Sprachen lernen in der Pubertät. Heiner Böttger
der PubertätPubertät. Ein großes Bestreben Jugendlicher ist, selbstbewusst und somit gelassen aufzutreten. Dies prägt sich auch im Sprachgebrauch aus (vgl. Kap. 2).
Eine kleine Drüse im Zentrum des Gehirns, die Epiphyse oder auch ZirbeldrüseZirbeldrüse genannt, produziert das HormonHormon Melatonin, das den Tag-Nacht-Rhythmus steuert. Während der Wachstumsphase erzeugt es jedoch bei pubertierenden Jugendlichen Müdigkeit gleich einem Jetlag, d.h. in vielen Fällen mit einer Verzögerung von bis zu zwei Stunden gegenüber den „normalen“ Zeitabläufen (vgl. Sambanis 2013: 86).
Dies erklärt die jugendliche Tendenz, länger aufbleiben zu wollen. Der Abbau des HormonsHormon geschieht wiederum mit gleicher Verzögerung, was morgendliche Müdigkeit und Schlafmangel zur Folge hat. Auf diesen Umstand sind institutionalisierte Bildungseinrichtungen nicht eingestellt, sie verlegen sogar teils den Unterrichtsbeginn wegen organisatorischer Notwendigkeiten (Busfahrpläne etc.) noch weiter in den frühen Morgen. Neben sich unweigerlich einstellenden Konzentrationsmängeln, die sich nicht nur auf das Sprachenlernen auswirken, sind erhöhte Reizbarkeit und Anfälligkeit für depressive Stimmungen (vgl. 3.2.1 und 3.3.5) erheblich lernkontraproduktiv.
Kortex
Die zerebrale Reorganisation wird in Untersuchungen mit EEGElektroenzephalographie (Elektroenzephalographie) ebenfalls deutlich. Dabei können zunehmende kognitive Fähigkeiten in der AdoleszenzAdoleszenz in Studien zur neuropsychologischen Intelligenzforschung mit Fokus auf die MyelinisierungMyelinisierung des präfrontalen Kortex belegt werden (Tamnes et al. 2010, 2012). Mit fortschreitender Adoleszenz zeigt sich beim Vergleich von Wellenfrequenzen eine starke Tendenz zur LeistungsfähigkeitLeistungsfähigkeit des StirnlappensStirnlappen und damit der Effizienz kognitiver Funktionen des beinahe Erwachsenen. Messbar ist gleichzeitig eine Abnahme des Glucose-Stoffwechsels, die diese Entwicklungsrichtung unterstützt (vgl. Spear 2010: 7).
1.3 Genderunterschiede
Die MyelinisierungMyelinisierung verläuft bei jungen Männern und Frauen bis zum Alter von etwa 18 Jahren leicht unterschiedlich ab und nivelliert sich dann in etwa. Abb. 8 verdeutlicht dies grob. Von erheblichem Interesse dabei ist der Umstand, dass sich dieser Prozess besonders in den für die SprachverarbeitungSprachverarbeitung verantwortlichen Hirnarealen niederschlägt. Lese- und SchreibkompetenzenSchreibkompetenzen wie auch feinmotorische Fähigkeiten, z.B. Handschrift, entwickeln sich ganz erheblich früher und schneller bei Mädchen. Diese Unterschiedlichkeit gleicht sich ab 18 Jahren dann aus, wenn nicht vorher eine genderspezifische Stigmatisierung stattfindet (vgl. Böttger 2016: 96).
Genderabhängige MyelinisierungMyelinisierung
Die Aktivität in den beiden Hemisphären verdient ebenfalls Berücksichtigung bei der Unterstützung und Planung von Lernprozessen bei Jugendlichen: Im Alter von 14 bis 17 Jahren sind deutliche Unterschiede nachweisbar. Sie bestehen bei Mädchen vor allem in der klar effizienteren, funktionell symmetrischer organisierten Aktivierung der Hirnhälften zur Lösung sprachlicher Aufgaben. Obwohl das weibliche Gehirn durchschnittlich 13 Prozent kleiner und leichter ist, kann es insbesondere durch die beidseitige Aktivierung der Hemisphären 20 bis 30 Prozent mehr Hirnanteile für Sprache erschließen (vgl. Harasty et al. 2000: 404f.). Dies gilt insbesondere für die Sprachwahrnehmung, auch für außersprachliche Zeichen. Jungen nützen, wenn auch viel eingeschränkter, ebenfalls die rechte Hemisphäre, da ihnen sonst wesentliche Sprachinformationen verschlossen bleiben.
Auch EmpathieEmpathie kann sich durch den Miteinbezug entsprechender ArealeAreale bei Mädchen früher ausprägen, was beim metaphorischen Lesen sichtbar wird. Jungen hingegen verwenden stärker eine einzige Hirnhälfte, sie arbeiten hypothetisch demnach mit nur einer einzigen Aufgabenstellung effizienter (Böttger 2016: 87).
