Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses. Nadine Treu

Das Sprachverständnis des Paulus im Rahmen des antiken Sprachdiskurses - Nadine Treu


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in den Zusammenhang mit μίξις und κρᾶσις stellt. Das Lexem ist nach der philonischen Argumentation nicht geeignet, die Entstehung verschiedener Sprachen zu beschreiben. Dafür hätte es Philons Ansicht nach treffendere Begriffe, beispielsweise τομή (Teilung/Schneiden), διανέμησις (Zuteilung/Austeilung) oder διάκρισις (Trennung) gegeben. Auf der physikalischen Ebene kann es sich nicht um eine Verwirrung handeln, sondern muss eine ähnliche Bedeutung haben wie Mengung und Mischung.12 Philon führt also in Conf § 183–195 neben ‚Verwirrung’ die weitere semantische Komponente des Lexems, ‚Zusammengießen‘, ein. Die Bedeutung entspricht nicht der der LXX. Hier kommt das Lexem neben Gen 11,9 noch an drei Stellen in 1 Sam (5,6.11; 14,20) vor und wird ausschließlich in der Bedeutung ‚Verderben/Verwirrung/Schrecken’ verwendet, nicht in der physikalischen und ursprünglichen Bedeutung der Zusammengießung. Philon greift hier vielmehr auf die stoische Lehre von den unterschiedlichen Verbindungsarten zurück.13 Bei den Stoikern wird σύγχυσις in physikalischem Zusammenhang gebraucht und verstanden.14 Philon selbst verwendet σύγχυσις 38mal in 14 unterschiedlichen Traktaten, wovon sich 16 Belege in Conf finden. Er benutzt das Lexem in unterschiedlichen Zusammenhängen und Bedeutungen, so dass keine einheitliche Semantik vorliegt.15 Am häufigsten wird es in ethischen Argumentationen gebraucht.16 Die unterschiedliche Verwendung des Lexems bei Philon zeigt, dass hier keine Begriffsbildung stattgefunden hat.17 Ein Begriff besteht aus „Wissenseinheiten“18, die „komplexe Sachverhalte bündeln“19; er gibt logische Ordnungen und Beziehungen wieder und ist klar und eindeutig.20 Dies trifft für die σύγχυσις bei Philon nicht zu. Das Lexem umfasst mehrere Sachverhalte, die sich auf unterschiedliche Themenbereiche (Mensch, Welt, Städte, Tugenden, Krieg, Gedanken, physikalische Vorgänge) beziehen, so dass mit σύγχυσις keine logische Ordnung wiedergegeben wird. Sie bündelt keine unabdingbar zusammenhängenden Phänomene und sie wird keinesfalls klar und eindeutig gebraucht.21 Entscheidend ist, dass Philon in seiner Argumentation in Conf § 183 ff zu vermitteln versucht, dass σύγχυσις in der Bedeutung ‚Zusammengießung‘ insoweit als Begriff fungiert, um zu verdeutlichen, dass die Sprache nicht das eigentliche Thema ist; tatsächlich definiert Philon σύγχυσις dort, wo eine solche Festlegung seine Argumentation stützen kann, in einer entsprechenden Art. Wenn Philon in Conf § 187 σύγχυσις als „φθορὰ τῶν ἐξ ἀρχῆς ποιοτήτων πᾶσι τοῖς μέρεσιν ἀντιπαρεκτεινομένων εἰς διαφερούσης μιᾶς γένεσιν“ (Auflösung der ursprünglichen Qualitäten durch ein Ineinanderwirken aller Teile zur Entstehung einer von jenen verschiedenen Qualität) beschreibt, definiert er σύγχυσις ad hoc als Begriff, weil dies für seine Argumentation zielführend ist.22 Im Fall von Conf will Philon zeigen, dass es sich bei der σύγχυσις nicht um eine Verwirrung handeln kann und in Gen 11 ‚Sprache’ nicht das eigentliche Thema sein kann. Da Philon selbst in lediglich zwei seiner Schriften – in Conf und in Aet – von der physikalischen Bedeutung von σύγχυσις ausgeht, wird deutlich, dass diese Begründung konstruiert ist; hier zeigt sich nicht die übliche philonische Semantik, sondern die stoische Fassung.

      Indem Philon in Conf Laster und Tugenden als das eigentliche Thema des Pentateuchtextes herausgestellt, ordnet er die Sprache der Ethik nach. Dies zeigt sich auch zu Beginn des Traktats. Die philosophische Interpretation, von der Philon in Conf § 1 spricht, konkretisiert sich in einer ethischen: „σκεπτέον δὲ ἑξῆς οὐ παρέργως, ἃ περὶ τῆς τῶν διαλέκτων συγχύσεως φιλοσοφεῖ“ (es soll nunmehr sorgfältig erörtert werden, was er [der Gesetzgeber] durch die Erzählung von der Sprachverwirrung philosophisch zum Ausdruck bringen will). Grund für diese Argumentation Philons ist der Ausgangspunkt des jüdischen Denkens, dass Gott niemals unethisch handelt. Da es sich in Gen 11,1–9 allerdings um ein Strafhandeln Gottes und somit um ein unethisches Verhalten Gottes handeln müsste, kann nach Philon im Zentrum des Genesistextes nicht die Verwirrung/Trennung der menschlichen Sprache stehen. Aus diesem Denken heraus vertritt Philon die Ansicht, dass Sprache figural als Tugenden und Laster zu verstehen ist.23 In Conf finden wir ein Beispiel für einen rationalistisch-theologischen Erklärungsversuch.

