Sprachliche Bildung und Deutsch als Zweitsprache. Kristina Peuschel

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dieser Grundlage lassen sich theoretische Erkenntnisse nachvollziehen, komplexe Zusammenhänge kreativ durchdenken, ordnen und verständlich darstellen. Gruppen- und Partnerarbeit, Umgang mit neuen Medien und moderne Präsentationstechniken bereiten die Schülerinnen und Schüler auf das Hochschulstudium oder eine anspruchsvolle Berufsausbildung vor. Schülerinnen und Schüler der Oberstufe erwerben über Grundlagen in den einzelnen Fächern hinaus die Fähigkeit zu fächerübergreifendem und eigenständigem Lernen und eine vertiefte Methoden- und Sozialkompetenz; sie lernen, selbstständig, projektorientiert und interdisziplinär zu urteilen. (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg o.J.)

      Auf dem Weg zu diesen umfassenden Bildungszielen verbringen Schüler*innen viel Zeit in der Schule, Zeit, in der sie unter anderem von den in der Schule verwendeten Sprachen Gebrauch machen und in der sie kreativ denken, Sachverhalte ordnen und Wissen und Erkenntnisse verständlich darstellen, in der sie fachlich präsentieren oder auch fachübergreifend kompetent urteilen.

      Schule ist ein nationalstaatlich – im Falle Deutschlands zudem föderal – organisiertes System, in dem sich gesellschaftliche Verhältnisse einerseits spiegeln und andererseits reproduziert werden, in dem aber auch Potential für gesellschaftliche Veränderungen liegt. Das bundesdeutsche Schulsystem ermöglicht Kindern und Jugendlichen eine umfassende Bildung. Sie sind jedoch bis zur Vollendung einer Schullaufbahn oder bis zu einem bestimmten Alter auch dazu verpflichtet, am schulischen Unterricht teilzunehmen. Die dominante Sprache, der sich Kinder und Jugendliche während ihrer langen Schulzeit bedienen, ist die Sprache des Schulsystems, in unserem Falle Deutsch (mit Ausnahme bilingualer Schulen).

      In der Regel erhalten Schüler*innen in den OECD-Ländern „im Verlauf des Besuchs des Primar- und Sekundarbereichs I zusammen im Durchschnitt 7540 Zeitstunden Pflichtunterricht – zwischen 5720 Zeitstunden in Ungarn und fast dem Doppelten hiervon in Australien (11000 Zeitstunden) und Dänemark (10960 Zeitstunden)“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2016, 485). Durchschnittlich dauert der Primarbereich 6 Jahre (variierend zwischen 4 und 7 Jahren), der Sekundarbereich umfasst im Durchschnitt der OECD-Länder 3 Jahre mit einer Varianz von 2 bis 5 bzw. 6 Jahren (ebd., 487).

      Diese Vorbemerkungen sollen verdeutlichen, dass Maßnahmen von Sprachförderung und Sprachbildung stets in einem größeren Zusammenhang zu verorten sind – u.a. dem des Sprachgebrauchs im System Schule im Verhältnis zum individuellen Sprachgebrauch einzelner Schüler*innen.

      Der Diskurs um Deutsch als Zweitsprache und Sprachbildung in bestimmten Unterrichtsfächern einzelner Schularten, z.B. der geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer der Sekundarstufen I und II, die hier im Fokus stehen, ist unter anderem deshalb bedeutsam, weil das System Schule in Bezug auf die Entwicklung der sprachlichen (und fachlichen) Kompetenzen aller Schüler*innen, die für eine umfassende gesellschaftliche Partizipation notwendig sind, vor nicht geringen Herausforderungen steht.

      Das dominant und habituell monolingual deutschsprachige Schulsystem (Gogolin 2008) hat mit seiner mindestens neunjährigen Pflichtschulzeit und einer gesellschaftlich hoch relevanten Zertifizierungspraxis einen grundlegenden Einfluss auf die Biographien junger Menschen. Im Kontext gesellschaftlicher Heterogenität und unter den Voraussetzungen individueller Mehrsprachigkeit eines großen Teils der Schüler*innen ist es daher notwendig, über die Rolle sprachlicher Kompetenzen (im Deutschen) beim Durchlaufen des Schulsystems von Anfang bis Ende zu reflektieren. Individuelle Mehrsprachigkeit gilt inzwischen in einschlägigen Forschungsdiskursen zwar als Normalfall (Busch 2017), das Schulsystem wendet sich dieser Tatsache jedoch erst in jüngster Zeit zu. In einer vielfältig mehrsprachigen Gesellschaft kann davon ausgegangen werden, dass in jeder Schule auch Kinder und Jugendliche lernen, deren Sprachkenntnisse im Deutschen den schulischen Erwartungen nicht in jeder Hinsicht entsprechen. Wenn Lehrkräfte nun in konkreten Unterrichtssituationen als Hauptakteur*innen die Passung zwischen den fachlichen und sprachlichen Erwartungen einerseits und den individuellen Voraussetzungen der Schüler*innen andererseits herstellen sollen, werden zahlreiche Aspekte zur Rolle von Sprache(n) für das Lernen in den Fächern der Sekundarstufen I und II erkennbar. Um jedoch ausgewählte Fragestellungen ausgewählter Fächer in den Sekundarstufen auch kontextualisieren zu können, ist es notwendig, die vorhergehenden Schuljahre in ihrer Bedeutung für sprachliches und fachliches Lernen zumindest in Ansätzen zu betrachten.

