Die Steuersünder. Peter Mathys

Die Steuersünder - Peter Mathys


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Matter angeht. Haben Sie auch eine Einladung nach London erhalten?»

      «In der Tat, auf nächsten Samstag.» Die Stimme des Arztes tönte weniger gereizt. «Aber ich würde jetzt schon gerne wissen, mit wem ich spreche.»

      «Klar.» Kellenberger stellte sich vor und schloss: «Sie verstehen, dass man sich nicht leichthin jemandem als Steuersünder, der erpresst wird, zu erkennen gibt.»

      Jetzt lachte der Arzt. «Allerdings. Und wie sind Sie eigentlich auf mich gestoßen?»

      «Durch eine Nachlässigkeit von Matter. Purer Zufall. Es gibt noch ein drittes Opfer. Ich habe vor, ihn ebenfalls zu kontaktieren. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich ihm von Ihnen erzähle?»

      «Nein, aber bitte zunächst ohne Namensnennung, so wie Sie unser Gespräch angefangen haben. Und dann sollten wir uns vermutlich treffen, um abzuklären, ob wir gemeinsam etwas gegen diesen Strolch unternehmen können.»

      «Einverstanden», erklärte Kellenberger. «Ich rufe nochmals an, sobald ich mit dem anderen Herrn geredet habe.»

      Das Gespräch mit Paul Regenass verlief ebenso reibungslos. Man kam überein, sich am Donnerstagabend um sieben Uhr im Büro des Anwalts zu treffen. Zufrieden räumte Michael seine Akten weg. Er freute sich auf sein Abendessen im «Goldenen Sternen».

      Sein Stammplatz war noch frei. Die Oberkellnerin Lucie, eine zierliche Elsässerin mit einem hellen Kinderstimmchen, brachte ihm die Karte. Er entschied sich für eine Kalbsconsommé, danach Riesenkrevetten mit Reis und grünem Blattsalat, dann bat er um eine Zeitung. Matter und seine Gaunereien waren in den Hintergrund gerückt; allein schon die Kontaktaufnahme mit seinen beiden Leidensgenossen linderte den Druck, der seit Tagen auf seiner Seele lag.

      «Möchten Sie einen Schluck Wein zum Essen?», fragte Lucie, während sie die Zeitung auf den Tisch legte.

      «Gerne, was schlagen Sie vor?»

      «Wir haben einen weißen Villa Antinori, der ausgezeichnet zu den Krevetten passt.»

      «Also, dann bringen Sie mir einen Dreier.»

      Am Dienstagabend hatte Matter seine Zweizimmerwohnung eingerichtet. Die wenigen gebrauchten Möbel waren schnell hingestellt, die paar Lampen aus dem Einkaufszentrum rasch aufgehängt. Freude bereitete ihm eine Biedermeierkommode, die er in einem Antiquariat gefunden hatte. Er platzierte sie prominent im Eingang, die Wand darüber dekorierte er mit einem alten Ölgemälde mit einer englischen Jagdszene aus demselben Antiquariat. Tanja half ihm und beschrieb dabei ihr Kündigungsgespräch mit Kellenberger. Ob dieser wohl etwas ahne von ihrer Verbindung, wollte Matter wissen. Es sei schwer zu glauben, dass er genau jetzt seine Berufstätigkeit einschränke, wo er einen massiven Mittelabfluss hinzunehmen hatte. Dazu lachte er sein grelles Lachen; es klang wie das Bellen eines Foxterriers. Tanja hatte nur die Achseln gezuckt, es war ihr egal.

      «Ich bin jetzt ganz dir ausgeliefert», hatte sie erklärt. «Die Ära Kellenberger ist für mich abgeschlossen.»

      «Nicht ausgeliefert», hatte Matter protestiert. «Nicht ausgeliefert, mein Häslein. Aber wir sind jetzt auf einander angewiesen, verstehst du? Das ist ein Unterschied.»

      «Ja.»

      Dann hatte er ihr über die Gründung der Alpaka-Stiftung berichtet und dass sie beide dem Stiftungsrat angehören sollten. Wegen lästiger Formalitäten konnte das Vermögen nicht mehr vor der Reise nach Neuseeland auf die Stiftung übertragen werden. Tanja bereitete zwei Tassen Kaffee und trug sie ins kleine Wohnzimmer. Sie trat ans Fenster mit Blick auf eine stark befahrene Kreuzung. Ihre eigene Wohnung hatte Aussicht ins Grüne, in der Ferne sah man den Waldrand, und es gab keinen Verkehrslärm. Dort war es schön, und sie konnte sich entspannen. Sie versuchte sich Neuseeland vorzustellen und Herbert auf einer Farm, wie er sich mit Tieren beschäftigte, von denen er nichts verstand. Sie zweifelte, ob dieser Nachteil mit Geld allein wettzumachen war. Oder ob Matter nicht doch einfach Fluchtgedanken hegte und sein Ziel nicht weit genug entfernt sein konnte. Zuletzt kam es ihr unwahrscheinlich vor, dass er sich innert nützlicher Frist von seiner Frau scheiden lassen und sie heiraten würde. Und wenn er sie fallen ließ – was für eine Zukunft stand ihr bevor mit fünfunddreißig Jahren? Eine neue Stelle als Sekretärin in einem langweiligen Büro mit jüngeren Kolleginnen, denen das Leben mit allen Verrücktheiten noch offen stand. Was für Männer würden sich noch für sie interessieren? Über Fünfzigjährige mit viel perverseren Wünschen als Matter, der bloß seinen sexuellen Nachholbedarf bei ihr auslebte. Schließlich ging ihr durch den Kopf, dass sie nach wie vor eine Vollmacht über sein Konto in Vaduz besaß.

