Camerarius Polyhistor. Группа авторов
Camerarius Polyhistor
Wissensvermittlung im deutschen Humanismus
Thomas Baier
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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© 2017 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-8233-0037-3
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Vorwort
Joachim Camerarius d.Ä. ist bei Klassischen Philologen vor allem als PlautusPlautus-Herausgeber und als SophoklesSophokles-Kommentator bekannt und geschätzt. Doch war Camerarius nicht nur Philologe, sondern er, der das Wissen seiner Zeit überblickte, verstand sich einerseits als Vermittler von Bekanntem, andererseits als Anreger und Ermunterer, die Quellen der antiken Überlieferung nach Unbekanntem zu durchsuchen und im damals neuen Medium des Drucks zu erschließen. Der vorliegende Sammelband gibt davon einen Eindruck. Die meisten Aufsätze sind erweiterte Fassungen von Vorträgen, die anlässlich des 17. Symposiums der Reihe NeoLatina an der Universität Würzburg gehalten wurden (2.–4. Juli 2015). Das Colloquium gab den Anstoß zu einem größeren Projekt, mit dem das Ziel verfolgt wird, das Gesamtwerk des Camerarius bibliographisch und in groben Zügen inhaltlich zu erfassen. Der erste Beitrag enthält eine kurze Projektskizze der im Entstehen begriffenen Werkbibliographie. Die übrigen Studien widmen sich der Frage der Wissensvermittlung im deutschen Humanismus. Camerarius ist ein Polyhistor, der auf allen Wissensgebieten seiner Zeit tätig war. Er gab griechische und lateinische Autoren heraus und kommentierte sie, er verfasste eigene Dichtungen, er publizierte fakultätsübergreifend auf den Gebieten der Philosophie, der Theologie und der Medizin. Sein Werk enthält Schriften zur Historiographie und Biographie, zu Mathematik und Astronomie/Astrologie, zu Prodigien und Mantik. Camerarius legte umfangreiche Arbeiten zu Rhetorik, Grammatik und Lexikographie vor und fertigte eine lateinische Übersetzung der kunsttheoretischen Schriften des von ihm hochgeschätzten Albrecht DürerDürer, Albrecht an. Schließlich hat er ein gewaltiges Briefcorpus hinterlassen. Nicht zuletzt dieses erweist ihn, modern gesprochen, als einen ‚Netzwerker‘ und ‚Wissenschaftsmanager‘. Mit den hier vorgelegten Studien wird eine Schneise in das breite Œuvre des Humanisten geschlagen und der Versuch unternommen, sein wissenschaftliches Antlitz abzubilden. Das Zeitalter der Digitalisierung hat den Zugang zu den gedruckten Werken des 16. Jahrhunderts erleichtert. Es ist nunmehr an der Zeit, diesen immensen Fundus für die Frühneuzeitforschung weiter nutzbar zu machen.
Das Würzburger Symposion wurde durch die großzügige Unterstützung der Fritz Thyssen-Stiftung für Wissenschaftsförderung ermöglicht. Die Stiftung Pegasus Limited, St. Gallen, hat einen namhaften Druckkostenzuschuss gewährt. Beiden Förderinstitutionen schuldet der Herausgeber größten Dank.
Die Herstellung der Druckvorlage hat Dr. Tobias Dänzer übernommen. Ihm sei an dieser Stelle für seine Sorgfalt gedankt. Dank gebührt schließlich dem Narr Francke Attempto-Verlag und seinem Lektor Tillmann Bub, der die Reihe in bewährter Manier betreut.
Würzburg, im September 2017 Thomas Baier
Opera Camerarii. Eine semantische Datenbank zu den gedruckten Werken von Joachim Camerarius d.Ä. (1500–1574)
Thomas Baier, Marion Gindhart, Joachim Hamm, Sabine Schlegelmilch, Ulrich Schlegelmilch (Würzburg)
Joachim Camerarius d.Ä. gilt als „einer der vielseitigsten und einflußreichsten Gelehrten des deutschen Protestantismus des 16. Jahrhunderts“, der seinem Freund Philipp MelanchthonMelanchthon, Philipp mit allem Recht an die Seite gestellt werden kann.1 Seinem außerordentlich umfangreichen und breiten Œuvre widmet sich das Projekt „Opera Camerarii“, das am 1.1.2017 an der Universität Würzburg die Arbeit aufgenommen hat und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft für drei Jahre gefördert wird. Die beteiligten Wissenschaftler aus der Klassischen Philologie, Germanistik und Frühneuzeitforschung, der Medizingeschichte und den Digital Humanities2 werden die gedruckten Werke des Camerarius sichten und in einer semantischen Datenbank erschließen. Ziel ist dabei nicht nur, diese Werke erstmals vollständig zu verzeichnen und zu erfassen, sondern vielmehr auch, die diversen Konstellationen und Denkräume zu eruieren, die ein solches Gesamtwerk ermöglicht haben. Mit Hilfe einer differenzierten Datenbankstruktur und der Vergabe definierter Attribute lassen sich die Entstehungs- und Wirkungskontexte, in denen die Opera Camerarii zu verorten sind, abbilden und für weitere konstellationsanalytische Forschungen nutzen.