      Die Rolle von Sprache(n) beim Schuleintritt und in der Primarstufe

      Der Eintritt in die 1. Klasse der Primarstufe erfolgt in der Regel im Alter von 6 bzw. 7 Jahren. Einschulungsuntersuchungen im Kindergarten zeigen den beteiligten Akteur*innen auf, in welchem Maße ein Kind auf die Anforderungen schulischer Bildung vorbereitet ist. Dabei sind neben motorischer und allgemeiner kognitiver Entwicklung im Regelfall die Kompetenzen eines Kindes in der deutschen Sprache ein wichtiges Kriterium. Bereits diese zentrale Scharnierstelle des Schuleintritts bewältigen mehrsprachig und einsprachig aufwachsende Kinder im selben Alter mit sehr unterschiedlichen Ausgangslagen und Voraussetzungen. Während die einen auf ein System treffen, das auf ihre Ausgangslage zugeschnitten ist, werden die anderen sowohl mit einem möglichen Förderbedarf als auch in einem Teil ihrer Potentiale nicht oder nicht ausreichend wahrgenommen.

      Aus Studien zum Wortschatzerwerb ein- und mehrsprachiger Kinder im Alter von 6 Jahren lassen sich diese sehr unterschiedlichen Ausgangslagen gut abbilden. Dabei ist sicher nicht die allgemeine Anzahl der den Kindern rezeptiv und produktiv zur Verfügung stehenden Wörter kleiner oder größer. Doch ist der Anteil der zur Verfügung stehenden deutschen Wörter bei monolingual deutschsprachig aufwachsenden Kindern durchschnittlich größer als bei mehrsprachigen, was für Letztere einen Nachteil in einem Unterricht darstellen kann, der lediglich auf Deutsch stattfindet.

      Im Alter von vier Jahren wird der Wortschatz eines Kindes noch zum größten Teil durch die Anzahl der Worte bestimmt, die seine Eltern gebrauchen. Denn erworben werden können nur Wörter, die im Umfeld verwendet werden. Auch in den ersten Schuljahren scheinen schulische Einflüsse für die Wortschatzentwicklung noch eine untergeordnete Rolle zu spielen. […] Unterschiede im Wortschatzumfang (d.h. der Anzahl der beherrschten Wörter) zeigen sich bereits im Vorschulalter. […] Der Allgemeine Deutsche Wortschatztest (Kiese-Himmel 2005) […] geht bei monolingualen Schulanfängern von einem produktiven Gebrauch von 5000–9000 Wörtern aus (der sog. Mitteilungswortschatz) und von 10000–14000 Wörtern, die verstanden werden (der sog. Verstehenswortschatz). […] Für die Aufnahme und Verarbeitung neuen Wissens und neuer Erfahrungen ist ein größerer Wortschatz von Vorteil. (Apeltauer 2008, 240)

      Es ist unbestritten, dass mehrsprachige Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedürfnissen und mit besonderen Kompetenzen in die Schule kommen. Diese unterscheiden sich allerdings, u.a. je nachdem, wie lange die Kinder schon Deutsch lernen, ob und inwieweit sie Schrifterfahrung in ihrer L1 [language one, Erstsprache, K.P./A.B.] haben und sie parallel in der L1 alphabetisiert werden. Wie einsprachig deutsche Kinder müssen sie die schriftliche Varietät der Sprache wie eine weitere Sprache erwerben, um sie zur Lösung komplexer Aufgaben und zum Erwerb fachspezifischer Kompetenzen zu nutzen. (Jeuck 2017, 281)

      Die vorhergehenden Zitate verdeutlichen wesentliche Elemente des Spracherwerbs in mehreren Sprachen und seine potentiellen Auswirkungen auf das schulische Lernen zum Beginn der Schulbiographie. Bringt ein Kind in eine Schuleingangsuntersuchung mehrere Sprachen mit, finden diese nicht immer Berücksichtigung bei der Erfassung und Beurteilung seiner kognitiven Entwicklung. Häufig werden mehrsprachige Kompetenzen eines beispielsweise bilingual aufwachsenden Kindes vor allem als Defizite in den Deutschkompetenzen diagnostiziert, die im Anschluss konkrete Auswirkungen auf den Schuleintritt haben können. Kempert et al. (2016) weisen in einem Forschungsreview, in dem Ergebnisse verschiedener Studien zur Rolle von Sprache(n) und Mehrsprachigkeit in Bildungskontexten zusammenfassend interpretiert werden, einen engen „Zusammenhang zwischen Sprachkompetenz und de[n] Rückstellungen von der Einschulung sowie der fachlichen schulischen Leistung“ nach (ebd., 157).

      Obwohl in den letzten Jahren eine Reihe von diagnostischen Verfahren entwickelt wurden, die die Mehrsprachigkeit von Kindern als Ressource aufgreifen und nicht ausschließlich Deutschkompetenzen testen (vgl. z.B. Redder/Weinert 2013 und Redder/Neumann/Tracy 2015), ist es doch bei der großen Vielfalt der Ausgangslagen weiterhin gegeben, dass eine Vielzahl mehrsprachiger


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