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„Coco“ von Guy de Maupassant:
(4–4) Die Miststöcke waren gut gepflegt; die Hunde wohnten in Hundehütten, ein Volk von Geflügel spazierte im hohen Gras herum.
Zusammengenommen ergeben sich für Rastier aus diesen Formulierungen die Elemente ‚Ordnung‘ und ‚Überfluss‘, die allerdings in den einzelnen Wörtern nicht in dieser Weise als Bedeutungselemente enthalten sind. Dieses Beispiel zeigt im Übrigen, dass Greimas und Rastier Isotopie in letzter Konsequenz sehr abstrakt auffassen: Auch sehr allgemeine Motive, die aus einzelnen Aussagen abgeleitet werden können, gelten als Isotopieelemente, nicht nur enge semantische Beziehungen zwischen einzelnen Lexemen. Auf diese Weise kann ein isotopieschaffendes Element ein Bedeutungselement sein, das im Text nirgends ein Bedeutungselement eines konkret vorkommenden Lexems ist, das auch nirgends explizit ausgeführt wird, das aber im Hintergrund, in der Bedeutungstiefe des Textes alles zusammenhält, weil aus dem Zusammentreffen aller einzelnen Ausdrücke mit ihrer Textbedeutung ein solches Bedeutungselement als übergeordneter gemeinsamer Nenner sozusagen „herausdestilliert“ wird. In der Konsequenz scheint sich aus solchen Überlegungen zu ergeben, dass die Bedeutungselemente, welche als rekurrente Seme einen Text zusammenhalten, nicht direkt aus den Bedeutungen oder den vorgegebenen Konnotationen einzelner Lexeme „herausdestilliert“, sondern in der Lektüre durch den Leser als übergreifende thematische Zusammenhänge hergestellt werden. Damit entfernt sich der Isotopieansatz von der ursprünglichen, wortsemantischen Konzeption und nähert sich einem Ansatz, der die Herstellung von Textkohärenz als Herstellung übergreifender thematischer Kerninformationen versteht, wie sie im Abschnitt 4.5 behandelt werden.
4.2.2 Semrekurrenz und semantische KontiguitätKontiguität
Der Ansatz, dass textuelle Kohärenz zwischen Sätzen durch Bedeutungsbeziehungen, also SEMREKURRENZSemrekurrenz entsteht, ist über andere Entwicklungen auch in der deutschsprachigen Textlinguistik entwickelt worden. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die Analyse von Formen der PRONOMINALEN WIEDERAUFNAHMEWiederaufnahme im Text und ihrer Rolle als Bedingung von Textkohäsion durch Harweg (21979) (siehe ausführlich unter 3.1.2).
Bei der Herstellung derartiger Textbeziehungen können sehr verschiedenartige lexikalische Bedeutungsbeziehungen eine Rolle spielen, zum Teil mehr, als in einer Merkmalssemantik direkt dargestellt werden können (siehe Kleine Enzyklopädie 1983: 222, Heinemann/Viehweger 1991: 38):
SYNONYMIE (Bedeutungsähnlichkeit): Verstorbener – Leiche, Ehemann – Lebenspartner
HYPO-/HYPERONYMIE (Unter-/Überordnung): Familienmitglieder – Angehörige, Reh – Rotwild, Eichensarg – Sarg
KOHYPONYMIE (Bedeutungsverwandtschaft mit gleichem Oberbegriff): Filmdarsteller – Künstler, Täter – Krimineller
ANTONYMIE (Bedeutungsgegensatz): ausgraben – bestatten
PARAPHRASE (Umschreibung): Ehemann – die bessere Hälfte.
Über reine Bedeutungsverwandtschaft können auch logische und sachliche Beziehungen zwischen Ausdrücken, so genannte SEMANTISCHE KONTIGUITÄTEN textuelle Kohärenzbeziehungen stiften (Harweg 1968: 192ff., siehe auch Brinker 62005: 37f.):
LOGISCH (BEGRIFFLICH) BEGRÜNDETES KONTIGUITÄTSVERHÄLTNIS: Niederlage – Sieg, Aufstieg – Abstieg, Problem – Lösung
ONTOLOGISCH (NATURGESETZLICH) BEGRÜNDETES KONTIGUITÄTSVERHÄLTNIS: Blitz – Donner (Kausalverhältnis), Elefant – Rüssel (Teil-von-Beziehung), Kind – Mutter (biologische/soziale Beziehung)
KULTURELL BEGRÜNDETES KONTIGUITÄTSVERHÄLTNIS: Kirche – Turm, Haus – Tür, Krankenhaus – Chefarzt.
Ein Beispiel für Textkohärenz aufgrund solcher Kontiguitätsbeziehungen ist folgender Textausschnitt (aus Brinker 62005: 38):
(4–6) Eine Richterin beim Amtsgericht in Mettmann hat ein mutiges Urteil gesprochen. Sie lehnte die Klage eines 18jährigen Gymnasiasten ab, der von zu Hause weggezogen war und von seinen Eltern monatlich 200 Mark Unterhalt forderte.
