Jean Genet und der revolutionäre Diskurs in seinem historischen Kontext. Sara Izzo

Jean Genet und der revolutionäre Diskurs in seinem historischen Kontext - Sara Izzo


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ein neues Beziehungssystem vormals unsichtbarer Relationen. Die auf einem System geregelter Unterschiede und Streuungen konstituierte diskursive Formation postuliert auf rein diskursimmanenter Ebene jene von Bourdieu als „système des écarts“15 beschriebene Singularität unterschiedlicher feldspezifischer Positionen bzw. Stellungnahmen und ihre Beziehung zueinander.

      Trotz dieser Ähnlichkeiten in Hinblick auf die Relationalität von Aussagen bzw. Stellungnahmen beleuchten beide Theorien eine unterschiedliche Auffassung von diskursiven Korrelationsräumen, denen sie sich aus unterschiedlichen Perspektiven nähern. Dies zeigt sich unter anderem an Bourdieus Kritik an Foucaults diskursstrukturellem Erklärungsprinzip. Während Bourdieu Foucaults „Feld der strategischen Möglichkeiten“ analog zu seinem eigenen Verständnis eines „Raumes von Möglichkeiten“ in Form eines epochen- und kulturspezifischen intellektuellen Bezugssystems deutet, distanziert er sich jedoch ansonsten prinzipiell von dessen Grundsätzen.16 Anders als Bourdieu behauptet, ist das „Feld der strategischen Möglichkeiten“ bei Foucault jedoch noch keine épistème an sich, sondern eine Beschreibungs- und Identifikationskomponente einer diskursiven Formation:

      Et lorsque, dans un groupe d’énoncés, on peut repérer et décrire un référentiel, un type d’écart énonciatif, un réseau théorique, un champ de possibilités stratégiques, alors on peut être sûr qu’ils appartiennent à ce qu’on pourrait appeler une formation discursive.17

      Foucault beschreibt vielmehr „ce système à quatre niveaux, qui régit une formation discursive et doit rendre compte non de ses éléments communs mais du jeu de ses écarts, de ses interstices, de ses distances – en quelque sorte de ses blancs, plutôt que de ses surfaces pleines“18, basierend auf der oben beschriebenen Streuung von Diskursgegenständen, Diskurstypen und Diskurskonzepten, als jene Positivität, die er in L’archéologie du savoir dann als historisches Apriori konzeptualisiert.19 Die Systematisierung bestimmter Aussagenmengen zu diskursiven Formationen formt einen begrenzten Kommunikationsraum, einen

      espace relativement restreint, puisqu’il est loin d’avoir l’ampleur d’une science prise dans tout son devenir historique, […] mais espace plus étendu cependant que le jeu des influences qui a pu s’exercer d’un auteur à l’autre, ou que le domaine des polémiques explicites.20

      Die Kommunikation erfolgt Foucault zufolge über die Positivität der Aussagen, welche durch das Konzept des historischen Apriori beschreibbar wird. Die von Bourdieu evozierte épistème schlägt sich in ebendiesem von Foucault beschriebenen Positivitätsparadigma von Aussagen nieder, dem gegenüber die Aussagenproduzenten keinerlei Bewusstseinsvermögen haben, wie Foucault im Folgenden verdeutlicht:

      Les œuvres différentes, les livres dispersés, toute cette masse de textes qui appartiennent à une même formation discursive, – et tant d’auteurs qui se connaissent et s’ignorent, se critiquent, s’invalident les uns les autres, se pillent, se retrouvent, sans le savoir et entrecroisent obstinément leurs discours singuliers en une trame dont ils ne sont point maîtres, dont ils n’aperçoivent pas le tout et dont ils mesurent mal la largeur – toutes ces figures et ces individualités diverses ne communiquent pas seulement par l’enchaînement logique des propositions qu’ils avancent, ni par la récurrence des thèmes, ni par l’entêtement d’une signification transmise, oubliée, redécouverte; ils communiquent par la forme de positivité de leurs discours. Ou plus exactement cette forme de positivité (et les conditions d’exercice de la fonction énonciative) définit un champ où peuvent éventuellement se déployer des identités formelles, des continuités thématiques, des translations de concepts, des jeux polémiques. Ainsi la positivité joue-t-elle le rôle de ce qu’on pourrait appeler un a priori historique.21

      Das Feld strategischer Möglichkeiten dient der eigentlichen Analyse von Aussagen und der Konstituierbarkeit von Diskursen, wohingegen das historische Apriori auf die Realitätsbedingung von Aussagenpräsenzen abzuheben versucht. Innerhalb des Kommunikationsraums bleibt das historische Apriori für die in ihm befindlichen Aussagenproduzenten eine unreflektierbare Variable.

