CHANGES. Группа авторов

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wie die Metamusik-Festivals von Walter Bachauer oder das Zirkusprogramm von 1978. Dafür konnten wir andere Türen öffnen.

      Eine Lücke in der Landschaft schließen

      In allen Sparten und Genres der Berliner Festspiele hat sich eine Entwicklung fortgesetzt, die wegführt von den Begriffen und Praktiken traditioneller Sparten und Genres, weil die künstlerische Praxis diese Grenze auflöst. Viele Gastspiele sind heute multimediale Installationslandschaften, brauchen lange Aufbau- und Probezeiten, sprengen den Rahmen klassischer Festivalproduktionen. So vergrößern sich die Aufwände nicht nur im Bereich der Eigenproduktionen der Berliner Festspiele, sondern auch bei den Gastspielen. Diese Herausforderung ist eine Tendenz der Zeit, keine Mode, sondern eine Entsicherung des Kunstbetriebs, wie sie von den Künstler*innen ausgeht und unsere Institutionen herausfordert.

      Eine konstante Herausforderung für die Berliner Festspiele war es auch, einen hohen Anteil an eigenen Produktionen zu entwickeln, um neben ihrer Haupttätigkeit als einladende, gastgebende Institution jene Werke oder Formate selbst zu produzieren, die den Berliner Festspielen ein eigenes Profil geben und eine Lücke in der institutionellen Landschaft Berlins schließen – also genau das anbieten, was in Repertoirebetrieben oder Häusern mit einer eigenen Sammlung schwer zu verwirklichen ist. Oft waren das Langzeitformate wie „The Long Now“, Vinge/Müllers Nationaltheater Reinickendorf, Troubleyn/Jan Fabres Mount Olympus, Ilya Khrzhanovskys geplantes DAU-Projekt oder Taylor Macs A 24-Decade History of Popular Music. Groß angelegt konnten aber auch Fragestellungen und über mehrere Spielzeiten hinweg untersuchte Themen sein, wie zum Beispiel „Zeit“ bei MaerzMusik, „Healing & Care“ im Gropius Bau oder ein Weltbildwandel und eine sich ändernde Kunstpraxis in der Projektreihe „Immersion“.

      Gereon Sievernich hat zuvor über fast zwei Jahrzehnte ein eigenwilliges, neugieriges Programm am Martin-Gropius-Bau realisiert, das im Laufe der Zeit eine eigene „Archäologie der Moderne“ um enigmatische Künstler*innen wie Hans Richter, Friedrich Kiesler, die WChUTEMAS-Schule, Germaine Krull, Wenzel Hablik oder Franz Kafka entwickelte, kontinuierlich große Fotografieausstellungen wie von Diane Arbus oder Barbara Klemm zeigte und aufsehenerregende Lichthof-Inszenierungen durch zeitgenössische Künstler*innen, die man zuvor so nur in der Londoner Turbine Hall gesehen hat. Zum Profil des Martin-Gropius-Baus gehörten imposante Ausstellungen über die Kulturen der Maya oder Irokesen, prähistorische Felszeichnungen oder japanische Holzschnitte von Hokusai, aber auch Ausstellungen über das Bauen mit Holz oder die Präsentation großer Privatsammlungen. In ähnlicher Weise entdeckungsreich hat Winrich Hopp im Musikfest Berlin an der Genealogie und Konturierung eines Orchesterkanons des 21. Jahrhunderts gearbeitet. Mit Nadin Deventer übernahm nach Bert Noglik und Richard Williams 2018 eine Produzentin und Kuratorin aus dem Team des Jazzfestes Berlin die Leitung des Festivals, die dieser Männerdomäne ein neues Hören lehrte, politisch frische Allianzen schloss und, genauso wie Yvonne Büdenhölzer im Theatertreffen, Kunst und Diskurs immer mit Seitenblick auf aktuell virulente Gesellschaftsthemen kuratierte.

      Der rote Rahmen als Fokus

      Der rote Rahmen wurde 2012 als Logo eingeführt, um das Zusammengehörende all dieser Formate und Orte zu betonen und zugleich zu signalisieren, dass die Plattform der Berliner Festspiele wie ein Fokus im Sucher einer Kamera funktioniert – im roten Rahmen erschienen die verschiedensten Phänomene und Tendenzen wie im Brennglas. Die großen Themen der Berliner Festspiele, denen in diesem Buch nachgespürt wird, waren und sind das Anbrechen einer neuen Identitätspolitik (mit ihren Debatten um Gender, Herkunft und eine neue Rechte), die Auswirkungen der digitalen Kulturrevolution, der Klimawandel und ein neues Weltbild, das eher in Ökologien und symbio- tischen Strukturen denkt als in dialektischen Gegensätzen und einer dirigistischen Gewalt von oben. Die Hashtags dieses Jahrzehnts lauteten #MeToo, #BlackLivesMatter oder #Corona und werden gerahmt vom Ende der Ära Merkel und der ersten Generation von Deutschen, die ihr Land nur als ein Land kennengelernt haben, ohne Todesstreifen und Tagesvisa. Zugleich stehen wir noch am Anfang einer offenen und ausgewogenen Betrachtung der deutschen Wiedervereinigung und der Re-Programmierung unserer eigenen Betriebssysteme im Kontext des Festival- und Ausstellungsmachens, um dem Stand unserer Einsichten über notwendige Veränderungen im Bereich der Nachhaltigkeit und Diversität auch eine gewandelte Praxis folgen zu lassen. Eines der bewegendsten Werke über diese Herausforderung ist vielleicht Arne Vogelgesangs und Marina Dessaus Produktion Es ist zu spät, die als Livestream im Rahmenprogramm des Theatertreffens 2021 zu sehen war.

