Die Steuersünder. Peter Mathys
Vaduz?»
«Ja, die Universal Bank.»
«Gute Adresse. Nicht zu groß.» Ritter nickte anerkennend. «Aber die Bank muss die Kontoeröffnungsdokumente vorbereiten und Ihnen zur Unterzeichnung zustellen. Und Sie müssen sich überlegen, wer unterschriftsberechtigt sein soll. Das dauert ein paar Tage. Außerdem müssen wir bestimmte Sorgfaltspflichten einhalten. Sie wissen – die Vorschriften zur Bekämpfung der Geldwäscherei und des internationalen Terrorismus. Dazu gehört, dass Sie uns aufklären, woher die Mittel stammen, die Sie auf die Stiftung übertragen.»
Matter runzelte die Stirne. Terrorismus. Geldwäscherei. Er wusste nur ungefähr, um was es dabei ging. Al Kaida fiel ihm ein, Drogenhandel, Prostitution, Pornografie. Damit hatte er nichts zu tun. Er wünschte sich, Dr. Kellenberger wäre an seiner Seite. Der Anwalt würde das gewandt für ihn erledigen.
«Ich habe das alles schon der Bank dargelegt», sagte er schließlich.
Ritter schien mit der Auskunft zufrieden. «Dann genügt es, wenn Sie uns dieselben Angaben zur Verfügung stellen wie der Bank. Im Weiteren benötige ich eine Kopie Ihres Passes.»
Herbert Matter seufzte. «Ich hatte mir Diskretion eigentlich ein wenig anders vorgestellt. Aber bitte – wenn es sein muss.»
Sie einigten sich rasch über alle Einzelheiten. Matter erwähnte seine Tätigkeit als Steuerexperte und seine erfolgreichen Finanzgeschäfte. Unterdessen kopierte eine Sekretärin seinen Pass. Dem Stiftungsrat sollten er selber, Tanja und Josef Ritter angehören. Bei der Bank würden er und Tanja Unterschrift führen. Die Treuhand Dr. Wanger würde der Stiftung ihre Adresse zur Verfügung stellen. Und Herr Matter verstand selbstverständlich, dass er als Neukunde des Büros gebeten wurde, eine Anzahlung von fünftausend Franken zu leisten.
Bei der Universal Bank bezog er die verlangte Anzahlung und darüber hinaus fünftausend englische Pfund für die bevorstehende Reise. Man warnte ihn, nicht zu viel Bargeld mit sich herumzutragen, und offerierte, ihm einen Teil in Reiseschecks auszuhändigen. Matter lehnte dankend ab und verabschiedete sich.
Als er wieder im Auto saß, fragte er sich, ob sein Sohn Arnold es jemals zu einer so interessanten Position bringen würde wie der junge Josef Ritter.
Am selben Dienstagabend, es war der 22. April, rang Rechtsanwalt Kellenberger sich zu einem Entschluss durch. Er schob die Akte, die er seit über einer Stunde studierte, beiseite. Der Fall war hoffnungslos. Sein Mandant, der seit zehn Jahren Seite an Seite mit einem Nachbarn lebte, fand plötzlich, dessen Haus werfe zu viel Schatten auf sein Grundstück. Er hatte einen gehässigen Briefwechsel gestartet, bei dem die Wortwahl mittlerweile die Grenze strafbarer Verunglimpfungen erreichte. Und jetzt sollte der Anwalt einen Gerichtsbefehl erwirken, der dem Nachbarn auferlegte, den Schattenwurf zu beseitigen. Kellenberger griff zum Telefon und drückte eine Taste.
«Frau Goldstein, kommen Sie bitte für einen Augenblick.»
Tanja trat ein, und er bat sie, sich zu setzen. Sie trug ein beigefarbenes, ärmelloses Wollkleid, das ihr bis zu den Knien reichte und schon den Sommer vorwegnahm.
«Frau Goldstein», begann Kellenberger förmlich, «ich muss Ihnen mitteilen, dass ich beabsichtige, mein Arbeitspensum stark einzuschränken. Neue Mandanten werde ich nicht mehr annehmen.» Er sah, wie die Sekretärin ihn ausdruckslos musterte. Ihre Augen glänzten bernsteinfarben. Sie schien schon alles begriffen zu haben. Er dachte an ihren Verrat. «Das bedeutet, dass ich auf Ihre Mitarbeit, die ich außerordentlich schätze, in Zukunft verzichten muss. Ich schlage vor, dass wir unser Arbeitsverhältnis auf Ende Juli beenden. Unter Berücksichtigung Ihrer Ferienansprüche und Überstunden denke ich, dass Sie noch bis Ende Juni hier arbeiten werden.»
