Nach Amerika. Leo Schelbert

Nach Amerika - Leo Schelbert


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des jungen Paares für fast dreissig Jahre, und die beiden liebäugelten nie mehr mit einer Auswanderung.

      Ich bin der mittlere von drei Buben in unserer Familie und wurde am 16. März 1933 geboren. Vor mir kam der Hans, 1929, und nach mir der Ruedi, 1936. Hans verstarb 2010, und Ruedi ist schon lange tot. Er war Psychiater, Oberarzt am Burghölzli in Zürich, und hat sich das Leben genommen. Warum, haben wir nie genau erfahren. Es ist schlimm und belastet mich heute noch. Er hatte doch keinen Grund, sich umzubringen, soweit ich es verstehe. Er hinterliess eine Frau und zwei kleine Töchter. Schrecklich!

      Ich bin in eine gutbürgerliche Familie hineingewachsen, in ein gebildetes Milieu. Wir wohnten in Neuhausen über dem Rheinfall in einem Haus mit Garten; wir sahen hinüber zum deutschen Zollhaus und bei Föhnwetter bis in die Berner Alpen. Mutter hatte immer ein Dienstmädchen aus der deutschen Nachbarschaft, ausser im Krieg. Vater war ein weitsichtiger Unternehmer. Schon in den Dreissigerjahren hat er am Untersee einem Bauern ein Stück Land direkt am See abgekauft und darauf ein kleines Wochenendhaus gebaut; dort verlebten wir als Kinder viele glückliche Sommer. Damals ging noch kein Schweizer an den Untersee in die Ferien. Das Häuschen – zwischen Mammern und Steckborn unterhalb von Glarisegg gelegen – wurde innert kurzer Zeit zweimal von einem Pyromanen angezündet; Vater baute es wieder auf. Noch heute ist das Seehaus am Untersee unser Refugium, wenn wir heimkommen in die Schweiz.

      Vater hat bei der AIAG Karriere gemacht, zuletzt als Generalsekretär des Internationalen Aluminiumkartells. Er reiste in den Jahren vor dem Krieg oft nach Paris, London und Berlin. Und er erfuhr auf seinen Europareisen, wie heikel die politische Situation war; schon früh war er davon überzeugt, dass ein Krieg unvermeidbar sei. Er erzählte uns, dass er einmal im Zug in einem Schlafwagenabteil von Berlin nach Stuttgart mit einem hohen SS-Offizier gereist sei, und der habe ihm unglaubliche Dinge erzählt. Vater war eine Zeitlang selber extrem rechts. In Schaffhausen waren viele nazifreundlich, «Fröntler», wie man sagte. Aber als es dann um den Anschluss von Österreich ging, kippten viele der Schweizer Nationalisten, Vater auch.

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      Heinz als begeisterter Reiter.

      Im rechtsrheinischen Schaffhausen, so fand mein Vater, seien wir als Familie wegen eines drohenden Kriegs exponiert. Es wäre gut, wenn er ein Bauerngut im Innern des Landes hätte. Im Falle eines Falles könnten wir dort leben und uns selber versorgen. Er reiste in der ganzen Ostschweiz herum auf der Suche nach einem geeigneten Bauernhof. Am Rande von Richterswil am Zürichsee kaufte er sich schliesslich im Sommer 1939 einen Hof mit Umschwung. Heute steht der mitten im Dorf. Wir probieren seit Jahren, das Land zu überbauen – das ist sehr schwierig und stösst auf massiven Widerstand aus der Nachbarschaft; Richterswil ist mittlerweile ein Vorort von Zürich und das Land ist sehr begehrt.

      Vater kaufte sich übrigens schon Ende der Zwanzigerjahre ein Auto, ein kleines französisches Cabriolet. Das war zwar vor meiner Zeit, aber Mutter erzählte uns Kindern, wie sie jeweils Angst hatte beim Bergauffahren. Die dem Auto nachrennenden und kläffenden Hunde seien meist schneller gewesen als Vaters offenes Cabrio!

      An den Kriegsbeginn erinnere ich mich nicht mehr. Ich kam kurz vorher, im Frühling 1939, in den Kindergarten. Unser Richterswiler Bauernhof war verpachtet; glücklicherweise durften wir dort ein paar alte Birnbäume fällen, um Holzvorrat für die kalten Kriegswinter zu haben. Zu essen hatten wir auch während der Rationierung immer genug, aber gefroren haben wir viel. Im Winter nahm ich meine Kleider immer mit ins Bett und zog mich morgens unter der Decke an. Die Kälte ist für mich die stärkste Erinnerung an den Krieg, nebst unserem Garten mit den vielen Kartoffeln. Den «Wahlenplan» – den Eigenanbau von Gemüse und Kartoffeln – hat meine Mutter streng befolgt.

      Im Frühling 1940 kam ich in die Schule, und damit begannen die Probleme. Die Lehrerin der ersten beiden Schuljahre war zwar noch wunderbar. Aber mit dem dritten Schuljahr kam ein Lehrer, den ich nicht mochte. Er mich auch nicht.