      Die letzten zehn Jahre haben eine Reihe neuer Formate hervorgebracht, die auch Formate des Neuen waren: Konzertcluster von 30 Stunden Dauer im Kraftwerk Berlin, in denen sich die Besucher*innen Feldbetten in der Turbinenhalle aneignen konnten, oder Jazz, der wieder stärker in die Nähe von experimenteller Szene und politischem Aktivismus rückt, oder eine eigene Sendeplattform wie „Berliner Festspiele on Demand“, Künstler*innenresidenzen im Gropius Bau, eigene VR-Produktionen und Fulldome-Festivals im Zeiss-Großplanetarium. Wir haben große Gastspiele von Robert Wilson und Alain Platel, von Taylor Mac und Jan Fabre, Pina Bausch, FC Bergman und Marino Formenti gezeigt. In einer ehemaligen Munitionsfabrik in Reinickendorf haben wir zusammen mit den Künstler*innen und Programm- macher*innen ein „Nationaltheater“ gebaut, wir haben die Frauenquote im Theatertreffen eingeführt, und wir wollten für vier Wochen im historischen Stadtzentrum die Berliner Mauer wiederaufbauen, um sie noch einmal zu öffnen. Wir haben die nationalsozialistische Vergangenheit des ersten Festspielintendanten erforscht und in der Reihe „Immersion“ mit „Down to Earth“ das erste Ausstellungsprojekt in Deutschland realisiert, das auf das Thema Klimawandel mit einem Wechsel im Betriebssystem reagiert – unplugged, ohne Flugreisen der Beteiligten, ohne Strom, mit Transparenz über alle Verbräuche und die positive Erfahrung einer analogen Kunstpraxis und Lebensschule. Die Bundeswettbewerbe erhielten eine einheitliche Struktur und mit dem Tanztreffen der Jugend 2014 eine neue Sparte.

      Was sind die Berliner Festspiele? Wir haben immer wieder überlegt, ob wir die Atomisierung der ursprünglichen Berliner Festwochen, die einst wie die Wiener Festwochen oder das Holland Festival einen kompakten Veranstaltungsblock mit Ausstellungen, Theater und Konzerten gebildet haben, wieder rückgängig machen und ein großes Stadtfestival gründen. Allerdings erschien uns das, ähnlich wie unseren Vorgänger*innen, als seltsam dominant und zu konsumistisch. Auch hatten wir die Idee, das im Jahreskalender verstreute Programm zu zwei Spielzeiten zusammenzufassen, die im ersten Halbjahr ein großes Theaterfestival rund um das Theatertreffen realisieren und im zweiten Halbjahr die improvisierte Musik zwischen Jazz und aktueller Musik mit dem zeitgenössischen Orchesterrepertoire verknüpfen. Letztlich haben wir uns dafür entschieden, bestehende Formate zu schützen und ergänzend neue Formate zu gründen, die spezifische Fragestellungen, Praktiken und Communities verbinden. Die ständige Frage in den letzten Jahren war, ob wir innerhalb der vorhandenen Formate Veränderungen ausprobieren oder neben diesen Zyklen auch Freiräume schaffen, die alternative Veranstaltungsformen aufnehmen, wie sie in Repertoirehäusern oder kurzen Festivals nicht zu realisieren sind – etwa ein analoges Digitalfestival oder eben die nie endende Ibsen-Saga von Vinge/Müller.

      Themen – Bilder – Chronik

      Hinsichtlich der künstlerischen Projekte und Entwicklungen wird nachfolgend die Chronik der Festspielprogramme, wie sie in früheren Abschlusspublikationen der Berliner Festspiele von Ulrich Eckhardt und Joachim Sartorius angelegt wurde, in ähnlicher Form fortgesetzt. Ihr voraus geht im ersten Teil des Buches eine Darstellung thematischer Schwerpunktsetzungen, die unsere Arbeit in den letzten zehn Jahren geprägt haben. Dies geschieht auf der Ebene der großen Themenlinien, wie sie in mehreren Festivals und Ausstellungsprojekten ihren Niederschlag gefunden haben. Die Geschichte der konkreten Festivalarbeit wird hier in ihren Details genauso wenig nacherzählt wie die Geschichte sämtlicher Ausstellungen oder Mitarbeiter*innenpersönlichkeiten. Vielmehr sind die nachfolgenden Thementexte der Versuch, die grobe Signatur des zurückliegenden Festspieljahrzehnts auf einer übergreifenden Ebene zu beschreiben. Dieses Buch hat also drei Hauptkapitel: Themen, Bilder, Chronik. Der Thementeil beginnt in fünf Kategorien jeweils mit einem Übersichtstext und enthält dann eine Fülle von Dokumenten, die auf oder für oder über Veranstaltungen der Berliner Festspiele in


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