Sprachliche Bildung und Deutsch als Zweitsprache. Kristina Peuschel

Sprachliche Bildung und Deutsch als Zweitsprache - Kristina Peuschel


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zuschreibend den sprachlichen Kompetenzen mehrsprachiger Kinder und Jugendlicher zuzuwenden, ist die weiter oben bereits erwähnte Verwendungsweise der Kürzel L1 = language one für Erstsprache, L2 = language two für Zweitsprache und L3 bis Ln für Dritt- und Folgesprachen. Die Mehrdeutigkeit des Begriffs Deutsch als Zweitsprache in seiner didaktischen Dimension, aber auch in seinem Gebrauch als zuschreibungsintensive Personencharakterisierung soll in der Diskussion über die in diesem Band dargestellten Konzepte und Methoden eine erweiterte, migrationspädagogisch orientierte Reflexion anregen, wie sie z.B. von Dirim (2015b), Dirim/Pokitsch (2017) und anderen Autor*innen gefordert wird. Die Frage, was das Fach Deutsch als Zweitsprache eigentlich sei, kann nur multiperspektivisch beantwortet werden (Wegner/Dirim 2018), wofür die fachgeschichtliche Beschäftigung besonders bedeutsam ist (ebd., darin besonders die Beiträge von Adams 2018; Altmayer 2018; Ballis et al. 2018).

      Konzepte zur Sprachförderung und sprachlich-fachlichen Bildung

      Um die derzeit vorliegenden und unter hoher gesellschaftlicher Aufmerksamkeit diskutierten Konzepte von Sprachförderung und sprachlich-fachlicher Bildung in heterogenen Schulen besser einordnen zu können, sei noch einmal daran erinnert, dass der wissenschaftliche Diskurs um die Bedeutung von Sprache im Unterricht bereits seit den 1980er Jahren aus dem Kontext von Deutsch als Zweitsprache bekannt ist, auch wenn er vor allem nach den Ergebnissen der ersten vergleichenden Schulleistungsstudien wie PISA und DESI an Dynamik gewonnen hat (Ahrenholz 2017).

      Für die inhaltliche Ausgestaltung von Förderkonzepten und Maßnahmen der sprachlich-fachlichen Bildung gelten die jeweilige intendierte Zielgruppe (Schüler*innen im DaZ-Erwerb oder alle Schüler*innen), das vorhandene oder das angestrebte Sprachniveau (Zertifizierung von Sprachkompetenzen oder Übergänge in den Regelunterricht) und die schulorganisatorischen Möglichkeiten (additive und integrative Maßnahmen) als Orientierungsmerkmale. Eine für Lehramtsstudierende, Fachdidaktiker*innen, Ausbilder*innen im Referendariat und praktizierende Lehrkräfte wichtige Frage ist stets die nach einer praktikablen Unterrichtsmethodik sprachlich-fachlichen Lernens für konkrete Lerngruppen, zu konkreten fachlichen Themen und mit spezifischen fachlichen Aufgabenstellungen. Während für den sprachsensiblen Fachunterricht sowie die Sprachbildung im Fach in jüngster Zeit zahlreiche Vorschläge erarbeitet wurden, deren (weitere) Evaluation und Implementierung nun ansteht (Ahrenholz/Hövelbrinks/Schmellentin 2017; Albus/Frank/Geier 2017; Beese et al. 2014; Budke/Kuckuck 2017b; Horváth/Peuschel 2017; Leisen 2016; Oleschko/Weinkauf/Wiemers 2016; Pertzel et al. 2016; Tajmel/Hägi-Mead 2017), stellt sich parallel dazu verstärkt die Frage nach Fachorientierung in der sprachlichen Vorbereitung von neu zugewanderten Schüler*innen und in der beruflichen Bildung.

      Die große Mehrheit der Methoden entstammt dem Repertoire der Fremd- und Zweitsprachdidaktik bzw. der allgemeinen Sprachdidaktik Deutsch, angereichert um die besonderen Bedarfe der Fächer. Innovatives Potential steckt in Konzeptionen der aktiven Förderung von Mehrsprachigkeit, die nicht allein die prestigereichen europäischen Fremd-, Zweit- und Drittsprachen umfassen, sondern auch die sprachlichen Ressourcen von Schüler*innen berücksichtigen, die bisher in Deutschland deutlich weniger Anerkennung erfahren. In der Verbindung von mehrsprachigkeits- und fachorientiertem Lehren und Lernen liegt hohes schulisches und gesellschaftliches Innovationspotential (Mehlhorn 2017) (siehe auch 2.4 in diesem Studienbuch).

      Die Passgenauigkeit und Effizienz spezifischer methodischer Herangehensweisen muss jedoch vor dem Hintergrund des Systems Schule bewertet werden, d.h. in der Verbindung von Bildungs(biographie)forschung, Schulentwicklung und Unterrichtsentwicklung für den Bereich sprachlich-fachlichen Lernens und sprachlicher Heterogenität in seiner oben angesprochenen Vielfalt. Insbesondere gilt es auch zu bedenken, dass Unterricht überwiegend als Fachunterricht organisiert ist und gerade für Sprachförderung und Sprachbildung in den Sekundarstufen die Perspektiven der Fächer und ihrer spezifischen Anforderungen berücksichtigt werden müssen. Erst in dieser Zusammenschau kann sich das Potential der bereits angewandten und noch zu entwickelnden Maßnahmen und Konzeptionen sprachlich-fachlicher Bildung für die Teilhabe und Leistungsentwicklung ein- und mehrsprachiger Kinder und Jugendlicher im Schulsystem entfalten. Im folgenden Abschnitt werden nun einige etablierte Konzepte kurz vorgestellt, die in unterschiedlichem Maße auf die Berücksichtigung fachspezifischer Anforderungen abzielen.

