Auf nach Wien. Peter Payer

Auf nach Wien - Peter Payer


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reißend. Und jetzt ist die ganze Fassade des Rathauses mit allen Türmchen, Arkaden und dem reichgegliederten Zierrat von Lichtern übersät, die wie Edelsteine funkeln. Auch von den beiden Ecktürmchen des Rathauses senden zwei Schweinwerfer Lichtbrücken zur Turmspitze hinauf, und der Himmel strahlt im Widerschein des funkelnden Palastes.«

      Die politisch der Stadtregierung nahestehende »Arbeiter-Zeitung« berichtete noch euphorischer und sprach von »Lichtzauber« und »Märchenpracht« und einem »Feenschloß«, das »zauberhaft und unwirklich wie ein Traumgebilde« schien. 3.000 Lampen waren aufgeboten worden, um das Rathaus derart schillernd zu inszenieren. Eigens hergestellte Werbefotos dokumentierten das neue Selbstbewusstsein des »Roten Wien«. Deutlich geht aus solchen Schilderungen der Reiz des Neuen und noch nie Gesehenen hervor. Erstmals waren Effekte in dieser Größenordnung technisch möglich und wirkten auf viele wohl deshalb geradezu überwältigend.

      Drei Jahre später, im November 1928, konnte die Wiener Bevölkerung ein noch aufwändigeres Lichtereignis bestaunen. Bei den Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag der Gründung der Republik Deutsch-Österreich erstrahlten der Stephansdom, das Rathaus und das Parlament in festlicher Beleuchtung. Gleichberechtigt wurde das religiöse Zentrum neben die beiden wichtigsten demokratischen Institutionen gestellt, womit man jene Eckpfeiler markierte, auf denen das politische System ideologisch ruhte. Mehrere Großscheinwerfer sowie Tausende Glühlampen ließen die Lichtinszenierung zum emotionalen Höhepunkt des Jubiläumsaktes werden. Erneut wurde das Ereignis auf unzähligen Festkarten abgebildet, wodurch es, neben der Enthüllung des Republikdenkmals auf der Ringstraße, zum bekanntesten Erinnerungsbild an diesen Gedenktag wurde.

      Wie zuvor schon für den Kaiser, war die Nacht auch für die Massenparteien zur begehrten Bühne geworden. Wobei die den Modernisierungsbestrebungen aufgeschlossenere Sozialdemokratie rasch neue Techniken übernahm. So verwendete sie schon im Wahlkampf in den 1920er-Jahren Leuchtreklamen, die in großen Lettern verkündeten: »Wir bauen weiter und wählen sozialdemokratisch«. Und auch der sozialdemokratische Kandidat des Bundespräsidentschaftswahlkampfes 1931 wurde nachts völlig neu, als überdimensionales, aus unzähligen Lichtpunkten zusammengesetztes Porträt präsentiert, mit der darunterstehenden Aufforderung: »Wählet am 18. Okt. Dr. Karl Renner«. Die elektrifizierte Großstadt der Moderne hatte ihre adäquate Lichtpolitik gefunden.

      Umgekehrt nutzten auch die Christlichsoziale Partei bzw. die Vaterländische Front die Möglichkeiten zur nächtlichen Selbstdarstellung. Als man im September 1933 den »Deutschen Katholikentag« beging, ein politisches und mediales Großereignis, bei dem Engelbert Dollfuß seine berühmte Rede am Trabrennplatz hielt, erstrahlte der Stephansdom als festlich beleuchteter Mittelpunkt der Stadt. Ein Jahr später, nach der Ermordung von Dollfuß, war der Trabrennplatz selbst Schauplatz einer gewaltigen Lichtmanifestation: Zum Gedenken an den Kanzler wurde ein Riesenfeuerwerk entzündet und sein Porträt mitsamt Kruckenkreuz und der Parole »JA ES WILL« in die Nacht gezeichnet. Die Bevölkerung selbst wurde aufgefordert, Kerzen in die Fenster zu stellen und in den Bergen Höhenfeuer zu entzünden.

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      Festbeleuchtung des Rathauses, 1928

      Im Unterschied zur Sozialdemokratie setzte das konservative Lager in seinen Lichtinszenierungen weit mehr auf die Magie des offenen Feuers als auf High-Tech-Performance. Dies zeigte sich besonders deutlich bei der Einweihung des »Österreichischen Heldendenkmals« im September 1934, der ersten großen Selbstdarstellung des austrofaschistischen Ständestaates. Die im Äußeren Burgtor errichtete Gedenkstätte zu Ehren der Gefallenen des Ersten Weltkriegs wurde mit einem sorgfältig inszenierten Lichtfest eröffnet: Zu beiden Seiten des Denkmals brannten »ewige Feuer«, die Fassade der Neuen Burg erstrahlte in Festbeleuchtung, die angrenzenden Reiterstandbilder von Erzherzog Karl und Prinz Eugen wurden im Lauf des Abends gleich zweimal mit bengalischen Feuern illuminiert.

