts ahnte.

      In der Folge begegnete ich weiteren Überraschungen und lernte rasch. Im klimatisierten Grossraumbüro hatten Männer Veston und Krawatte immer angezogen, nichts mit helvetischen Tenue-Erleichterungen! Nach Arbeitsschluss ging es quasi in corpore in die nahegelegenen Bars. Have a drink, Chris! So kam ich zu neuen Gewohnheiten und neuem Namen. Quality Control hiess bei Del Monte, täglich Ananas oder Pfirsiche aus der Büchse zu degustieren («und abends von Party zu Party spazieren», wie ein Spassvogel später dichtete).

      Zwei Dinge blieben mir aus dem Berufsumfeld vor allem in Erinnerung. Einen starken Eindruck machten die riesigen Shoppingcenters auf mich, damals in der Schweiz noch weitgehend unbekannt. Die Aussendienstmitarbeiter türmten auf den Promo-Flächen Hunderte von Kartons mit eben jenen Pfirsichen oder Ananas auf. Gigantische Del Monte-Berge! Die hiessen Mass Displays und richteten sich an Käuferschichten mit überdimensionierten Shopping Carts und ebensolchen Pick-Up’s (Vorläufer der SUV).

      Besuchten wir dagegen in der Chinatown die winzigen, kaum 25 m2 grossen Kleinstläden, hiess es hier «Open 24 hours» – ein Mitglied der chinesischen Besitzerfamilie schlief nachts hinter einem Vorhang, auch mitten in der Nacht bereit, Kundschaft zu bedienen. Nebenbei erwähnte mein Sales Manager, dass diese Chinesen in der Regel Besitzer aller Gebäude des ganzen Strassenzugs – von einer Querstrasse zur nächsten – wären, fleissige Leute eben.

      Das Neue, das Unbekannte entpuppte sich als hochspannend. Grossflächen und kleine Convenience Stores würden über kurz oder lang die Schweiz und Europa erreichen, denn alle Trends aus den USA – ohne qualitative Würdigung – fanden und finden gerade in der Schweiz sofort Nachahmer. Auch die Chinesen sind längst bei uns angekommen.

      Damals wuchs in mir die folgende Überzeugung: Wer dorthin schaut, wo das Neue auftaucht, wer die Zukunft quasi antizipiert, kann profitieren. Und umgekehrt: Wer sich nach der Vergangenheit ausrichtet, verliert à la longue.

      In meinem Business, der Food-Branche, konzentrierte ich mich zurück in der Schweiz fortan auf das Kommende: Neue Konzepte entwickeln war spannend und lohnend gleichzeitig. Ich hatte die Zukunft in die Gegenwart geholt. Die neuen Konzepte waren äusserst erfolgreich, entgegen den Unkenrufen Ewiggestriger.

      In der lokalen Politik an meinem Wohnort und im Bezirk trat ich an mit der vergleichbaren Devise: Warum nicht jetzt, schon heute, ohne Zeitdruck Neues realisieren, was zukünftig vorteilhaft sein würde.

      Später, ab 2002, schrieb ich Sachbücher, die sich mit den Zukunftstrends in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik befassen. Auf diese Utopien komme ich weiter hinten zu sprechen.

      Seit 1965 male ich in der Freizeit. Dieses Hobby wurde mit der Zeit, je länger, je mehr, zum Begleiter meiner Arbeit als Ökonom, Autor und Publizist. Ein separates Kapitel beschreibt diese Entwicklung zweier Parallelwelten, in denen sich Wort und Bild in den Aussagen und in Reaktionen Dritter decken (oder nicht). Dieser spannende Diskurs bildet die tragfähige Brücke zwischen Denken und Handeln, zwischen Sehen, Hören und Lesen.

      Nicht verwunderlich, bin ich davon überzeugt, dass die Verhinderer in unserem Land, die Ewiggestrigen, jene, die versuchen, das Rad der Zeit zurückzudrehen, die Spalter der Nation, die unentwegt «wahre» Geschichten erzählen und dabei das Volk gegen die Regierung («die da oben») aufwiegeln, der Schweiz langfristig schaden. Diese Spaltung in zwei helvetische Kleinwelten müsste nicht sein. Nicht der Röstigraben ist unser Problem, sondern der Ideologiegraben – die gedankliche Ausrichtung auf zwei so gegensätzliche Pole.

      Ebenso dezidiert kämpfe ich gegen Gewerkschaften, Sozialisten, Staatsgläubige, die Geld vom Staat für alle versprechen und ihrerseits marxistisch angehauchte Geschichten erzählen. Wofür ich denn stehe, fragen Sie jetzt? Für eine pragmatisch denkende und handelnde Bevölkerungsschicht, die realisiert hat, dass das Links-rechts-Schema in den Abfalleimer der Geschichte gehört. Der aufgeklärte Mensch tickt anders.

      «Ich gedenke, in der Zukunft zu leben», meinte einst Albert Einstein. Ich schrieb mir das hinter die Ohren. Die Zukunft beginnt morgen.

      Schreiben und Malen sind gleichermassen ehrliche, spannende und verräterische Tätigkeiten. Sie entlarven Gedanken und Überzeugungen des «Produzenten».

      Mehr zu meiner Schreiberei findet sich im Abschnitt «Meine persönlichen Utopien». Hier nur so viel: Als Publizist habe ich während rund 35 Jahren Kolumnen veröffentlicht. Oft waren die Reaktionen heftig. Als Autor habe ich seit dem Jahr 2002 Sachbücher verfasst, die sich mit Gegenwart und Zukunft auseinandersetzen. Das Echo hätte grösser sein können. Alles zusammen ergibt dennoch – in meiner irrelevanten Reflexion – ein schweizerisches Zeitdokument der Jahrhundertwende. Jedenfalls scheint mir das Verhältnis von Lektüreaufwand und Erkenntnisertrag akzeptabel.

      50 Jahre lang malte ich ab und zu, im eigenen Atelier. Vor allem grossflächige Bilder haben es mir angetan. Mein Vorbild in all diesen Jahren war Mark Rothko (1903 – 1970), der Pionier des Abstract Expressionism Movement jener Jahre in New York. Eine kleine Auswahl, 46 meiner Bilder, wird in diesem Buch gezeigt, wenn auch – durch deren Verkleinerung – die Aussagekraft im Vergleich zu den weit grösseren Originalen stark eingeschränkt bleibt. Meine Homepage www.glaskugel-gesellschaft.ch erleichtert die Übersicht.

      Erstmals formen also Geschriebenes und Gemaltes quasi eine Gesamtschau in diesem Buch. Der Begriff «Transparenz» als Schlüssel zur Moderne, als prägende Forderung der aufgeklärten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, durchzieht meine Texte und beeinflusst meine Bilder. Transparenz (Durchsichtigkeit) ist mit der Digitalisierung und BIG DATA zum Entscheidungsfaktor mutiert; Intransparenz als Charakteristikum und Machtfaktor hat sich überlebt.

      Ob wir gegenwärtig in einer eigentlichen Zeitenwende leben, die einen «Epochalen Neubeginn» auslösen könnte, ist nicht beweisbar. Die Verwerfungen dieser Umbruchszeit sind jedoch allgegenwärtig, in der Schweiz, in der EU, überall auf der Welt. Schon mal sind die alten, verlässlichen, räumlichen und zeitlichen Koordinaten zusammengebrochen. Globalisierung und Gleichzeitigkeit. Die Distanzen sind pulverisiert, der Rhythmus der Zeit beschleunigt.

      Vergleichbares passierte auch vor rund 2500 Jahren,


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