Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur. Manuel Caballero González

Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur - Manuel Caballero González


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den Becher in einem interessanten Artikel detailliert untersucht. Er ordnet ihn folgendermaßen ein: „Das Material, die Technik der Fertigung, die zu einem fast halbkugelförmigen fußlosen Becher zu ergänzende Gefäßform und die dekorative Ausstattung mit dem Ornament des doppelten Flechtbandes, mit der figürlichen Darstellung in flachem Relief und mit den diese erläuternden Beischriften an der Außenwandung reihen das Fragment ohne weiteres in die Gruppe der‘homerischen’ Becher der sogenannten megarischen Gattung der hellenistischen Reliefkeramik ein“48. Hier ist ein Bild des Bechers:

      

Abb. 1:

      Athamas mit dem Kind DionysosDionysos

      Etwas rechts von der Mitte des keramischen Fragments aus MegaraMegara, das dem deutschen Archäologen Ludwig Curtius gehörte, kann man den halb nackten Oberkörper eines Mannes mit Bart erkennen, der seine Hände nach links ausstreckt, wie um etwas zu empfangen. Durch seine Haltung ist er als Sitzender zu erkennen.

      Weitzman gibt zu, „were it not for the inscriptions it would be impossible to identify the fragment“49. Fuhrmann glaubt, sein muskulöser Körper und seine langen und vollen Haare „lassen an die Darstellung eines Gottes, dem Typus nach etwa an Zeus oder Poseidon, aber auch an einen König des griechischen Mythos denken“50. Um die Figur richtig zu identifizieren, sind die vier erhaltenen Inschriften sehr hilfreich; in ihnen ist Folgendes zu lesen51:

Unter dem Flechtband stehen zwei Zeilen:
I …?]ΔΙΟΝΥΣΟΝ ΟΝ ΠΑΡΑΘΗΜΑ ΤΡΑΦ[.... ...?]Ν ΗΡΑΣ.
Über dem verlorenen linken Teil steht:
II .]ΙΟΝΥΣΟΣ
Über dem Kopf des Mannes ist zu lesen52:
III ΑΘΑΜΑΣ
Rechts neben dem Kopf des Mannes stehen vier Zeilen:
IV ΣΟΦΟ[.....?]
ΤΙΑ [....?]
ΙΔ [....?]
Ω[.....?]

      Fuhrmann53 schlägt zunächst zwei mögliche Deutungen der Figur vor. Wenn die dritte Inschrift sich nicht auf die sitzende54 Person bezieht, seine Haltung beachtet wird und man annimmt, dass er DionysosDionysos empfängt, könnte der Titel des Bildes ‚Wiedergeburt des Dionysos durch Zeus‘55 lauten. In diesem Fall denkt man an die zweite Geburt von Dionysos: HermesHermes bietet Zeus das reife Kind an56. Man könnte sich auch vorstellen, dass sich das Bild nicht auf die zweite, sondern auf die erste Geburt bezieht; in diesem Fall hat Hermes das Kind von seiner verstorbenen Mutter geholt und bietet es Zeus an, damit er es in seinen Schenkel einnäht. Nachdem Fuhrmann eine große Anzahl der Darstellungen von Zeus und der Übergabe des Dionysos an seinen Vater analysiert hat, zieht er die Schlussfolgerung, „daß es nicht möglich ist, die Figur des Sitzenden frei von allen Zweifeln als Zeus bezeichnen zu können“57. Wenn man anderenfalls bedenkt, dass sich die Beischrift ΑΘΑΜΑΣ auf den Sitzenden bezieht, und dass er die Hände ausstreckt, um etwas zu empfangen, könnte der Zusammenhang ‚Überbringung des Dionysoskindes in die Obhut des Athamas durch Hermes‘58 betitelt werden. Fuhrmann entscheidet sich für diese Option und sie ist m.E. die beste Auswahl.

      Fuhrmann bemerkt, dieses Thema sei eines, „welches bisher durch keine antike Darstellung bekannt ist“59, wenn auch Lucas de Dios60 darauf hinweist, dass dieser Stoff von Athamas’ Mythos eine der bevorzugten keramischen Darstellungen war. Fuhrmann vermutet, dass dieses Motiv auch auf drei anderen Werken dargestellt worden ist: „Sie deutet nunmehr auch die Darstellung auf dem Karneol der Eremitage, auf dem Relief aus Santa Marinella und auch die auf dem etruskisch-rotfigurigen Stamnos aus Falerii auf die Überbringung des Dionysoskindes durch HermesHermes in die Obhut des Athamas“61. Athamas sieht Zeus in diesen Darstellungen ähnlich und seine sitzende Haltung weist ihn als König aus. Dies sind die Bilder von zweien dieser Darstellungen62:

      

Abb. 2:

      Stamnos aus Rom / Relief aus Budapest

      Fuhrmann erklärt, „die Themen des Bilderschmuckes der ‚homerischen‘ Becher sind, wie schon zu Anfang gesagt, griechische Mythen und Sagen, so wie diese durch die griechische Dichtung gestaltet sind“63. Der Becher mit Athamas kann da keine Ausnahme sein.