1.4 Verändertes SchlafverhaltenSchlafverhalten
Während der PubertätPubertät ändert sich bei den Jugendlichen der Schlaf-Wach-Rhythmus ganz erheblich. Diese Veränderungen führen dazu, dass, wie gesagt, der übliche frühe Beginn der Schul- und Ausbildungszeiten oft durch Müdigkeit und Passivität geprägt ist (vgl. Scheidt et al. 2000). Der Grund dafür liegt vor allem im nächtlichen Schlafdefizit, das wiederum von einem späteren Zubettgehen als in der Kindheit herrührt. Jungen sind davon häufiger betroffen als Mädchen, außerdem nimmt es in der AdoleszenzAdoleszenz stetig zu (ebd.).
Speziell zu Beginn der PubertätPubertät, etwa im Alter von zehn bis elf Jahren und noch vor den ersten sichtbaren physischen Veränderungen (vgl. Sadeh et al. 2009), verschiebt sich das SchlafverhaltenSchlafverhalten schubartig. Zunächst geschieht dies etwa um durchschnittlich 50 Minuten Richtung Mitternacht. Dazu reduziert sich die durchschnittliche Schlafdauer um 40 Minuten, später dann um bis zu zwei Stunden (vgl. Hansen et al. 2005). Nächtliche Aufwachphasen betreffen in dieser Zeit vor allem Jungen, weniger Mädchen. Es ist anzunehmen, dass sich die pubertätsrelevanten neuronalen EntwicklungenEntwicklung in psychischer wie physischer Hinsicht früher an der Schlaforganisation als an körperlichen Veränderungen diagnostizieren lassen. Unregelmäßiges Schlafverhalten, wie z.B.
Einschlafschwierigkeiten und langes Wachliegen,
morgendliche Aufwachprobleme sowie
überlanges Ausschlafen bis in den Nachmittag an Wochenenden,
ist eine erste Beobachtung, die vor allem Eltern machen und beurteilen können sollten. Dieses veränderte SchlafverhaltenSchlafverhalten ist in der Phase der PubertätPubertät jedoch kontraproduktiv: Wo wegen der großen physischen Veränderung eigentlich Erholung und Schlaf notwendig wären (vgl. Randler et al. 2009), wird nächtliches Aufbleiben als erwachsen empfunden. Neben diversen, kontrollierbaren Gründen für spätabendliches Agieren (späte Hausaufgaben und Lernphasen sowie Internetkonsum) gibt es einen rein biologischen Grund für das mangelnde Müdigkeitsgefühl.
Das HormonHormon Melatonin, auch „DunkelhormonDunkelhormon“ (vgl. 1.2.4) genannt, wird bei Lichtmangel bzw. einsetzender Dunkelheit ausgeschüttet. Es sendet das Signal zum Müdewerden an den Körper. Der Spiegel erhöht sich individuell unterschiedlich nachts bis auf das Zwei- bis Dreifache. Während der PubertätPubertät geschieht dieser Vorgang individuell deutlich verzögert (vgl. Carskadon et al. 1998), das Einsetzen von Müdigkeit erfolgt verspätet.1
Im in der Regel gegen 8 Uhr morgens beginnenden Schulunterricht wirkt nun die innere Uhr gegen das vorgegebene Programm, für die Jugendlichen ist es subjektiv beurteilt noch nachts bzw. sehr früh morgens vor dem eigentlichen Aufstehen. Vergleichbar ist der körperliche Zustand zu dieser Zeit mit dem Jetlag-GefühlGefühle eines Flugreisenden nach Asien. Mangelnde LeistungsfähigkeitLeistungsfähigkeit, lange Reaktionszeiten, Lustlosigkeit (Drake et al. 2003), Launenhaftigkeit, HyperaktivitätHyperaktivität, Nervosität, Konzentrationsmangel und gedankliche innere Emigration, passives Verhalten, kurze Einschlafphasen sind die Folge, was dann wiederum zu schlechteren schulischen Leistungen und Leistungsnachweisen führen kann (vgl. Randazzo et al. 1998; Wolfson/Carskadon 1998). Negativ beeinflusst werden durch das sich aufbauende Schlafdefizit die nachschulischen Zeiten am Nachmittag bzw. Abend. Vorbereitungen aller Art auf den kommenden Tag werden deshalb zunehmend erschwert (vgl. Mercer et al. 1998), es kommt zu einem buchstäblichen Teufelskreis mit der Tendenz einer psychisch-physischen Abwärtsspirale. Sie äußert sich in der Regel durch Mangelzeiten an Schlaf im Lauf der Woche und ausgiebigen kompensativen Schlafphasen an den Wochenenden.
Der Schlafbedarf ändert sich in der Lebensspanne deutlich, der ideale Schlafbedarf bei Pubertierenden liegt bei etwa 9,5 Stunden. Die zumeist unter der Woche nur erreichten sechs Stunden hingegen sind eindeutig zu wenig:
Verschobener Biorhythmus bei TeenagernTeenager
Die Konsequenzen für die Organisation und Struktur von Schule und Unterricht liegen buchstäblich auf der Hand: Biologische EntwicklungenEntwicklung und erhöhte schulische wie gesellschaftliche Anforderungen, inklusive