Ayahuasca und Tabak. Jeremy Narby

Ayahuasca und Tabak - Jeremy Narby


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wiederzugeben und Fragen zu stellen, wenn ich etwas nicht verstand. Bei einer Gelegenheit begann er mir vom Ableben seines Schwiegervaters zu erzählen, der ein bekannter Tabakschamane gewesen war: »Er pflegte seinen Tabak zu trinken, als sei er Wasser; er nahm ihn in die Hand und trank ihn so, als sei es nichts. Und dann konnte er machen, was er wollte, ja, er verwandelte sich sogar vor den Augen aller in einen Jaguar.«

      »Wirklich?«, fragte ich.

      »Deshalb haben sie ihn umgebracht, weil er sich oft in einen Jaguar verwandelte und Rinder angriff«, fuhr er fort.

      »Er griff Rinder an?«, fragte ich, unsicher, ob ich richtig verstanden hatte.

      »Er griff Rinder an«, wiederholte er.

      »Wessen Rinder?«

      »Die der Kolonisten.«

      »Warum griff er ihre Rinder an?«

      »Weil er mit ihnen bumsen wollte. Also töteten sie den Jaguar, nahmen ihm das Herz heraus und kochten es mit Asche, Harz und scharfem Paprika; und als seine Seele aus ihm herausgetreten war, bekam er einen Schock, deshalb starb er. Er starb nicht, weil er krank war, sondern er starb um seiner Seele willen.«

      »Die Kolonisten haben ihn also umgebracht?«

      »Nein, den Kolonisten gehörten die Rinder, aber sie heuerten einige Asháninka an, um den Jaguar zu töten. Denn wenn dort ein echter Jaguar Rinder angreift, kann man ihn erschießen und töten. Trägt er aber die Seele eines Tabakschamanen in sich, kann man ihn aus nächster Nähe erschießen, und er kann trotzdem noch springen; sogar, wenn man von dort drüben auf ihn schießt, kann man ihn nicht töten, weil er ein Mensch ist (porque es gente).«

      »Und wie haben sie es geschafft, die Seele deines Schwiegervaters zu töten?«

      »Sie haben ihn verraten. Er selbst erzählte uns, als es passierte, sei er dreimal entflohen, und meinte: ›Ich weiss nicht, wie ich sterben werde, denn viele Leute wollen mich töten, aber sie werden es nicht schaffen.‹ Vielleicht kam der Zeitpunkt, in dem er nicht länger ausweichen konnte, vielleicht benutzten sie etwas Geheimes, er gab seinen Körper auf, und sie saugten seine Seele aus. So ist er gestorben. Denn er starb rund und gesund.«

      »Gesund?«, fragte ich.

      »Gesund. Und im Moment seines Todes gab es einen brennenden Geruch nach Schießpulver. Deshalb sagte er: ›Jetzt haben sie mich gefickt. Also kann ich nicht weiterleben, weil sie in Wahrheit mein Herz gekocht haben, sodass kein Leben mehr in mir ist.‹ Denn bei seinem Tod tropfte er, als hätten sie ihn mit Wasser getränkt, ihm floss der Schweiß, weil sie sein Herz ins Feuer gelegt hatten. Deshalb verbrannte er. Und so war es dann auch.«

      Als Carlos Perez mir diese Geschichte erzählte, merkte ich, dass ich die Ereignisse, von denen er erzählte, nicht für möglich hielt. Als Kind des Rationalismus und Materialismus glaubte ich nicht, dass die Seele eines Menschen, angetrieben durch eine starke Dosis Tabak, aus dem Körper fliegen, sich in einem lebendigen Jaguar einnisten und dort so lange festsitzen kann, bis sie dann den Tod des Menschen verursacht, nachdem das Herz des physischen Jaguars herausgeschnitten und in Chilischoten gekocht worden war. Ich wusste auch nicht wirklich, was ich mit einer solchen Geschichte anfangen sollte.

      Nachdem ich ein Jahr lang in dieser Asháninka-Gemeinschaft gelebt hatte, begleitete ich Carlos Perez zu einem Besuch bei seinem alten Tabakschamanenlehrer, der oben in den Hügeln lebte, etwa eine Stunde Fußmarsch entfernt. Der Mann schien mindestens 80 Jahre alt zu sein, denn er war von Falten übersät. Carlos Perez erzählte mir, dass niemand sein genaues Alter kannte, da er geboren wurde, bevor die Asháninka anfingen, die Jahre zu zählen. Er saß auf einer Matte, trug ein Baumwollhemd und aß Tabakpaste von einem kleinen Stab, der in einem Kürbis steckte. Als ich ihm vorgestellt wurde, sah er mich mit spitzbübisch blitzenden Augen an und fragte, ob ich sein Schwiegervater sei.

