Grenze als Erfahrung und Diskurs. Группа авторов

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/ ‚ausgrenzen‘, ‚begrenzt‘ (Territorium) / ‚unbegrenzt‘ (Solidarität).

      Es hebt die Dichotomie auf von exterritorialem und territorialem Raum, statt abgeschottet zu sein, kann ein (Flüchtlings)Lager als integraler Aufenthaltsort installiert werden. Der zwischen Migranten und Einheimischen liegende Raum kann wie die Horváthsche „Brücke“ ein Ort der Versöhnung statt der Trennung sein.

      Es rückt vor administratives, normatives Handeln111 individuelles, konkretes Verhandeln,112 vor prinzipielle Distanz113 individuelle Hilfsbereitschaft und Nähe.

      Es stellt die Kriminalität bzw. Kreativität von Lösungen zur Debatte wie: illegaler Grenzübertritt,114 gefälschter Pass,115 Erpressung und Aggression, physische Gewalt.116 Denn Gesetz produziert Gesetzesverstoß.

      Es wertet den pejorativen Begriff Schein-Ehe im Sinne einer Interessengemeinschaft auf. Die formaljuristische, auf Täuschung bzw. Betrug rekurrierende Auffassung von Schein-Ehe entbehrt einer belastbaren Nachweisbarkeit.117

      Seiner gezähmten Märchenhaftigkeit entkleidet, birgt die ethische Dimension des utopischen Schlusses ein Lösungs- oder Rettungspotential, das der Dramatiker 1933 im Rückgriff auf idealistische und individualistische Konzepte formulierte:118 Humanität. Seine „Absicht“, so Horváth 1933 gegenüber der Wiener Allgemeinen Zeitung, sei es zu zeigen, „ […] wie leicht sich durch eine menschliche Geste unmenschliche Gesetze außer Kraft setzen lassen.“119 Solidarität, „Schlüsselwort für das Spätwerk Horváths“120 und ‚conditio humana‘, provoziert, über wohlfeile Moralität hinaus, soziale Praxis.

      Die radikale Dimension des Stückes liegt in seinem Modellcharakter. Diesseits des konstruierten Happy Ends vollzieht sich ein Experiment auf Zivilität. Konfrontation, Unverständnis, Befremden, Irritation, Panik: Wie wenn es von Heinrich von Kleist stammte, überdeckt der Akt der Versöhnung fröhlich laut, was davor geradezu grausam vorangetrieben wurde. Die Grenzüberschreitung von Natur und Kultur legt bloß, wie fragwürdig die Emanzipation vom Naturzustand des Menschen ist.

      Das Konkrete, das Imaginäre und das Symbolische

      Über die Grenze in Gustav Reglers Erinnerungsbuch Das Ohr des Malchus

      Sikander Singh, Saarbrücken

      Während seiner späten Jahre als Reisender hat er viele Grenzen überquert. Der 1898 in Merzig an der Saar geborene Schriftsteller und Journalist, Kommunist und Renegat, Spanienkämpfer und Exilant Gustav Regler hat nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, das er in Mexiko erlebte, nicht mehr in die alte Heimat, das nunmehr befreite Deutschland, zurückgefunden. Darin gleicht sein Lebensweg denjenigen zahlreicher Intellektueller, die zwischen 1933 und 1945 die Einflusssphäre des sogenannten Dritten Reiches verlassen mussten, und denen die Fremde zwar nicht zur Heimat wurde, die Heimat aber zur Fremde.

      Das für die emigrierten Schriftsteller Problematische hat nicht nur in der Forschung vielfach Beachtung gefunden, auch in Romanen und Erzählungen, Gedichten und Dramen sind diese Erfahrungen und ihre literarischen wie lebensweltlichen Konsequenzen reflektiert worden.1 Gerade vor diesem Hintergrund zeigt sich jedoch in dem Leben, das Gustav Regler in den Nachkriegsjahrzehnten führte, ein besonderes Moment, das einer Betrachtung wert ist. Dieser Beitrag wird deshalb zunächst einleitend über den Lebensweg des Schriftstellers nachdenken, um nachfolgend einige Gedanken zu seinem 1958 erstveröffentlichten, autobiografischen Lebensroman Das Ohr des Malchus zu entwickeln.

      Nachdem Regler im Jahr 1933, unmittelbar nach dem Reichstagsbrand, auf der Flucht vor der Gestapo über Worpswede und das Saargebiet – wie im Vertrag von Versailles geregelt, war das Industriegebiet an der mittleren Saar seit 1920 ein Mandatsgebiet des Völkerbundes –, nachdem Regler solchermaßen nach Paris emigrieren musste, war Europa für ihn zu einem Kontinent voller Grenzen geworden. Seine Internierung im Pyrenäenlager Le Vernet als Enemy Alien, als eine Konsequenz aus dem Kriegseintritt Frankreichs im Herbst 1939, dokumentiert dies ebenfalls sehr deutlich. Aber auch Mexiko, wohin er, gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau Marie Luise Vogeler, im Jahr 1940, mit einer Zwischenstation in den Vereinigten Staaten von Amerika, ausreisen konnte, erwies sich als ein begrenzter Ort. Hier musste er zwar nicht um sein Leben fürchten, aber die Reisemöglichkeiten waren aufgrund der politischen Situation wie aus finanziellen Gründen limitiert. Die Befreiung Deutschlands und Europas durch die Alliierten im Jahr 1945 bedeutete deshalb für ihn, wie für viele Emigranten, eine Befreiung aus dem Ort des Exils.

