Lehrwerksintegrierte Lernvideos als innovatives Unterrichtsmedium im fremdsprachlichen Anfangsunterricht (Französisch/Spanisch). Elena Schäfer
auf das Verständnis haben. Im Gegensatz zu inhaltsbezogenen Visualisierungen (e.g. Verbildlichung einer vorgetragenen Geschichte), die in direktem Zusammenhang zu dem Inhalt des Gesagten stehen, können kontextbezogene Visualisierungen (e.g. Visualisierung eines Sprecherwechsels) unter Umständen sogar negative Auswirkungen auf den Verstehensprozess des Rezipienten haben (cf. Ginther 2002, 134, 163).
Folglich sind Lernvideos, deren Bildmaterialien nicht in direktem Zusammenhang mit der Tonspur stehen, eher ungeeignet, um das fremdsprachliche Hörverstehen zu unterstützen. Das hier angeführte Beispiel (cf. Abb. 10) hat laut Titel und Inhalt die Karwoche in Spanien la semana santa zum Gegenstand, zu deren Anlass landestypische kirchliche Prozessionen stattfinden, die von der Bevölkerung begleitet werden. Wie anhand der Abbildung deutlich wird, gibt die Bildspur des Lernvideos jedoch lediglich Auskunft über den Sprecher, der im Großformat den Zuschauern zugewandt seinen Sprechertext vorträgt. Auch die im Hintergrund zu erkennenden Bilder stehen in keinerlei Zusammenhang mit dem Thema des Lernvideos. Dementsprechend stellt sich unweigerlich die Frage nach dessen Mehrwert gegenüber einem reinen Hördokument.
Abb. 10: Beispiel eines ungünstigen Lernvideos (Klink/Willenbrinck 2012) © Unión Europea, 1995–2016
Gerade die Simultanität visueller und akustischer Zeichen stellt in der Regel eine Unterstützung für Lernende dar, obgleich in Einzelfällen die Gefahr einer Überlastung nicht ausgeschlossen ist (cf. Hu/Leupold 2008, 58). Aufgrund der Tatsache, dass die im Lernvideo dargestellten Informationen tendenziell leicht nachvollziehbar sind, können eventuelle Verständnisschwierigkeiten durch nonverbale Komponenten ausgeglichen werden.
Im Unterschied zur rein auditiven Informationsaufnahme, bei der das Gehörte sprichwörtlich ‚zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinausgeht‘, bietet der zusätzliche Rückgriff auf nonverbale Zeichen die Möglichkeit, hör-sehend wahrgenommene Informationen sowohl sprachlich als auch bildlich zu speichern. Die zweikanalige Speicherung erweist sich aus lernpsychologischer Sicht als besonders einprägsam, zumal die visuellen Impressionen an den Hörtext gekoppelt sind und erheblich zu dessen Verständnis beitragen, indem sie die Kohärenz zwischen Bild und Text stärken. Um die Aufmerksamkeit der Lernenden zu erlangen, sind vor allem solche Bildmaterialien geeignet, die in direktem Bezug zu ihrer Lebenswelt stehen, eine emotionale Betroffenheit auslösen und somit deren Interesse und Neugierde wecken (cf. Gilmozzi 2002, 157). Bei der schulischen Arbeit mit audiovisuellen Materialien haben Bilder folglich „nicht nur eine illustrative, sondern [auch] eine bedeutungstragende Funktion“ (Sass 2007, 7). Dies wirkt sich wiederum positiv auf die Konzentration und Motivation des Lernenden aus und stimuliert grundlegende Sprachlernprozesse.
3.4 Didaktische Konsequenzen für den Fremdsprachenunterricht
Aufgrund der beschriebenen positiven Grundeinstellungen eignet sich die Arbeit mit fremdsprachlichen Lernvideos bereits ab dem ersten Lernjahr, da sie den Lernenden erste ästhetische Erfahrungen mit dem Medium Film ermöglicht und ein positives Erleben der Fremdsprache begünstigt, das im weiteren Laufe des Sprachlernprozesses für eine Vielzahl an Aktivitäten genutzt werden kann.
Generell kann das Lernvideo auf der Basis eines erweiterten Textbegriffs durchaus als Textsorte verstanden werden. Ähnlich der Buchlektüre sind daher auch bei der Arbeit mit audiovisuellen Materialien einige didaktische Leitlinien zu beachten, um eine Aktivierung des Lerners zu gewährleisten. Demzufolge müssen vor dem Videoeinsatz nicht nur entsprechende inhaltliche Schwerpunkte gesetzt, sondern auch mögliche Hemmschwellen entdeckt und abgebaut werden. Ergebnisse aus der Interkomprehensionsforschung zeigen in diesem Zusammenhang, dass „Leser Texte schon dann nicht mehr verstehen, wenn sie 30 % der Elemente nicht identifizieren können“ (Nieweler 2008, 3). Vergleichbares lässt sich auf das Verständnis von Hörtexten übertragen. Aus Lernersicht wird Hörverstehen aufgrund von Sprechtempo, Prosodie, Sprecheranzahl, unbekannter Lexik und Grammatik als besonders anspruchsvoll und schwierig empfunden, zumal die Verarbeitungszeit nicht wie bei Texten individuell bestimmt werden kann. Hinzu kommt, dass der zusätzliche Umgang und das Verständnis visueller Informationen durchaus einen gewissen Reifegrad erfordern (cf. Weidenmann 1988, 175).