Zwischen Richterin, Amtsgericht und Urteil gesprochen einerseits und lehnte Klage … ab andererseits besteht ein kulturell begründetes Kontiguitätsverhältnis, d.h. ein Zusammenhang, der durch kulturell entstandene Institutionen hergestellt wird. In der Institution Amtsgericht amten Richterinnen und Richter, die Urteile sprechen, und ein möglicher Inhalt eines Urteilsspruchs kann die Ablehnung einer Klage sein.
Auch gegen diesen Ansatz sind Einwände und Einschränkungen formuliert worden: Isotopie- und Kontiguitätsbeziehungen sind zwar ein wichtiges Symptom für Textkohärenz, aber keine ausreichende Bedingung; sie garantieren allein aus sich selbst noch keinen kohärenten Text. Von Manfred Bierwisch stammt das folgende, häufig zitierte Beispiel (hier zit. nach Heinemann/Heinemann 2002: 73):
(4–7) Es gibt niemanden, den ihr Gesang nicht fortreißt. Unsere Sängerin heißt Josephine. Gesang ist ein Wort mit fünf Buchstaben. Sängerinnen machen nicht viele Worte.
Zweifellos ist in jedem der Sätze dieser Satzfolge ein rekurrentes Bedeutungselement ‚Gesang‘ oder ‚singen‘ enthalten. Trotzdem empfinden wir die Folge nicht als kohärenten Text. Heinemann/Heinemann (2002: 73f.) postulieren deshalb, dass die Elemente einer Isotopiekette zusätzlich koreferent sein müssen, also sich auf dasselbe Objekt beziehen müssen. In dieser Form ist die Bedingung allerdings wiederum zu eng gefasst. Im Beispiel (4–6) beispielsweise sind Richterin, Gericht, Klage oder Urteil nicht im präzisen Sinne koreferent. Der ganze Text bezieht sich auf eine konkrete einzelne Situation; die einzelnen Ausdrücke sind Teile dieses Textes und beziehen sich auf Teilausschnitte der beschriebenen Situation.
Und schließlich ist Isotopie nicht nur kein ausreichendes Kriterium für Kohärenz von Texten, es ist auch kein notwendiges. Es gibt durchaus Texte ohne SemrekurrenzenSemrekurrenz, die wir als kohärente Texte wahrnehmen. Heinemann/Heinemann (2002: 74) geben als Beispiel die Beschreibung eines Sommertags in Heinrich Heines „Harzreise“:
(4–8) Silberne Wasser brausten, süße Waldvögel zwitscherten, die Herdenglöcklein läuteten, die mannigfaltig grünen Bäume wurden von der Sonne goldig angestrahlt.
Die Einheit dieses Textes liegt in anderen Aspekten als semantischen Semrekurrenzen. Wie in Rastiers etwas generellerem Isotopiekonzept könnten allerdings auch in diesem Text isotopiestiftende übergreifende Bezüge gefunden werden: ‚strahlende schöne Farben‘, ‚angenehme Naturklänge‘. Auch diese Überlegungen führen letztlich zu einer Erweiterung der textsemantischen Betrachtungsweise, bei welcher der thematische Zusammenhang zwischen ganzen Aussagen einbezogen wird (siehe 4.5).
4.3 Kontiguitätsbeziehungen und propositionale Beziehungen zwischen Sätzen
4.3.1 Kontiguitätsbeziehungen zwischen Sätzen
Isotopieansätze betrachten einzelne Wörter oder Satzglieder in Sätzen und versuchen die Kohärenzbeziehungen zwischen den Sätzen aus den semantischen Beziehungen zwischen diesen Satzteilen zu erklären. Man kann jedoch auch ganze Sätze und ihre Bedeutung betrachten und untersuchen, welche Beziehungen zwischen den Satzbedeutungen bestehen. Dem Isotopieansatz verwandt ist die Idee, dass Satzfolgen kohärente Texte ergeben, wenn zwischen den Sätzen inhaltliche Beziehungen bestehen, vergleichbar den Inhaltsbeziehungen zwischen Satzgliedern. Relevant ist dabei weniger die Bedeutung der einzelnen Sätze als deren Denotate, also die von Sätzen im Text bezeichneten Sachverhalte. In den Worten Teun van Dijks: „Zwei PropositionenProposition sind miteinander verbunden, wenn ihre Denotate, d.h. die Sachverhalte, die ihnen in einer Interpretation zugewiesen werden, miteinander verbunden sind.“ (van Dijk 1980: 27)
Van Dijk (1980: 22–40) stellt eine Reihe von Faktoren zusammen, welche solche Zusammenhänge zwischen