      Vor allem zeigt sich diese wieder gewonnene Freiheit in den Reisen, die der Schriftsteller in den folgenden Jahren durch Europa, Nord- und Südamerika, Asien und Afrika unternommen hat. In einer Welt, in der die politischen und ideologischen Konflikte, die sein Leben über viele Jahrzehnte bestimmt haben, überwunden sind, wird er zu einem Ruhelosen, für den die Reise von Ort zu Ort, über Ländergrenzen und Kontinente zu der einzigen Lebensform wird, die noch möglich ist – gleichsam als wäre die wiederholte Erfahrung der Flucht zu einem Teil seiner Person und seines Wesens geworden. Exemplarisch wird dies in einem späten Brief greifbar, den er am Weihnachtsmorgen des Jahres 1962, also nur wenige Wochen vor seinem Tod, in Beirut verfasste und an seine Schwester Marianne Regler-Schröder sandte:

      […] wir sind im privaten Wagen eine Woche durch Griechenland gefahren, waren oben in Delphi beim Orakel, fuhren über den Golf von Korinth nach Olympia, waren im uralten Mykenä und kamen über den Isthmus zurück nach Athen, wo wir am Abend das Flugzeug nach Cypern und hier nahmen. Den Weihnachtsabend verbrachten wir in der Luft (was Dir wohl einen Schauder einjagt – solche Heiden! Aber beruhige Dich; der Flugkapitän wünschte alle halbe Stunde von seiner Kabine in allen Sprache[n], auch der von Homer und Sophokles, Merry Christmas, und das Radio war voll von Chorälen und über unserm Abendessen hing eine silberne Glocke mit weissbestreuten Tannenzweigen

      Ich benutze den frühen Morgen in der Sonne des Mittelmeers, wo man Delphine springen sieht auf alte griechische Weise, Euch unsere Neujahrgrüsse zu senden.

      […]

      Unsere nächste Adresse ab 3. I. für mindestens den ganzen Januar ist

      American Express

      New Delhi / India. […]2

      Indem er zu Weihnachten, Fest der deutschen Innerlichkeit, an seine Familie in Merzig denkt und schreibt, aber zugleich mit dem Flugzeug von Griechenland über Cypern, den Libanon und die arabische Halbinsel nach Indien unterwegs ist, dokumentiert der Brief das Spannungsverhältnis zwischen der Erinnerung an die Heimat (und das mit ihr Verlorene) und den fortwährenden Grenzverschiebungen, die seine Existenz nunmehr bestimmen.

      Weil Regler in den Jahren seines mexikanischen Exils einer Kultur begegnete, in welcher sich die ihm seit seiner Kindheit vertraute katholische Religion mit Traditionen und Riten der indianischen Kulturen durchmischte, vermochte das Fremde durch diesem inhärente Momente des Bekannten eine Faszination zu erlangen, die den Schriftsteller – zu einem Substitut für die verlorene Heimat werdend – zu einem Reisenden machten, der fortan auf der Suche war nach dem Eigenen im Fremden und Anderen. Er lebte während dieser späten Jahre in der unausgesprochenen, aber vergeblichen Hoffnung, im Transitorischen etwas Vertrautes zu finden und indem er beständig unterwegs war, bleiben zu können.

      Seinen Tod als ein Sinnbild dieser Lebensform zu begreifen, ist nicht nur deshalb naheliegend, weil Regler sich – gemeinsam mit seiner dritten Ehefrau Margaret Paul – auf einer Studienreise durch Indien befand, als er am Nachmittag des 14. Januar 1963 starb. In seiner Autobiografie, die seit den 1940er Jahren in verschiedenen Arbeitsphasen und Fassungen entstanden ist,3 interpretiert er das eigene Leben einerseits im Sinne einer Zeugenschaft jener politischen Entwicklungen, Umbrüche und Verwerfungen, welche die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmt haben. Andererseits erhebt der Text seine Biografie zu einem exemplarischen Lebensweg für die Verlusterfahrungen und Verunsicherungen des Menschen in der Moderne. Die These von der Sinnbildhaftigkeit seines Todes ist also ein Nachklang jener Verschränkung von gelebter Erfahrung und Literatur, die in der Erzählung seiner Lebensgeschichte programmatisch angelegt ist.

      Diese metaphorische Dimension des 1958 von Kiepenheuer und Witsch in Köln verlegten Erinnerungsbuches wird auch in dem Diskurs über die Grenze sichtbar, von dem das Werk strukturiert


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