Stil und Text. Michael Hoffmann
die auf ein bekanntes Kinderlied anspielt;
mit der Komponentenstruktur von PhraseologismenPhraseologismus (Redewendungen), z.B. mit der Reihenfolge von Komponenten: Tunnel am Ende des Lichts (Programmtitel des Kabaretts „Magdeburger Zwickmühle“); Schafe im Wolfspelz (Frankfurter Rundschau, 17.12.2012, Beilage S, 1);
mit der PolysemiePolysemie (Mehrdeutigkeit) von Lexemen (Systemwörtern) – wie in der Schlagzeile Zähes Ringen bei Olympia (Focus, Nr. 8/2013, 139). Die GestaltungsideeGestaltungsidee besteht darin, die Schlagzeile unter Ausnutzung der Polysemie des Lexems Ringen (1. ‚große Anstrengungen zur Lösung eines Problems‘; 2. ‚Ringkampf‘) mit textkommunikativer Mehrdeutigkeit (AmbiguitätAmbiguität) anzureichern, indem sich beide Bedeutungsvarianten überlagern. Im Haupttext erfahren wir sowohl vom Vorhaben des IOC, die Sportart Ringen (Bedeutungsvariante 2) ab 2020 aus dem olympischen Programm zu nehmen, als auch vom internationalen Ringen (Bedeutungsvariante 1) um den Erhalt dieser Sportart bei Olympia.
WortbildungsspieleWortbildungsspiel: Es handelt sich erstens um kreative Experimente mit der Konstituentenstruktur von Wortbildungskonstruktionen. Konstituenten werden
auf der Basis von Lautähnlichkeit ausgetauscht: Wochenschauer (Eulenspiegel, Nr. 9/2016, 65) statt Wochenschau; Hartz-Infarkt (Programmtitel des Kabaretts „Kartoon“) statt Herzinfarkt;
auf der Basis paradigmatischer Beziehungen im Wortschatz antonymischAntonym/antonymisch hinzugefügtHinzufügen: unorganisierte Kriminalität (Eulenspiegel, Nr. 6/2016, 40) statt organisierte Kriminalität;
auf der Basis des Wortbildungsmusters Zusammensetzung (Komposition) dekomponiert: Wahn & Sinn (Rubriktitel der Satirezeitschrift „Eulenspiegel“) statt Wahnsinn.
Spiele mit der Wortbildung haben zweitens ein spezielles Wortbildungsmuster hervorgebracht: die Kreuzung/Verschmelzung zweier Wörter (KontaminationKontamination). Das Wort Demokratur ist eine Kreuzung aus Demokratie und Diktatur, das Wort zwischendurst (Paulaner: Genuss für zwischendurst!) eine Kreuzung aus Durst und zwischendurch.
Wort-Bild-SpieleWort-Bild-Spiel: Kreative Experimente mit Wörtern und Bildern erstrecken sich zum einen auf die geistreiche VisualisierungVisualisierung von Wortbedeutungen (als Beispiel die Visualisierung von Wiege der Pferdezucht im vorhergehenden Teilabschnitt), zum anderen auf die Formung von Bildern aus Wörtern. In einer Edeka-Werbeanzeige sind 41 anpreisende Wörter, darunter Frische, Qualität und Leckerbissen, zu einem Bild geformt, das ein Herz darstellt.
TextmusterspieleTextmusterspiel: Gespielt werden kann auch mit den Mustern von TextsortenTextsorte. Auf diese Weise entstehen z.B. in der Werbekommunikation hybride Texte als Mischung von Werbeanzeige und Lexikonartikel (vgl. Sandig 1986: 201), von Werbeanzeige und Märchen (vgl. Fix 1997: 101), von Werbeanzeige und Kontaktanzeige (vgl. Keßler 1998: 279). Auch Einzeltexte wie der Dekalog (die Zehn Gebote) können die Struktur einer Werbeanzeige bestimmen (ebd.: 282).
NamenspieleNamenspiel: Sie können sprach- oder textspielerisch in Erscheinung treten. Der sprachspielerische Umgang mit Eigennamen aller Art (Personen-, Mannschafts-, Städtenamen usw.) zeigt sich z.B.
bei der Modifikation des SprichwortsSprichwort Unverhofft kommt oft. in der Schlagzeile Unverhofft kommt Ovtcharov (Potsdamer Neueste Nachrichten, 03.08.2012, 15), wo der Familienname eines Sportlers (Sportart Tischtennis) das Adverb oft ersetzt;
bei der Kreuzung des Mannschaftsnamens Hoffenheim (Kurzform) mit dem Wertadjektiv hoffnungslos in der Schlagzeile Neue Pleite für Hoffnungslosheim (Bild, 18.02.2013, 20), die auf eine Serie verlorener Fußballspiele Bezug nimmt;
bei der paradoxen ZusammenrückungZusammenrückung der Verbform bog (umgangssprachlich boch) und der Präposition um zum Städtenamen Bochum in der Titelzeile Ein Mönch Bochum die Ecke (Eulenspiegel, Nr. 4/2016, Sonderseiten Literatureule, 94), mit der ein Nonsens-Text, über die Entstehung des Städtenamens Bochum Auskunft gebend, überschrieben ist.