Aufgrund der Tatsache, dass „Hör- und Sehdaten […] unterschiedliche Verarbeitungswege in unterschiedlicher Geschwindigkeit [durchlaufen], [tritt] eine Simultanisierung […] erst auf der Ebene der semantischen Verarbeitung ein“ (Meißner 2006, 264) (cf. Kap. 3.2). Umso wichtiger ist es, der fehlenden zeitlichen Koordination entgegenzuwirken und audiovisuelle Materialien didaktisch so aufzubereiten, dass das Hör-Seh-Verstehen bestmöglich unterstützt wird. Wie bereits angesprochen, kann dies u.a. durch die Bewusstmachung von Bildinformationen geschehen. Jeder Film hat eine ästhetische Bildsprache, die es zu entdecken gibt (cf. Müller 1991, 267). Die „Schulung des eigenen Sehens und die Kenntnis davon, wie Wahrnehmung durch Bildgestaltung im Film gesteuert wird“ (Grünewald/Küster 2009, 170), kann die Rezeption grundlegend beeinflussen. Darüber hinaus vermag das Einblenden deutsch- oder fremdsprachiger Untertitel sprachliche Schwierigkeiten zu überwinden und das Verständnis auf diese Weise um bis zu 30 % zu erhöhen (cf. Sass 2007, 7).1
Prinzipiell ist zu beachten, dass die Aufmerksamkeit der Rezipienten bereits nach fünf Minuten deutlich nachlässt. Daher ist es von grundlegender Bedeutung, die Filmrezeption auf wenige Minuten zu beschränken oder aber kurze Pausen einzuplanen, sodass sich die Aufmerksamkeit insbesondere bei längeren Sequenzen wieder erhöht. Aus didaktischer Sicht ist es besonders gewinnbringend, Szenen wiederholt vorzuführen, da bei der ersten Rezeption der Fokus in der Regel zunächst auf der Handlung liegt. Sprachliche Aspekte treten dagegen meist erst nach mehrmaligem Wiederholen in den Vordergrund. Szenen sollten allerdings nicht häufiger als drei Mal gezeigt werden, da ein erweitertes Textverständnis eher unwahrscheinlich ist (cf. Grünewald/ Lusar 2008, 226).
Etwaige Hemmschwellen oder Frustration im Verständnis können durch den Aufbau einer sogenannten Teilverstehenstoleranz vermieden werden. Den Lernenden muss bewusst gemacht werden, dass ein Wort-für-Wort-Verstehen selbst in der Muttersprache aufgrund von Nebengeräuschen oder anderen Störquellen nicht immer möglich ist. Umso wichtiger ist es, beim schulischen Aufbau der Hör-Seh-Verstehenskompetenz von Anfang an die Strategie (global, selektiv, detailliert) zu schulen, die dem zu Grunde liegenden Hör-Seh-Verstehensinteresse entspricht (cf. Nieweler 2008, 4sq.).
Um den didaktischen Forderungen Rechnung zu tragen, gilt es, aus dem derzeitigen Überangebot an audiovisuellen Medien eben jene auszuwählen, die dem Lernenden unter der Beachtung der genannten Variablen einen alters- und lernstandsgerechten Zugang zu dem Medium ermöglichen. Entscheidend ist dabei nicht zuletzt das filmästhetische Zusammenspiel akustischer und visueller Elemente (cf. Leupold 2007a, 225), auf deren Basis der Lerner mithilfe filmbegleitender Aktivitäten schließlich (meta-)kognitive Strategien entwickeln soll. Diese dienen dazu, den erworbenen Intake dahingehend zu fördern, dass durch die aktive Auseinandersetzung und Verarbeitung wiederum ein neuer, eigenständiger Input entsteht (cf. Meißner 2010, 33) (cf. Kap. 3.2).
4 Zur curricularen Stellung eines integrierten Hör-Seh-Verstehens als Teilfertigkeit des Sprachlernprozesses
In Anlehnung an den GeR sollen im Zuge des Fremdsprachenunterrichts die sogenannten vier Grundfertigkeiten (Lesen, Sprechen, Schreiben und Hören) systematisch erarbeitet und eingeübt werden. Der GeR unterscheidet prinzipiell zwischen rezeptiven Kompetenzen (Hören, Lesen) und produktiven Kompetenzen (Schreiben, Sprechen). Im Kontext der rezeptiven Sprachfähigkeiten hat sich das Hör-Seh-Verstehen in den letzten Jahren zu einem zentralen Begriff innerhalb der fremdsprachendidaktischen Diskussion entwickelt. Hör-Seh-Verstehen ist im GeR als Unterkategorie des Hörverstehens aufgeführt, wobei Hören als auditive rezeptive Aktivität und Hör-Seh-Verstehen als audiovisuelle Rezeption bezeichnet wird. Obwohl es sich auf den ersten Blick lediglich um eine Teilfertigkeit des Sprachlernprozesses handelt, hat die Kompetenz des Hör-Seh-Verstehens jüngst an enormer Bedeutung gewonnen und sich neben Lesen, Sprechen, Schreiben und Hören als fünfte zu erwerbende Fertigkeit der bildungspolitischen Rahmenrichtlinien etabliert (cf. Gilmozzi 2002, 153).
Dieses Kapitel hat zum Ziel, die bestehenden europäischen und nationalen Rahmenrichtlinien