Essentielles Sein. A.H. Almaas

Essentielles Sein - A.H. Almaas


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des Gefühls, das am Ende von irgendetwas aufkommt, weil man davor zurückschreckt, keinen unterstützenden Spiegel zu haben, der uns Sinn gibt. Bloß zu existieren, wie wir sind, löst eine große Angst vor der Leere aus. Da kommt meist die Angst auf, wir könnten nicht wirklich eine Essenz, eine Identität haben. Es kann sein, daß wir glauben, die Leere sei alles, was da ist. Das wird vielleicht von frühkindlichen Erfahrungen verstärkt, zum Beispiel der Panik davor, anders als andere, anders als unsere Eltern zu sein, was eine Art Verunsicherung im Selbstgefühl (self-consciousness) erzeugt.

      Kleine Kinder sind vollkommen versunken, wenn sie spielen. Sie versuchen nicht, etwas zu sein oder zu leisten. Sie sind vielleicht glücklich und zufrieden mit dem Augenblick oder weinen aus irgendeinem Grund, aber sie sind vollkommen im Hier und Jetzt. Dann beginnt das Kind Schritt für Schritt, Dinge zu tun, um eine Reaktion oder Aufmerksamkeit von jemandem zu bekommen, oder um „gut“ zu sein oder um Bestätigung zu bekommen. Das Kind fängt an, unecht zu werden, und nach einer gewissen Zeit ist seine Unschuld dahin. Das ist leicht zu beobachten, wenn man mit einem Kind zusammen ist und miterlebt, wie es heranwächst. Wir haben vergessen, daß wir auch so sind, unecht, weil wir gelernt haben, raffiniert zu sein und es zu verbergen, auch vor uns selbst. Wenn das Kind in den frühen Jahren etwas zu euch sagte, was eine Manipulation seiner wirklichen Erfahrung oder Absicht war, so war das oft ganz offensichtlich. Kinder sind auf frühen Entwicklungsstufen nicht sehr raffiniert. Doch wenn sie heranwachsen, werden sie raffinierter und sind stärker gegen ihre Impulse und die Gefühle, die sie im Moment haben, abgeschottet. Schließlich siegt die übliche Identifikation mit der Persönlichkeit, und wir glauben, daß alles, was wir tun, echt ist. Wir haben es so weit gebracht, an unsere eigenen Vorspiegelungen zu glauben.

      Am Anfang scheint ein Kind ein Gefühl von Bedeutsamkeit zu besitzen. Das ist nicht eine mentale oder abgeleitete Bedeutsamkeit. Die Identität des Kindes ist nicht von etwas Äußerem abhängig. Kinder sind echt, ehrlich mit sich selbst. Sie besitzen eine Verbundenheit, ein Einssein (oneness), und nicht Disharmonie. Das Kind ist ein Wesen (entity) und antwortet, reagiert und verhält sich als ein Ganzes, nicht mal als dieser Teil und dann als jener Teil. Das passiert später. Es gibt nicht einmal eine Unterscheidung zwischen Essenz und Persönlichkeit. Das Kind ist einfach ein einziges Seiendsein (one beingness). Wenn das Kind älter wird, geht diese Einheit der Erfahrung verloren.

      Was verursacht den Übergang? Etwas, das da war, ist verlorengegangen, und etwas, das unecht ist, hat seinen Platz eingenommen. Es ist das, was wir „falsche Persönlichkeit“ nennen. Wenn ihr sehr tief in euch hineingeht, werdet ihr sehen, daß das, was ihr für euch selbst haltet, nicht wirklich ist. Eine Weise, das zu erfahren, ist das Gefühl, eine leere Hülse mit nichts von Bedeutung darin zu sein. Man kann die Ego-Identität, den Kern der Persönlichkeit mit seinem Selbstgefühl, unmittelbar als eine trockene, leere Hülle empfinden. Wenn ihr diese Hülse der Persönlichkeit durchschaut und der Leere darin gewahr werdet, dann werdet ihr des Gefühls von Sinnlosigkeit, Wertlosigkeit und Bedeutungslosigkeit gewahr.

      Gewöhnlich fühlen wir diese Leere eher vage als direkt. Aber wenn wir uns in der Tiefe mit dieser Situation auseinandersetzen, fühlen wir uns wie eine Art Eierschale mit nichts darin. Wenn Menschen diese leere Schale wahrnehmen, haben sie oft das Gefühl: „Wozu soll ich eigentlich leben?“ Da ist nichts, keine Bedeutung. Alles in der Welt wird sinnlos. Nichts ist von Interesse. Schnee fällt, und da ist niemand, sich daran zu freuen. In so einem Zustand von Sinnlosigkeit weiß ich nicht einmal, wie es ist, etwas wertzuschätzen. Ich bin nicht da. Wie kann eine als Mangel erfahrene Leere sich an der Schönheit von fallendem Schnee freuen?

      Wenn wir dagegen ein Kind beobachten, sehen wir, daß die Gefühle von Fülle, von innewohnender Lebendigkeit, von Freude am Sein nicht abgeleitet sind – das heißt, sie sind nicht das Ergebnis von etwas anderem. Man selbst zu sein ist allein schon wertvoll; man ist nicht erst wertvoll, weil man etwas tut oder nicht tut. Es ist am Anfang da, geht aber allmählich verloren, und die Falschheit tritt einfach an seine Stelle.