Tanjas Mundwinkel verzogen sich zu einem unmerklichen Lächeln. In ihren Augen stand leiser Spott.
«Werden Sie Ihre Korrespondenz dann selber schreiben?»
«Nein. Aber eine stundenweise Aushilfskraft wird genügen.»
«Aha.» Sie machte eine Pause, dann fuhr sie fort: «Ich habe gerne bei Ihnen gearbeitet, Herr Kellenberger. Aber Ihre Mitteilung kommt mir nicht ganz ungelegen.»
«Wieso?»
Tanja lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Sie war immer selbstbewusst gewesen; jetzt empfand der Anwalt sie als provokativ. «Ich hatte auch im Sinn, mich gelegentlich zu verändern.»
«So.»
«Ja. Es sieht so aus, als ob ich wieder heiraten werde.»
Kellenberger schluckte. Matter. Der Strolch hat sie völlig in der Hand, jetzt sowieso mit dem vielen Geld. Und Vollmacht über sein Konto hat er ihr auch noch gegeben. «Wer ist denn der Glückliche?»
«Ich schicke Ihnen eine Anzeige, wenn es so weit ist», sagte Tanja und lachte. «Er ist älter als ich.» Es klang wie eine Entschuldigung.
Und sieht aus wie eine Witzfigur, dachte Kellenberger. Was Geld nicht alles fertigbrachte.
Matters Lachen klang ihm wieder in den Ohren, und er sah seine wässrigen Augen über der Stupsnase mit den ungepflegten Nasenlöchern vor sich. Und jetzt zitierte der Kerl ihn noch nach London, wieder mit der verdeckten Drohung eines Nach- und Strafsteuerverfahrens. Er sagte: «Ich wünsche Ihnen, dass er reich ist und Sie glücklich macht.» Und dass ihn der Teufel holt, setzte er in Gedanken hinzu.
«Danke», erwiderte Tanja. Dann fuhr sie fort: «Wir können das Ganze auch abkürzen. Ich würde gerne die beiden kommenden Wochen als Ferien beziehen. Danach helfe ich Ihnen noch, die pendenten Akten aufzuarbeiten, wenn es Ihnen recht ist. Dafür sollten weitere zwei Wochen genügen.»
«Einverstanden», sagte Kellenberger. Er hatte plötzlich die Nase voll. Sollte sie sich doch dem Banditen an den Hals werfen. «Sie erhalten selbstverständlich ein ausgezeichnetes Zeugnis.»
Tanja verabschiedete sich, und Michael Kellenberger wandte sich wieder seiner Akte zu. Er sehnte sich nach einem kühlen Bier und beschloss, das Abendessen im «Goldenen Sternen» einzunehmen. Nur jetzt nicht ins leere Haus zurückkehren. Die Vergangenheit würde ihn mit ihren klebrigen Fingern einholen, Helen ihm seinen Fehltritt während ihrer dritten Schwangerschaft wieder vorwerfen, den Abort im vierten Monat; die Verachtung seiner Töchter, Reue über verpasste Gelegenheiten, dann die Angst vor Versagen im Beruf, und jetzt der Pfusch mit den Steuern – alles würde ihn heimsuchen wie ein Ausschlag, der sich nie ganz auskurieren ließ. Und die Vorstellung der Stille, die ihn umhüllen würde wie ein schweres Laken, wenn er im Wohnzimmer eine Zeitung las, erfüllte ihn mit sanftem Schrecken.
Als er sich zum Weggehen bereitmachte, läutete das Telefon. Es war zehn vor sieben. Für einen geschäftlichen Anruf war es zu spät, und seine paar Freunde und Bekannten riefen ihn – wenn überhaupt – zu Hause an. Er hob ab.
«Ja», sagte er, leicht ungeduldig.
Eine Frauenstimme sprach. «Herr Dr. Kellenberger?»
«Ja, wer spricht?»
«Sind Sie allein? Können Sie sprechen?»
«Ja.» Jetzt wurde er neugierig.
«Mein Name ist Sylvia Matter», sagte die Frauenstimme. «Kann es sein, dass Sie meinen Mann kennen, Herbert Matter?»
«Allerdings!», entfuhr es Kellenberger. Dann fiel ihm ein, dass auch sie zu Matters Opfern zu zählen war. Freundlicher fuhr er fort: «Was veranlasst Sie, mich anzurufen?»
«Ich möchte nicht am Telefon weiterreden. Wann kann ich Sie allein sprechen?»
«Geben Sie mir wenigstens ein Stichwort.»
«Vaduz.»
«Ich bin heute Abend frei. Wenn Sie mich in meinem Büro besuchen wollen, können wir ungestört reden.»
«In zwanzig Minuten bin ich bei Ihnen.»
8
Michael Kellenberger