Ein Beispiel für den textspielerischen Umgang mit Personennamen liefert ein Exemplar der journalistischen TextsorteTextsorte Porträt (vgl. Hoffmann 2012a: 242). Der Text ist nach dem poetischPoetizität/poetisch-ästhetischen Muster AkrostichonAkrostichon strukturiert. Das heißt: Jeder Buchstabe des Vor- und Familiennamens der porträtierten Person (im Beispieltext Armin Mueller-Stahl) wird der Reihe nach zum Anfangsbuchstaben eines am Anfang eines Abschnitts stehenden Wortes. Die abschnittseröffnenden Sätze zum Vornamen Armin lesen sich in diesem NamenspielNamenspiel-Porträt so (vgl. Filmspiegel, Nr. 3/1962, 16): Am Anfang war die Begeisterung für das Theater. / Recht oft ging er mit den Kindern ins Theater. / Mueller-Stahl … Dieser Name ist heute in Theaterkreisen recht gut bekannt. / In Karl-Marx-Stadt bereitet seine Schwester Dietlind als Dramaturgin jede Neuinszenierung mit vor. / Neunzehnhundertneunundvierzig hatte Armin Mueller-Stahl sein Staatsexamen bestanden – als Musiklehrer!
Mit Sprach- und TextspielenTextspiel verbindet sich eine breite Palette an Funktionen und Wirkungen. Das Erzielen formbezogener Erträge ist lediglich eine Funktion unter vielen anderen (vgl. u.a. Poethe 2002: 26–29; Janich 2010: 211ff.).
1.3 Stil in einer Kosten-Nutzen-Relation
Ertragsorientierte Textproduktion und -rezeption – so hatten wir gesagt (siehe 1.1) – bedeutet Ausrichtung auf einen kommunikativen Gewinn, einen kommunikativen Nutzen. Hier lässt sich eine Brücke schlagen zu Rudi Kellers Kosten-Nutzen-Rechnung, die bei der Wahl sprachlicher Mittel aufzumachen sei (1995: 216–228). Mit dem Kostenaspekt werden die kommunikativen Anstrengungen geistiger und artikulatorischer Art erfasst, mit dem Nutzenaspekt mögliche Gewinne in dreifacher Hinsicht: Anstreben lässt sich ein informativer Gewinn (z.B. die Überzeugung des Textrezipienten), ein sozialer Gewinn (z.B. die Aufrechterhaltung einer Freundschaft) und ein ästhetischer Gewinn (z.B. der Unterhaltungswert des Gesagten). Wir erkennen in dieser Dreiteilung unschwer persuasiveErtragpersuasiver, sozialeErtragsozialer und formbezogene ErträgeErtragformbezogener wieder. Die Kosten, die ein Sprecher (Textproduzent) veranschlagt, können höher oder niedriger ausfallen. Höher sind sie, wenn er anstelle einer direkten eine indirekte Ausdrucksweise wählt. Dann ist zu fragen, was ihn dazu veranlasst, den kommunikativ unbequemeren Weg einzuschlagen. Rudi Keller gibt darauf folgende Antwort: „Der Sprecher wählt den indirekten Weg genau dann, wenn er ihn als den aussichtsreicheren beurteilt.“ (Ebd.: 218) Doch was ist eigentlich unter der Direktheit bzw. Indirektheit eines Wegs zu verstehen? Gemeint ist der Unterschied zwischen der Wörtlichkeit und der Nichtwörtlichkeit des Gesagten. Letzteres ist beispielsweise der Fall, wenn sich der Sprecher (Textproduzent) metaphorischMetapher/Metaphorisieren oder ironisch äußert. So kann sich eine metaphorische Ausdrucksweise als aussichtsreicher herausstellen, einen intellektuellen ErtragErtragintellektueller zu erzielen, eben weil sie es vermag, abstrakte Sachverhalte zu veranschaulichen. Metaphorik verlangt allerdings auch dem Hörer (Textrezipienten) höhere geistige Kosten ab, denn sie impliziert die an ihn gerichtete Aufforderung, „etwas als etwas anderes zu sehen“ (ebd.: 224). Eine ironische Ausdrucksweise kann sich als aussichtsreicher herausstellen, einen emotionalEmotionalität/Emotionalisieren-psychischen ErtragErtragemotional-psychischer zu erzielen, eben weil sie es vermag, die Bewertung von Sachverhalten als distanziert-spöttisch erscheinen zu lassen, etwa im Rahmen der journalistischen TextsorteTextsorte Glosse (vgl. Lüger 1995: 137ff.). Vom Hörer (Textrezipienten) wird bei dieser Form von Indirektheit erwartet, dass er sein Wissen einbringt, um die IronieIronie/Ironisieren zu erkennen. Es wird außerdem erwartet, dass er den SpottSpott als gerechtfertigt ansieht. Auch er hat also erheblich höhere Kosten, doch der mögliche Nutzen liegt auf der Hand: Der Text kann Vergnügen bereiten.
2 Definitionsmerkmale der Textkategorie Stil