      Glücklicherweise konnte ich in der Freizeit Sport treiben; die Ski- und Schlittelbahn führte im Winter direkt an unserem Haus vorbei und im Sommer spielte ich Tennis und ruderte im Schaffhauser Ruderclub. Geprägt hat mich als Kind auch der jüngste Bruder meines Vaters, Onkel Willi. Er war der Psychiater in St. Gallen, damals der einzige in der Stadt. Er betreute viele italienische Einwanderer, besonders deren Frauen, die mit der Schweizer Mentalität oft erhebliche Mühe hatten. Onkel Willi, der Junggeselle, testete beim Jassen, wie weit seine Neffen geistig entwickelt waren; später lehrte er uns auch Bridge spielen.

      Dass ich die Kantonsschule zu absolvieren hatte, stand für meinen Vater ausser Frage. Die Drohung «wenn du in der Schule nicht gut tust, musst du eine Banklehre machen», musste ich oft hören. Eine Lehre zu absolvieren, das wäre für mich eine Strafe gewesen. Vom Schulischen her gesehen waren die «Kanti-Jahre» eine Qual. Ich war Minimalist und tat nur das Allernötigste. Die sprachlichen Fächer waren grässlich, Latein und Französisch eine Katastrophe. Mehr schlecht als recht stand ich die fünfeinhalb Jahre durch; Mathe, Geschichte und Geografie liebte ich – Englisch probierte ich nicht mal aus. Aber ich hatte das Glück, in einer kleinen Klasse mit einem starken «esprit de corps» zu sein, wo jeder jedem half. So habe ich diese Jahre trotz allem in guter Erinnerung.

      Ein lautes Helikoptergeräusch unterbricht das Interview.

      Das könnte der Präsidenten-Heli sein – Präsident Barack Obama und seine Familie nutzen auf Camp David, eine halbe Autostunde von hier entfernt, oft das präsidiale Wochenendhaus. Ursprünglich wollte die Administration das Präsidentenhaus auf dem Sugarloaf bauen. Gemäss Überlieferung gehörte der Berg aber seinerzeit einem Republikaner, und der weigerte sich, diesen der damals demokratischen Regierung zu verkaufen. Gut so! Es wäre ja schade um diesen Berg – den höchsten im Montgomery County. Der Gipfel des Sugarloaf liegt mit vierhundert Metern über Meer gleich hoch wie unser Wochenendhaus am Untersee. Auf den Berg jogge ich übrigens oft; im Herbst, wenn sich das Laub rot färbt, ists am schönsten. Joggen ist für mich sehr erholsam. Dabei kann ich über eine Menge Dinge nachdenken. Ich mag das, und beim Tennis ist das nicht möglich. Dass ich Langstreckenläufer wurde, hat auch mit familiärem Druck zu tun – alle bei uns zu Hause laufen, meine Frau, unsere drei Kinder. Wie hätte ich mich da drücken können? Es kam sogar so weit, dass ich drei Halbmarathons lief, und in Washington wars üblich, über Mittag durch die prächtigen Parks zu rennen.

      Ja, aber wo sind wir stehengeblieben: Ach ja, bei der «Kantizeit», der nicht eben ruhmreichen. Ein Lichtblick war während jener Zeit meine Mitgliedschaft in der Kantonsschulverbindung Munot – einer abstinenten Studentenverbindung. Alkoholtrinken hat mir nie etwas bedeutet.

      Und dann war da ja auch Ilse. Ich lernte sie mit sechzehn Jahren kennen, auf unserer Konfirmationsreise ins Liechtensteinische. Die Konfirmation selbst war für mich eher unwichtig; Vater war Atheist, aber meine Mutter fand, die Konfirmation gehöre einfach dazu. Basta!

      Ich hab mich offenbar auf jener Reise ziemlich schlecht aufgeführt. Mein Freund Hansli Gubler und ich sassen hinter Ilse und ihrer Freundin Dorli Günter im Bus; und ich muss Ilse scherzeshalber immer wieder an den Haaren gezogen haben. Ich glaube, um mich wichtig zu machen. Jedenfalls fiel ich ihr auf, und irgendwie hats dann gefunkt an jenem Tag. Auf jeden Fall gingen wir bald zusammen an die Anlässe der Jungen Kirche, und ich lud sie an die «Besenabende» der Studentenverbindung ein. Bald war für mich klar – Mausi, meine Couleurdame, ist die Richtige: Ilse Langhans, die mit ihrer Schweizer Mutter, deren Mann und Ilses Vater an der Ostfront fiel, kurz vor Kriegsende aus Ostpreussen nach Mecklenburg geflüchtet war und ein Jahr später via das zerbombte Berlin völlig mittellos in die Schweiz einreisen konnte.

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      Am Bodensee.

      Es hat sich einfach so ergeben mit Ilse. Anders kann ich es nicht sagen. Im Herbst 1953 beschlossen wir, uns zu trennen und organisierten eine kleine Abschiedsparty. Ein halbes Jahr später trafen wir uns zufällig auf der Strasse wieder und waren beide unendlich glücklich – und seither hat sich daran nichts geändert.

      Im September 1952 hab ich die Matura geschafft – «tout just» allerdings. Studieren wollte ich nicht gleich,


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