      Bourdieu deutet Foucaults „champ de possibilités stratégiques“ insofern seinem eigenen Ansatz entsprechend, als darin kein Werk „en dehors des relations d’interdépendance qui l’unissent à d’autres œuvres“22 existiere, kritisiert aber an Foucaults Ansatz die absolut autonome Struktur jener von ihm als Möglichkeitsfeld gedeuteten épistème.23 Durch Foucaults Annahme der Autonomie und Transzendenz des Systems würden nämlich „les oppositions et les antagonismes qui s’enracinent dans les relations entre les producteurs et les utilisateurs des œuvres considérées“24 in den Ideenhimmel verlagert. Die von Foucault diagnostizierte Autoreferentialität des diskursiven Systems verwehre die Berücksichtigung möglicher Veränderungen, „à moins de lui accorder une propension immanente à se transformer, comme chez Hegel, par une forme mystérieuse de Selbstbewegung.“25 Bourdieu hingegen versteht den Raum der Möglichkeiten als ein für die Akteure eines Feldes verschiedene Problemstellungen und intellektuelle Orientierungspunkte bereithaltendes System, dessen Dynamik nicht alleine im Bereich der Stellungnahmen liegt, sondern der Positionierung der einzelnen Akteure zukommt. Bourdieu verknüpft folglich in seiner Feldtheorie verschiedene theoretische Methoden miteinander, wie er selbst erklärt:

      C’est ainsi que l’on peut conserver tous les acquis et toutes les exigences des approches internalistes et externalistes, formalistes et sociologistes en mettant en relation l’espace des œuvres […] conçu comme un champ de prises de position qui ne peuvent être comprises que relationnellement, à la façon d’un système de phonèmes, c’est-à-dire comme système d’écarts différentiels, et l’espace des écoles ou des auteurs conçu comme système de positions différentielles dans le champ de production. […] Ainsi se trouvent d’emblée résolus plusieurs problèmes fondamentaux et en premier lieu le problème du changement.26

      Triebfeder der Veränderung ist bei Bourdieu das Subjekt als Produzent von Diskursen, womit er sich bewusst von Foucault abgrenzt und sowohl der Pluralität und Konkurrenz von Ordnungsstrukturen zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt, als auch der historisch bestimmten prozessualen Transformation derselben Rechnung trägt.27 Tatsächlich betrachtet Bourdieu die Akteure als aufeinander einwirkende Kräfte im Feld, wodurch sich eine konfliktive Grundsituation zwischen jenen die Feldstruktur stützenden einerseits und jenen sie destabilisierenden Elementen andererseits abzeichnet. Das durch den Raum der Möglichkeiten festgelegte Universum der Probleme, der Bezugnahmen, der intellektuellen Orientierungspunkte verbindet die Akteure einer Epoche, wobei Bourdieu jene epochenmarkierende Kategorie in einem frühen Text von 1966 vermittels des Konzeptes des kulturellen Unbewussten noch anders definiert.28 Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt konstatiert er den Rekurs auf einen Kodex von Gemeinsamkeiten in Problemen, Tagesfragen, Denkstilen und Wahrnehmungsformen innerhalb eines Feldes in einer bestimmten Epoche, jedoch überwiegt hier die implizite kulturelle Basis einer stillschweigend vorausgesetzten Axiomatik der Verständigung und des Fühlens, welche die Grundlage der „intégration logique d’une société et d’une époque“29 instituiert. Bourdieu unterscheidet zwischen den stillschweigend vorausgesetzten und den ausdrücklich postulierten Credos, welche den Bodensatz epochenspezifischer Stellungnahmen konstituieren. In der Entwicklung seiner theoretischen Axiome invertiert er dann die Prädominanz beider die Epoche charakterisierenden Komponenten: Nicht mehr das kulturelle Unbewusste als Verinnerlichung geistiger Schemata, sondern die gemeinsame Problematik in Form der Gesamtheit der Stellungnahmen unifizieren eine Epoche: „Ce qui fait l’unité d’une époque, c’est moins une culture commune que la problématique commune qui n’est autre chose que l’ensemble des prises de position attachées à l’ensemble des positions marquées dans le champ.“30 Mit anderen Worten: Die Einheit einer Epoche wird durch den gemeinsamen Raum der Möglichkeiten konstituiert. Die in diesem Zitat postulierte Präponderanz der gemeinsamen Problematik gegenüber der Kultur zeigt, dass Bourdieu sich stärker auf die diskursiv manifeste Zirkulation des gemeinsamen Kodex einer Epoche, Gesellschaft oder Generation konzentriert als auf jene Bewusstseinskategorie, die man mit Assmann als identitätssichernde, mentale Disposition bezeichnen könnte, nämlich der

      in gemeinsamer Sprache, gemeinsamem Wissen und gemeinsamer


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