Auf nach Wien. Peter Payer
schuf ab 1989 jene Voraussetzung, die Wien erneut eine aufstrebende Entwicklung im Herzen Europas ermöglichte.
Der folgende Trend zur Reurbanisierung und die Herausbildung der postmodernen »Erlebnisgesellschaft« (Gerhard Schulze) leiteten sodann eine nachhaltige Festivalisierung des öffentlichen Raumes ein. Wien begann sich als weltoffene Stadt zu positionieren: Silvesterpfad (1990/91), Filmfestival am Rathausplatz (1991), Life Ball (1993) oder Regenbogenparade (1996) etablierten sich als publicityträchtige Massenevents, zahlreiche weitere folgten. Längst sind die traditionellen Veranstaltungszonen verlassen, werden auch Parks wie der Augarten und der Stadtpark miteinbezogen und weit entfernte Areale wie Schönbrunn oder Wienerwald eventisiert.
Wie andere westliche Städte ist auch Wien, so die Urbanistin Anette Baldauf in ihrer Analyse zu den Wechselwirkungen von Stadtentwicklung und Unterhaltungskultur, zu einer »Entertainment City« geworden: »Auf ihren Bühnen werden groß angelegte Shows inszeniert, das Städtische auf hyperbolische Weise aufgeblasen und Urbanität in ihrem Exzess ausgestellt. Alles Inszenierungen, die Superlative einfordern – die Stadt ist lauter, größer, MEHR.«
Der öffentliche Raum fungiert als Kulisse, als begehrter Hintergrund für Public Viewings und als Erlebnisraum für »Ausstellungen« im weitesten Sinn, mit dem erwünschten Nebeneffekt, dass das Gesamtimage der Stadt stets als »Product-Placement« mitpräsentiert wird. Die Dichte der Events ist mittlerweile auch in Wien gewaltig. Kaum ein Wochenende ist noch frei von Großveranstaltungen. Am deutlichsten zeigt sich dies am Rathausplatz, der in seiner städtebaulichen Konfiguration, frei von Veranstaltungsmobiliar, nur mehr an wenigen Tagen im Jahr erlebbar ist. Der zentrale Bereich vor dem Rathaus, ehemals Inbegriff von Bürgersinn und Bürgerstolz, ist zu einem kommerziell vermarkteten Areal geworden, zur beliebtesten Open-Air-Zone Wiens. Raum, so haben wir hier längst gelernt, ist knappes und demzufolge kostbarstes Gut in der Stadt, und gerade deswegen nicht frei von wirtschaftlichen und politischen Verwertungsinteressen. So stellt sich immer öfter die Frage, wem er denn eigentlich gehört und wer darauf Zugriff hat.
Christkindlmarkt, Ansichtskarte, 1990er-Jahre
Die Ansprüche steigen, der Kampf um die letzten noch freien Flächen hat voll eingesetzt. »Platz da!«, titelte die deutsche Wochenzeitschrift »Die Zeit« und brachte damit die europaweit gestiegenen urbanen Konkurrenzverhältnisse auf den Punkt. Auch in Wien erhöhen die globalen Trends zur Verdichtung, Touristifizierung und Digitalisierung den Druck auf den öffentlichen Raum. Gleichzeitig steht die »Stadt als Event« vor sich auflösenden traditionellen Machtverhältnissen. Oder, um beim Bild von der Stadt als Ausstellung zu bleiben: Wir bewegen uns weg von einer Dauerausstellung hin zu temporären Ausstellungen, die – rasch wechselnd und interaktiv – unter Beteiligung der verschiedensten Akteure gestaltet werden wollen. Was allerdings nicht heißen soll, dass man gut daran tut, bisher bewährte Konstanten über Bord zu werfen. Denn immerhin erzielte etwa der imageträchtige Life Ball allein in den letzten zehn Jahren eine Bruttowertschöpfung von mehr als 100 Millionen Euro für die Stadt. Weshalb auch Bürgermeister Michael Ludwig sehr für seine Fortsetzung plädierte – vergeblich, wie sich zeigen sollte.
Illumination zum 70. Geburtstag von Kaiser Franz Joseph, Foto: Ch. Scolik, 1900
TAUSEND LAMPEN FÜR FRANZ JOSEPH
Anstehende Wahlen machen es einmal mehr deutlich: Politische Botschaften in der Masse zu verbreiten ist heute einfacher denn je. Ein Klick genügt und die elektronischen Medien bringen die gewünschten Informationen in vieltausendfacher Weise direkt zum Empfänger. Nur selten ist uns bewusst, wie schwer es früher war, wirklich große Reichweite zu erzielen. Ein Medium spielte dabei seit jeher eine zentrale Rolle: das Licht. Klug eingesetzt und im richtigen Kontext angewandt, entfaltet es eine Suggestivkraft von enormer massenpsychologischer Wirkung.
Denn Dunkelheit, so wussten bereits die Herrschenden früher Zeiten, ist die ideale Kulisse für Propaganda. Visuelle Ablenkung gibt es keine, und die Aufmerksamkeit kann mithilfe des Lichts genau gelenkt werden. Sichtkontakt garantiert! Im Folgenden eine Erinnerung an die durchaus opulenten Anfänge urbaner Lichtpolitik in Wien.