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      Einweihung des Österreichischen Heldendenkmals am Heldenplatz, 1934

      Auch die im Jahr 1938 an die Macht gekommene nationalsozialistische Stadtregierung setzte massiv auf die propagandistische Kraft des Lichts. Zwar gab es in Wien keine Großinszenierungen wie in Berlin oder Nürnberg, wo Tausende Scheinwerfer zum Einsatz kamen und gewaltige »Lichtdome« in den Himmel projiziert wurden, ausgeklügelte Lichtdramaturgien fehlten aber keineswegs. Vor allem die Volksabstimmung am 10. April, die bis dahin wohl größte Propagandaschlacht in Österreich, später auch der 1. Mai sowie Hitlers Geburtstag boten Anlass für spezielle Nachtfeiern. Gebäude wurden mit Lichtbändern, zum Teil auch mit überdimensionalen Hakenkreuzen und Bannern geschmückt, die die Parole »Ein Volk. Ein Reich. Ein Führer« in die Nacht schrien. Und man verteilte Bildpostkarten, die das Hakenkreuz in Form einer aufgehenden Sonne vor bekannten Wiener Sehenswürdigkeiten zeigten, die damit in »neuem Licht« erstrahlten. Die politische Instrumentalisierung des Lichts erreichte ihren vorläufigen Höhepunkt.

      Realiter sollte die Stadt jedoch eher finsterer denn heller werden. Denn mit Fortdauer des Krieges und den zunehmenden Luftangriffen der Alliierten wurden strenge Verdunkelungsmaßnahmen angeordnet. Auf der Straße kamen kleine Petroleumlampen anstelle der bisherigen Beleuchtungskörper zum Einsatz, und immer öfter konnte man auf Plakaten die Warnung lesen: »Der Feind sieht dein Licht!«

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      Parlament, nationalsozialistische Propagandakarte, 1938

      Aufmerksamkeit mithilfe des Lichts zu erzeugen war zu einer tödlichen Gefahr geworden. Der Krieg hatte die gewohnten Wahrnehmungsmuster ins Gegenteil pervertiert. Es galt umzulernen. Erst in der Nachkriegszeit durfte man sich wieder öffentlich an der Kraft des Lichts erfreuen.

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      Kärntner Straße bei Nacht, Ansichtskarte, 1967

      NACHT OHNE FINSTERNIS

      Es war ein besonderer Eyecatcher, der mir – als frisch nach Wien Zugezogenem – in den 1980er-Jahren immer wieder auffiel: Die überdimensionalen Konturen des »Moulin Rouge« am Beginn der Kärntner Straße. Vor allem nachts stach die Leuchtreklame besonders ins Auge, thronte die rote Windmühle eindrucksvoll hoch über der Straße, strahlend und verlockend, und ein langgezogener Pfeil wies in jene Richtung, in der sich das berühmtberüchtigte Erotiketablissement befand. Seit den 1920er-Jahren trug das Nachtlokal in der Walfischgasse diesen klingenden, dem großen Pariser Vorbild nachempfundenen Namen – Inbegriff und Hotspot des Wiener Nachtlebens bis in die jüngere Zeit. Und so war es wohl auch kein Zufall, dass die bekannten »Geilomobil«-Fotos des späteren Bundeskanzlers Sebastian Kurz noch im Jahr 2010 genau vor dieser Location aufgenommen wurden.

      Ein für die Kulturgeschichte Wiens hoch aufgeladener Ort also, dessen Fassadenwerbung wohl wert gewesen wäre, erhalten zu werden. Umso größer war sodann die Enttäuschung, dass diese eines Tages – es muss Mitte der 2000er-Jahre gewesen sein – verschwand. Unwiederbringlich, denn kein Museum hatte sich dafür interessiert, keine privaten Interessenten hatten sich gefunden. Heute undenkbar! Das Bewusstsein für die Erhaltenswürdigkeit von Leuchtreklamen und Stadtbeschriftungen hat sich nicht zuletzt dank so verdienstvoller Initiativen wie dem 2012 gegründeten Verein Stadtschrift oder dem Grafiker und Ghostletters-Vienna-Rechercheur Tom Koch nachhaltig gewandelt. Werbebuchstaben stehen mittlerweile hoch im Kurs, sind begehrte Sammlerstücke, im musealen Bereich genauso wie am privaten Kunstmarkt.

      Gerade Wien hatte und hat hier so einiges zu bieten. Ein Blick zurück zu den Anfängen der Lichtwerbung im öffentlichen Raum verdeutlicht dies, in jene Zeit, als die immense Suggestivkraft der nächtlichen Stadtbeschriftung noch frisch und neu war.

      »Alles glüht in Licht. Alles strahlt. Der Himmel mit seiner fernen Sternenpracht ist versunken. Aber die Straßen glitzern wie riesige Schaufenster eines Juweliers und locken mit farbigen Strahlen. Alles ruft, bittet, befiehlt.« Der österreichische Schriftsteller Gustav von Felsenberg staunte im Spätwinter 1935


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