Die Ausgangslage: Stand der Forschung und Erschließung
Ungeachtet seiner Wertschätzung als „hervorragendster deutscher Philologe des 16. Jahrhunderts“ nach ErasmusErasmus von Rotterdam, Desiderius von Rotterdam1Stählin, Friedrich hat Joachim Camerarius d.Ä. in der Forschung nicht die entsprechende Aufmerksamkeit gefunden. Eine aus den Quellen gearbeitete Gesamtdarstellung seiner Vita, die über die Leichenrede seines Leipziger Kollegen FreyhubFreyhub, Andreas (1574) und über die neueren (Kurz)biographien2 hinausginge, fehlt bis heute.3 Ähnlich lückenhaft ist der Forschungsstand zu seinem Œuvre, das sich auf über 880 Drucke (bis zum Jahr 1700, mit Neuausgaben) in lateinischer bzw. griechischer Sprache verteilt und durch seine Vielfalt beeindruckt: Camerarius besorgte Editionen und Kommentierungen vor allem antiker Autoren, er übersetzte aus dem Griechischen und Deutschen ins Lateinische, er schrieb Lehrbücher für den Sprach- und Rhetorikunterricht sowie pädagogische Abhandlungen, verfasste ein breites Spektrum an griechischen und lateinischen Dichtungen und ist Autor naturkundlicher, theologischer (insbesondere katechetischer), (kirchen-)historischer und biographischer Schriften. Als Beiträger ist er an zahlreichen Publikationen Dritter beteiligt, zudem ist von ihm ein großes, nur teilweise gedrucktes Briefcorpus erhalten.
Obwohl die Forschung seit jeher die Bedeutung des Camerarius als Philologe, als Polyhistor sowie als Schul- und Universitätsreformer4 erkannt hat, setzt sie sich mit seinem Gesamtwerk bisher nur selektiv auseinander.5 So liegen zu seiner Tätigkeit als Herausgeber, Kommentator und Übersetzer mehrere Einzelstudien, aber keine umfassende Darstellung vor: Beachtung gefunden haben u.a. die PlautusPlautus-Editionen,6 seine DürerDürer, Albrecht-Schriften und -Übersetzungen7 oder der SophoklesSophokles-Kommentar,8 daneben auch die vielfach aufgelegte Sammlung der Fabulae AesopAesopicae,9 die Interpretationen zu HomerHomer,10 die lexikalisch-terminologischen Hilfsmittel11 oder die Lehrbücher zur griechischen und lateinischen Sprache12. Aus der Vielzahl an Dichtungen hat das kleine Corpus der Eklogen eine überproportionale Aufmerksamkeit erfahren.13 Von weiteren Einzelstudien (etwa zu den NoricaCamerarius d.Ä., JoachimNorica sive de ostentis)14 abgesehen, ist der Großteil der Werke kaum ansatzweise untersucht. Ein Gesamtprofil zeichnet sich nur umrisshaft ab.
Vor diesem Horizont hat die neuere Forschung versucht, das unwegsame Terrain zu vermessen und Wege zu seiner Erschließung aufzuzeigen. Nach der Pionierarbeit von Frank Baron, dessen Sammelband wesentliche Impulse setzte,15 haben Rainer Kößling und Günther Wartenberg mit der Leipziger Tagung im Jubiläumsjahr 2000 die aktuelle Forschung gebündelt und neue Perspektiven eröffnet.16 Jüngste Publikationen gelten der Stellung des Camerarius in der Leipziger Universitätsgeschichte;17 neuere Lexikonartikel fassen den Forschungsstand zusammen und benennen Desiderate.18 Den Blick auf Camerarius’ Werkvielfalt jenseits der bekannten ‚Meilensteine‘ richtete schließlich die Würzburger Tagung „Camerarius Polyhistor“, welche 2015 die internationale Camerarius-Forschung zusammengeführt hat.
Trotz dieser intensivierten Bemühungen steht die Forschung weiterhin vor pragmatischen Schwierigkeiten: Sie sieht sich mit einem außergewöhnlich umfänglichen, thematisch vielfältigen und sprachlich nicht leicht zugänglichen Œuvre