Spektakuläre Lichtevents prägten bereits das ausgehende 19. Jahrhundert. Die gründerzeitliche Stadt entwickelte sich rasant zur Riesenmetropole, elektrische Beleuchtung löste allmählich das Gaslicht ab – und das habsburgische Kaiserhaus inszenierte sich effektvoll vor Massenpublikum: Erstmals im großen Stil im Zuge der Vermählung von Kronprinz Rudolf mit Prinzessin Stephanie im Mai 1881. Die Wiener Gasgesellschaft hatte dazu einen riesigen Triumphbogen am Kärntner Ring errichten lassen, eine aufsehenerregende Lichtinstallation, die sogleich Zehntausende Besucher anlockte.
Absolute Höhepunkte stellten sodann jene drei Stadt-Illuminationen dar, die für Kaiser Franz Joseph – nunmehr bereits mit elektrisch erzeugtem Licht – abgehalten wurden: im Jahr 1900 anlässlich seines 70. Geburtstages sowie in den Jahren 1898 und 1908 zu Ehren seines 50. bzw. 60. Regierungsjubiläums. Jedes Mal fand ein glorioser Triumphzug statt; entlang der Strecke wurden zahlreiche Gebäude mit aufwändigen Lichteffekten, der Kaiserkrone und dem Wahlspruch seiner Majestät »Viribus Unitis« versehen.
Volkstheater mit Fesselballon zum 70. Geburtstag von Kaiser Franz Joseph, 1900
Über die nächtliche Kaiserhuldigung des Jahres 1900 hieß es beispielsweise in der Zeitschrift »Wiener Bilder«, dass sie alle bisherigen Veranstaltungen dieser Art bei Weitem übertroffen habe. Gegenüber dem Burgtor war ein beleuchteter Obelisk aufgestellt worden, in der Innenstadt erstrahlte die Fassade des renommierten Geschäftshauses Haas & Söhne – und dann die absoluten Highlights: »Unter den Illuminationsobjecten ragte das Wiener Rathaus, das einem Märchenpalaste glich, in erster Reihe hervor; tausende von Glühlampen erglänzten auf dem Gebäude, das traumhaft schön aus dem dunklen Hintergrunde hervorleuchtete. Ueber dem Maria Theresia-Denkmale schwebte ein mächtiger Fesselballon, an dessen Gondel in weithin leuchtender Schrift die Zahl 70 hing, und von vier Seiten warfen gigantische Reflectoren ihr magisch weißes Licht auf das Wahrzeichen Wiens, den Stefansthurm. In prächtigen Farben erglänzte der Hochstrahlbrunnen auf dem Schwarzenbergplatze, dessen Gebäude in herrlichster Illumination erstrahlten. Recht originell war das Palais des Erzherzogs Eugen mit dem aus elektrischen Glühlichtern gebildeten Kreuze des deutschen Ritterordens geziert, und das Gebäude der Bodencredit-Anstalt in der Teinfaltstraße war gleichfalls ungemein effectvoll decorirt. Von den an der Donau gelegenen Schuckert-Werken aus wurden die derzeit in dem Strome ankernde Donauflottille sowie der Kahlenberg und Leopoldsberg mit riesigen Scheinwerfern beleuchtet.«
Es war die lichtmäßige Inbesitznahme der ganzen Stadt, die Massen an Besuchern anzog und eine regelrechte Lichteuphorie auslöste. Unmittelbar danach wurden bereits die ersten Erinnerungsbilder propagandistisch verbreitet und Ansichtskarten mit Nachtmotiven zum Verkauf angeboten. Die k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien hatte sich – wie nie zuvor – als strahlende Metropole des Lichts positioniert.
»Kein Fest mehr ohne Lichtfreude.« Dieses Motto sollte dann auch bei politischen Veranstaltungen der Zwischenkriegszeit zur Selbstverständlichkeit werden. Schon die Feier zur Eröffnung des für die Wiener Stromversorgung wichtigen Kraftwerks in Opponitz am 1. Jänner 1925 wurde von einer aufwändigen Lichtinszenierung begleitet. Diese verstand sich als politisches Statement für die wachsende Kraft der Sozialdemokratie und die Potenz einer Stadt, die eben erst zu einem eigenen Bundesland erhoben worden war. Im Zentrum des Spektakels stand die politische Machtzentrale, das Rathaus, welches an diesem Abend gleich zweimal (zwischen 17 und 18 Uhr sowie zwischen 20 und 21 Uhr) im Lichterglanz erstrahlte. Schon am Nachmittag setzte, so die »Neue Freie Presse«, eine »Völkerwanderung« Richtung Rathausplatz ein, ehe die eigentliche Lichtshow begann: »Da zerreißt der Lichtkegel eines auf dem Rathausplatze aufgestellten Scheinwerfers die Finsternis, taucht die Turmspitze und den eisernen Rathausmann in silberweißes Licht. Gleich darauf flammen auf dem Turm blendendweiße