      Lloyd-Jones weist in seiner Einleitung auf den Zweck der Inschrift hin: „[It] has been thought to support this identification“64. Die Anfangsbuchstaben ΣΟΦΟ… gestatten zu behaupten, dass es um Sophokles geht65. Die sophokleische Tragödie, auf die sich die Darstellung dieser Vase bezieht, glaubt Fuhrmann66, dank dem Text von Apollodor67, als den ersten Athamas zu erkennen. Dementsprechend rekonstruiert Fuhrmann die vierte Inschrift folgendermaßen:

      ΣΟΦΟ[ΚΛΗΣ ΕΝ ΑΘΑ[Μ]

      ΤΙ Α[……?]68

      Fuhrmann folgert daraus: „Diese Ergänzung würde jedenfalls die Zurückführung des Bildes auf dem ‚homerischen‘ Becherfragment der Sammlung Curtius auf die Tragödie ‚Athamas α‘ des Sophokles völlig sicherstellen“69. Weitzmann aber meint, dass der ganze Becher mit Szenen aus der Tragödie von Sophokles bemalt war; eine von ihnen wäre die Übergabe des Kindes DionysosDionysos durch HermesHermes70. Radt ist sich diesbezüglich nicht sicher und schreibt: „Ad alteram fort. referendum est poculum ‘Homericum’ s. IIa“71. Weitzmanns Meinung kann man m.E. akzeptieren: hier wurde eine Szene aus einer der zwei Athamas-Tragödien von Sophokles dargestellt.

      Nun ist es aber schwierig, wie Radt andeutet, dieses Bild auf den zweiten Athamas von Sophokles zurückzuführen, weil alle Scholien der einhelligen Meinung sind, dass es sich bei dieser Tragödie um den Mordversuch an Athamas am Opferaltar durch Nephele und um die Rettung Athamas’ durch Herakles in extremis handelte. Es ist auch schwer zu verstehen, warum Nauck sagt, dass sich die Handlung des ersten Athamas um den bekränzten Aioliden drehte72: „Phrixo et Hellae Athamantis et Nephelae liberis struit nouerca Ino; Phrixus aureo ariete uectus Colchidem peruenit, Athamas morti destinatus seruatur per Herculem. Hoc fere Athamantis prioris argumentum fuerit“73. Seeliger in Roscher und Escher in Pauly-Wisowa folgen auch diesen Gedanken74.

      Im Gegensatz zu diesen Autoren scheint es, dass Mette, Chrétien und Lucas de Dios den Vorschlag der vorliegenden Arbeit teilen. Mette behauptet tatsächlich, dass es sich bei dem zweiten Athamas um Athamas’ Bestrafung durch Nephele und um die Rettung Athamas’ durch Herakles handelte; „demgegenüber könnte sein erster ‚Athamas’ (daraus frg. 1) denselben Stoff zum Gegenstand gehabt haben wie das aischyleische Drama (frg. 4–10 werden ohne Distinktion aus ,dem Athamas’ des Sophokles zitiert)“75. Chrétien bestätigt: „Dans l’Athamas B de Sophocle, c’est Athamas qui est la victime de Néphélé devenue déesse“76. Lucas de Dios drückt sich so aus: „Respecto al Atamante II hay una mayor seguridad en base al testimonio de varias fuentes. Su argumento debía de tratar de la maquinación de Néfele en su intento por conseguir que su antiguo esposo pereciese, de lo que le salvará Heracles al comunicarle que su hijo Frixo estaba vivo“77.

      Wenn das richtig ist, sieht es so aus, als ob die Szene der megarischen Vase mit der I-L-M-Version zu tun habe, nämlich mit der Überreichung des Dionysos durch HermesHermes an Athamas (und Ino), damit das Kind gepflegt werde. In der Tat hält es Lucas de Dios für sehr wahrscheinlich, dass es bei dem ersten Athamas um Athamas’ Wahnsinn ging78.

      Fuhrmann zufolge würde in der


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