      Ich war zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal ein Drittel so alt wie er, also war das eindeutig ein Scherz. Ich beschloss, mitzuspielen, und bejahte die Frage. Er lachte und fragte mich erneut: »Konki?« (Schwiegervater?). »Ja«, antwortete ich. Er stellte mir die gleiche Frage ungefähr zwanzig Mal hintereinander, und jedes Mal, wenn ich mit »Ja« antwortete, wurde sein Lachen noch ein bisschen breiter. (Später an diesem Tag erfuhr ich von Carlos Perez, dass die Frage auch bedeutete: »Kann ich mit deinen Töchtern schlafen?« – der Witz ging also auf meine Kosten.) Ich beendete unseren Austausch und fragte, ob ich etwas von seiner Tabakpaste probieren dürfe. Er reichte mir den Kürbis, ich schob mir eine beträchtliche Menge zwischen die Lippen und setzte mich dann etwas abseits, damit die beiden Männer ihre Geschäfte besprechen konnten. Nach einer kurzen Weile, in der ich so dasaß, ohne über etwas Bestimmtes nachzudenken, fuhr ich mit meiner Zunge die Unterseite meiner Vorderzähne entlang, und sie schienen überaus lang und scharf zu sein. Außerdem schienen Katzenschnurrhaare seitlich aus meinem Gesicht zu wachsen, mit denen ich meine Umgebung noch schärfer wahrnehmen konnte. Mein Mund schmeckte nach Blut, und obwohl ich Veganer war, genoss ich den Geschmack. Meine Sinne sagten mir, dass ich mich in eine Katze verwandelte. So etwas hatte ich nicht für möglich gehalten, aber es fühlte sich echt an. Dieses katzenartige Gefühl machte, dass ich mich warm, kraftvoll und weise fühlte. Ich beäugte ein paar Hühner, die in der Nähe herumgackerten, und entschied wie ein wohlwollender Jaguar, mich nicht auf sie zu stürzen. Ich erinnere mich noch, dass ich mir sagte: »Du weißt, dass die Tabakpaste wirklich stark ist, wenn der Anthropologe anfängt, Hühner anzugreifen!«

      Dieser katzenartige und raubtierhafte Eindruck war so lebendig, dass er mir bis heute im Gedächtnis geblieben ist. Aber es dauerte lange, bis ich mich in der Lage fühlte, öffentlich darüber zu sprechen.

      Die Jahre nach diesem Erlebnis vergingen, und ich hielt mich weiterhin von Tabak fern. Er war keine Pflanze, die mich rief – zum Glück, denn ich wusste, dass ihr regelmäßiger Gebrauch der Gesundheit schaden konnte.

      Trotzdem respektierte ich die Pflanze, weil die indigenen Amazonasvölker auf ihrer zentralen Rolle beharrten und weil ich meine kurze Begegnung mit ihr schätzte. Mit meinem Körper zu spüren, wie es sich anfühlen könnte, ein Jaguar zu sein, war eine Erfahrung, für die ich dankbar war – aber keine, die ich unbedingt wiederholen wollte.

      Ich glaubte nicht, dass ich mich wirklich in einer messbaren Weise in einen Jaguar verwandelt hatte. Vielmehr hatte ich eine intensive körpereigene Erinnerung an den Eindruck, eine Katze zu sein, die ich willentlich anzapfen und als Quelle der Kraft und des Mutes nutzen konnte.

      Aber ich lernte, mit Menschen aus dem Westen nicht darüber zu sprechen, denn bei dem Thema schienen sich die Leute unwohl zu fühlen. Selbst eine einfache Diskussion über die Sichtweise der Amazonasvölker zu Tabak rief eher Unverständnis hervor. Die Leute erinnerten mich daran, dass der Tabakkonsum jedes Jahr bei Millionen von Rauchern zum frühzeitigen Tod führte und internationale Gesundheitsbehörden ihn als »die heute vermeidbarste Todesursache der Welt« bezeichneten – wie konnte also jemand die Pflanze als Quelle des Wissens und der Heilung ansehen?

      Es schien mir klar zu sein, dass diese Ansicht auf dem Verständnis der Wirkungen vorgefertigter Zigaretten beruhte, die eine verfälschte Version der Pflanze anboten und meistens mit industriellen Chemikalien versetzt waren. Es schien auch klar zu sein, dass die indigenen Amazonasvölker über ein Wissen über Tabak verfügten, das vielleicht für die Raucher in der ganzen Welt und für Menschen, die diese mächtige Pflanze verstehen wollen, nützlich sein könnte. Aber zwischen diesen beiden Welten lag eine Kluft, die schwer zu überbrücken blieb.

      Die Jahre zogen ins Land. Im Jahr 2010 starb Carlos Perez Shuma. Eine ganze Zeit lang danach konnte ich die Abschriften der Interviews, die ich mit ihm geführt hatte, kaum ansehen. Er war ein kluger Mensch und ein meisterhafter Geschichtenerzähler, und ich vermisste ihn sehr.

      33 Jahre nach meiner ersten Begegnung mit dem Amazonastabak spürte ich einen Ruf, wieder zu diesem Thema zurückzukehren. Es war kein bestimmtes Ereignis, das dies auslöste; es war eher wie bei einer reifen Frucht, die vom Baum fällt. Plötzlich wusste ich, dass ich mich mit der Sichtweise der indigenen Völker des Amazonas auf den Tabak beschäftigen wollte.

      Ich kontaktierte Rafael Chanchari Pizuri, einen


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