      Philon begründet also anhand zweier Aspekte seine ethische Auslegung des Textes und stellt dar, dass Sprache keinesfalls das eigentliche Themas des Genesistextes sein kann. Zum einen erfolgt dies durch die Analyse des Lexems σύγχυσις, das er in Conf als unzutreffend für die Trennung der menschlichen Sprachgemeinschaft bestimmt. Zum anderen durch die Aussage, die Argumentation philosophisch angehen zu wollen. Er argumentiert also semantisch und philosophisch.

      Da Philon offensichtlich nicht daran interessiert ist, den atl. Text in Bezug auf das Thema ‚Sprache’ auszulegen, stellt sich die Frage, warum dieser Traktat dennoch herangezogen werden kann und soll, um das philonische Sprachverständnis darzustellen. Grund hierfür ist, dass Philon in Conf § 9–13 Aussagen über Sprache trifft, obwohl er diese im weiteren Verlauf nicht zum zentralen Thema seiner Auslegung macht. Die genannten Paragraphen können als eine Vorabinformation vor der eigentlichen allegorischen Auslegung angesehen werden. Sie zeigen die Auseinandersetzung mit den Gegnern, die die Perikope des Turmbaus zu Babel unmittelbar auf Sprache beziehen. Deshalb sieht er sich aufgefordert, sich mit dieser, ihm vordergründig nicht zusagenden, Interpretation wenigstens in einigen Paragraphen auseinanderzusetzen und deutlich zu machen, dass dies für ihn nicht der zentrale Aspekt des Textes ist.

      Die Gegner Philons sind also der Grund, weshalb er sich in Conf § 9–13 über Sprache äußert, indem er ihre Argumentation anführt.24 Deshalb soll diese Personengruppe ausführlich in den Blick genommen werden. Für ihre Charakterisierung besonders aufschlussreich sind Conf § 2–3:

      οἱ μὲν δυσχεραίνοντες τῇ πατρίῳ πολιτείᾳ, ψόγον καὶ κατηγορίαν αἰεὶ τῶν νόμων μελετῶντες, τούτοις καὶ τοῖς παραπλησίοις ὡς ἂν ἐπιβάθραις τῆς ἀθεότητος αὐτῶν, οἱ δυσσεβεῖς, χρῶνται φάσκοντες· ἔτι νῦν σεμνηγορεῖτε περὶ τῶν διατεταγμένων ὡς τοὺς ἀληθείας κανόνας αὐτῆς περιεχόντων; ἰδοὺ γὰρ αἱ ἱεραὶ λεγόμεναι βίβλοι παρ’ ὑμῖν καὶ μύθους περιέχουσιν, ἐφ’ οἷς εἰώθατε γελᾶν, ὅταν ἄλλων διεξιόντων ἀκούητε. καίτοι τί δεῖ τοὺς πολλαχόθι τῆς νομοθεσίας ἐσπαρμένους ἀναλέγεσθαι ὥσπερ σχολὴν ἄγοντας καὶ ἐνευκαιροῦντας διαβολαῖς, ἀλλ’ οὐ μόνον τῶν ἐν χερσὶ καὶ παρὰ πόδας ὑπομιμνῄσκειν; (Conf § 2–3)

      Diejenigen, die Unwillen gegen die väterliche Verfassung bekunden und unablässig Tadel und Klage gegen die Gesetze im Munde führen, finden – die Verworfenen – in dieser Stelle, wie in anderen ähnlichen, einen Anlass zu ihrem gottlosen Treiben, indem sie sagen: Wollt ihr noch jetzt mit Ehrfurcht von den Satzungen sprechen, als hätten sie zur Richtschnur die Wahrheit selbst? Seht, die von euch als heilig bezeichneten Bücher enthalten Fabeln, über dergleichen ihr euch lustig zu machen pflegt, wenn ihr sie von anderen hört. Jedoch wozu – wie im müßigen Suchen nach verleumderischen Einwänden – Fabeln sammeln, die an verschiedenen Stellen der Gesetzgebung zerstreut sind, und nicht vielmehr nur das erwähnen, was man gleich zur Hand hat? (Conf § 2–3)

      In Conf § 2 werden die Gegner Philons als „οἱ μὲν δυσχεραίνοντες τῇ πατρίῳ πολιτείᾳ“ bezeichnet. Folglich können die Adressaten, gegen die sich diese Ausführungen


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