      9

      Der Mittwoch brachte Herbert Matter neues Ungemach. Er verbrachte den Vormittag mit der Erledigung von Routineaufgaben, der Veranlagung einiger kleiner Handwerker und dem Studium zweier Einsprachen gegen frühere Veranlagungen. Hoffnungslose Zeitverschwendung, die Einsprecher hatten nicht die geringste Chance, mit ihren Einwendungen durchzudringen. Den Nachmittag widmete er dem Kunststück, für die Akten darzulegen, dass die Steuererklärungen der Herren Kellenberger und Huber nach erneuter Überprüfung korrekt waren. In zwei Notizen zeigte er auf, dass sich dem Rechtsanwalt nichts Unkorrektes nachweisen lasse, insbesondere keine nicht deklarierte Zahlung aus Vaduz, und dass sich das ominöse Schreiben der Ehefrau Huber vom 7. März auch in den Akten der anderen Abteilungen nicht auffinden lasse. Entweder existierte es nicht, oder es war unauffindbar verloren gegangen oder es lag in der Akte eines gänzlich anderen Huber, mit dem Matter nichts zu tun hatte.

      Wesentlich mehr Mühe bereitete ihm sein Opfer Regenass. Nachdem der Abteilungsleiter, Konrad Nägeli, die Akten eingesehen hatte, ließ sich nichts mehr wegargumentieren. Paul Regenass musste eine Nach- und Strafsteuerrechnung hingepfeffert werden. Als einzige Milderung kam in Frage, ihm geringeres Verschulden zuzubilligen. Damit ließ sich die Nach- und Strafsteuer auf unter 500 000 Franken reduzieren. Aber wie Regenass darauf reagieren würde, war nicht abzusehen. Der Internetfachmann würde mit Sicherheit toben und hochgehen wie ein Vulkan, vielleicht eine Strafanzeige wegen Erpressung einreichen. Dagegen nahm sich das Gegenargument der Beamtenbestechung reichlich mager aus. Und wenn Konrad Nägeli gar auf die Idee kommen sollte, die Doktoren Kellenberger und Huber zu ihren Steuererklärungen zu befragen, würde Matters sauberes Konstrukt platzen wie eine Seifenblase.

      Langsam dämmerte dem Beamten, dass er sich ein unlösbares Problem aufgehalst hatte. Selbst eine Rückzahlung des Darlehens würde keine Sicherheit gewähren; Regenass konnte es sich dann erst recht leisten, ihn zu denunzieren. Der einzige Ausweg bestand darin, in London mit Regenass zu reden, ihm Argumente für eine Beschwerde gegen die zu erwartende Steuerrechnung zu liefern und ihm klarzumachen, dass auch ihm strafrechtliche Konsequenzen drohten, falls ihr Darlehensgeschäft bekannt würde.

      Damit ließ sich bestenfalls ein wenig Zeit gewinnen; Zeit allerdings, die Herbert Matter ausreichte, um sich auf Nimmerwiedersehen nach Neuseeland abzusetzen. Mit diesem kleinen Trost versehen, begann er wie die übrigen Beamten kurz vor fünf Uhr sein Pult aufzuräumen.

      Am Donnerstag stand der Gang zum Amtsvorsteher auf dem Programm, dem er das Urlaubsgesuch wegen des Brustkrebses seiner Schwester in Miami unterbreiten würde. Dass es bewilligt würde, stand außer Zweifel. Am Freitag stand sein Arbeitsplatz bereits den Putzfrauen zur Verfügung, von unterwegs würde er seine Kündigung einreichen, und am Samstag fing das Leben mit Tanja an. Sein Blick fiel auf das gerahmte Bild seiner Frau Sylvia; er hatte vergessen, es zu entfernen. Entschlossen packte er die Fotografie und verstaute sie in der untersten Schublade seines Pultes. Jetzt war nichts Persönliches mehr in seinem Büro; man konnte ihm getrost für immer den Rücken kehren.

      Am folgenden Abend informierte Kellenberger Sylvia Matter über weitere Einzelheiten. Sie trug diesmal ein kleines Schmuckstück um den Hals, ein Goldkettchen mit einem zitronengelben Edelstein. Ihr Gesicht war noch sorgfältiger hergerichtet als am Vortag. Sie hörte aufmerksam zu, als er ihr eröffnete, dass ihr Mann einige Steuersünder erpresst hatte, um sich selber zu bereichern. Also hätten seine Opfer ebenfalls ungesetzlich


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