      Man verliert es, aber nicht einfach so, nicht leicht. Das Kind kämpft einen großen Kampf, einen gewaltigen Kampf, aber an einem bestimmten Punkt gibt es auf. An einem gewissen Punkt haben wir das Gefühl, daß der Konflikt zwischen unserem wirklichen Gefühl von uns selbst und unserer Umwelt nicht auszuhalten ist. Das Kind wird nicht gesehen oder fühlt sich abgelehnt, nicht wertgeschätzt oder nicht in eine Beziehung aufgenommen. Es ist ein sehr einsames Gefühl, inmitten all der normalen Falschheit der Persönlichkeit echt zu sein. Schließlich ist es mehr, als man aushalten kann. Wenn wir wir selbst sind, wird das nicht unterstützt; das wahre Selbst wird von unseren Eltern nicht geschätzt. Sie schätzen vielleicht, was wir tun oder wie süß wir aussehen, aber sie sind ja selbst nicht wirklich anwesend. Vielleicht sind sie mit dem Streben nach Erfolg beschäftigt. Als kleines Kind fühlen wir nicht so. „Komisch, ich weiß nicht, was ich von all dem halten soll - da bin nur ich, das ist alles. Ich sitze einfach hier und spiele mit meinem Spielzeug – was gibt es sonst noch? Aber schau dir diese Erwachsenen an – was treiben die nur? Ich fühle mich allein, aber ich kann das niemandem in meiner Nähe sagen. Mama will, daß ich dies und das mache, und ich möchte, daß Mama mich im Arm hält, also mache ich lieber, was sie will.“

      Das ist der Augenblick des großen Verrats, wenn wir uns selbst aufgeben. Wie der Mensch in der Geschichte „Der Königssohn“ fangen wir an, wie das einfache Volk zu leben. Wir ziehen die Kleider an, und die Kleider sind aus Falschheit gemacht. Diese Unechtheit ist die Hülse, die wir fühlen. Sie ist das Gewebe, das Material der Hülse. Was wirklich und echt in uns ist, wurde weggedrängt, und unser ganzes Leben lang fühlen wir nun die Hülse. Wenn wir sie durchdringen, fühlen wir die Leere. Diese mißliche Lage ist etwas sehr Trauriges, aber sie ist universell. Jeder gerät da hinein, der sich mit dem Egogefühl des Selbst, mit der gewöhnlichen Persönlichkeit identifiziert. Man ist entweder man selbst, als essentielles Wesen oder Sein, oder man ist ein Ego-Selbst, das sich mit der Zeit entwickelt, und das ist eine leere Hülse. Wenn wir uns mit dieser Hülse konfrontieren, dann sind wir an der tiefsten Stelle berührt. Wir sind in tiefer Not, weil das, was das Leben sinnvoll machen sollte, nicht da ist. Man empfindet dann vielleicht: „Ich möchte total hier sein, nichts anderes ist genug. Nichts hat Bedeutung, auch Lust und essentielle Erfahrung nicht, wenn ich nicht hier bin.“ Aber wir wollen uns nicht damit konfrontieren, weil wir jetzt nicht das Verlorensein und die Entfremdung fühlen wollen, die wir als Kind gefühlt haben.“

      Das Versagen eurer Eltern, eure wirkliche Natur zu sehen, bedeutet nicht, daß sie euch nicht lieben. Auch wenn sie euch lieben, nett zu euch sind, für euch sorgen und sogar glauben, daß ihr ganz wunderbar seid, ist das nicht dasselbe, wie wenn sie wirklich sähen, wer ihr seid. Auch Menschen, die gute Eltern haben, werden doch diese Hülse aus Falschheit entwickeln. Das was ihr am ursprünglichsten seid, euer Kern, euer Funke, wurde nicht gesehen; es wurde nicht erkannt, ihm wurde nicht geantwortet und oft wurde es mit Mißbilligung behandelt und abgelehnt. Wenn eure Eltern nicht ihr eigenes Zentrum haben, ihr eigenes tiefes Gefühl ihres Selbst, dann können sie euch nicht sehen. Sie können in euch nur sehen, was sie in sich selbst sehen, gleich wie sehr sie das Beste für euch wollen und euch lieben. Auch wenn sie einen Blick auf euer wirkliches Zentrum erhaschen würden, müßten sie sich dieser Wahrnehmung verschließen, weil sie sie ihren eigenen Mangel spüren lassen würde. Wir könnten dieses Phänomen der Identifikation mit der Hülse also eine soziale Krankheit nennen, die durch die Jahrhunderte weitergegeben wurde.

      Wenn ihr euch selbst kennt, wenn ihr eure wahre Identität verwirklicht, dann kommt der Sinn des Lebens nicht in Form einer begrifflichen Antwort auf eine Frage zu euch. Er ist keine Antwort in eurem Verstand. Ihr seid die Antwort. Die Präsenz, Fülle und innerliche Kostbarkeit werden direkt und nicht in Beziehung zu irgendetwas anderem erfahren. Es ist vollkommene Autonomie; nur die Erfahrung selbst kann einen Geschmack dieser Befriedigung vermitteln. Diese Erfahrung der Selbstverwirklichung ist insofern die Antwort, als sie das Getriebensein beendet. Sie ist wahre Abwesenheit von Suchen.

      Wenn wir unsere wahre Identität untersuchen wollen, müssen wir uns erlauben, darauf zu verzichten, unsere verschiedenen Rollen, Aktivitäten, Ideale und Bilder zum Ausfüllen unseres Gefühls von Leere zu benutzen. Dann können wir uns ansehen, ob irgendetwas davon wirklich unser tiefes Bedürfnis nach Sinn befriedigt. Wenn ihr euch beobachtet, werdet ihr wahrscheinlich entdecken, daß ihr von einer Sache nach der anderen


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