      Vorbereitender Sprachunterricht für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache

      Zur sprachlichen Erstausbildung von schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen ohne bzw. mit geringen Deutschkenntnissen wird in den meisten Bundesländern Sprachunterricht angeboten. Dieser Unterricht findet in ‚Willkommensklassen‘ (Berlin), ‚Deutschklassen‘ (Bayern), ‚Vorbereitungsklassen‘ (Baden-Württemberg), ‚Seiteneinsteigerklassen‘ (NRW) etc. statt. Der Sprachunterricht folgt keinem bundeseinheitlichen Curriculum, hier haben die Bundesländer die Hoheit zur Verschriftlichung curricularer Anforderungen, zur Festlegung von Lern- und Kompetenzzielen und zur Festlegung von Übergangsregelungen aus der sprachlichen Vorbereitung in den Fachunterricht der jeweils altersentsprechenden Schulstufe. Während einige Bundesländer bereits seit mehreren Jahren in Lehrplänen und Curricula Lerninhalte und angestrebte Lernfortschritte für den Sprachunterricht DaZ festschreiben (z.B. Sachsen und Bayern), sind in anderen Bundesländern verbindliche curriculare Vorgaben für den vorbereitenden DaZ-Unterricht recht junge Entwicklungen (z.B. Niedersachsen und Baden-Württemberg).

      Sprachförderung/Sprachbildung

      Die große Aufmerksamkeit für Sprache in Bildungskontexten hat in Verbindung mit einer stärkeren Wahrnehmung unterschiedlicher Zielgruppen unter anderem zur Unterscheidung von Sprachförderung und Sprachbildung geführt. Dabei erfahren Sprachförderung, wie einleitend bereits benannt, vor allem solche Kinder und Jugendliche, die diagnostisch abgesichert Entwicklungsrückstände im Bereich sprachliche Kompetenzen (Deutsch) aufweisen. Hierfür werden den Schulen in der Regel besondere finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. Sprachbildung hingegen sollen alle Kinder und Jugendlichen alltags- und fachintegriert erfahren. In ihrer intensiven Diskussion der Herkunft und Verwendungsweisen beider Begriffe definiert Jostes (2017) sie abschließend wie folgt:

      Sprachbildung (bzw. sprachliche Bildung) ist als ein Oberbegriff zu verstehen, der alle Formen von gezielter Sprachentwicklung umfasst. Sprachbildung zielt darauf ab, die Sprachkompetenzen aller Schülerinnen und Schüler zu verbessern, unabhängig davon, ob sie in Deutschland aufgewachsen oder neu zugewandert sind. Sprachbildung findet im Sprach- und Fachunterricht statt […].

      Sprachförderung bezeichnet eine spezielle Form von Sprachbildung. Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche mit sprachlichen Schwierigkeiten, z.B. Geflüchtete, die Deutsch als Zweitsprache erlernen. Sprachförderung erfolgt sowohl im Regelunterricht als auch in gezielten Förderstunden […]. (Ebd., 118)

      LRT – Linguistically Responsive Teaching

      Aus dem US-amerikanischen Kontext, aber auch aus Australien, Kanada und Großbritannien, werden immer wieder Modelle aufgegriffen und auf ihre Umsetzbarkeit im deutschsprachigen Schulsystem hin diskutiert. Das Modell des LRT – Linguistically Responsive Teaching (Lucas/Villegas 2013) stellt ein umfassendes Modell des sprachförderlichen Unterrichts im Fach dar, das die Unterstützung des individuellen L2-Erwerbs im Blick hat. Es werden zentrale Voraussetzungen benannt, die Lehrkräfte für die Planung und Umsetzung eines sprachlich verantwortungsvollen und sprachlich förderlichen Unterrichts benötigen. Zu diesen Voraussetzungen im Modell des LRT gehören soziolinguistische Bewusstheit, die Wertschätzung der sprachlichen Vielfalt und ein Gefühl von Zuständigkeit für die Lernerfolge und persönliche Entwicklung der Zweitsprachlernenden im Unterricht, die im Fall von LRT Englisch als Zweitsprache erwerben. Zusätzlich benötigen Lehrpersonen eine Reihe von komplexen Wissensbeständen und Kompetenzen, die LRT ermöglichen, so die Kompetenz, die sprachlichen Anforderungen der einzelnen Fächer identifizieren zu können, Wissen über die bildungsbiographische und sprachliche Herkunft der Schüler*innen, Wissen über unterstützende Maßnahmen im Unterricht sowie Techniken der kontinuierlichen Professionalisierung für das Unterrichten in heterogenen Klassen. Die eher reflexiven Aspekte von LRT verweisen auf die Einstellungen von Lehrer*innen


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